Die Pandemie brachte viele Menschen zum Nachdenken. Manche beließen es aber nicht dabei, sondern wagten den Neuanfang. So auch Rita Demart, die ihren sicheren Arbeitsplatz aufgab, um Gemüsebäuerin zu werden. Wie eine persönliche Leidenschaft zum sozialen Engagement wurde.
Es riecht nach feuchter, gesunder Erde. Rita Demart sitzt auf ihrem Holzstuhl und schaut auf die Beete des „Krautgaart“ in Steinfort. Die Luft ist zwar noch kühl, doch die Sonnenstrahlen kündigen bereits den Frühlingsbeginn an. Ebenso wie die zurückkehrenden Zugvögel, die am Himmel wundersame Gebilde fliegen. „Heute ist ein besonderer Tag“, sagt Rita Demart. „Heute hat die Saat begonnen. Und ich war dabei.“
Wir können so nicht weiter machen: Mit diesem Gedanken war Rita Demart nicht allein, als sie im März 2020 plötzlich zu Hause saß und sehr viel Zeit hatte. Die Erkenntnis, dass ein kleines Virus dazu in der Lage ist, die Welt auf den Kopf zu stellen, ging wie ein Ruck durch große Teile der Gesellschaft. Die durch die Pandemie aufgezwungene Entschleunigung brachte viele Menschen dazu, sich selbst und ihr Leben von Grund auf in Frage zu stellen.
Von der Eventmanagerin zur Gemüsebäuerin
Auch bei Rita Demart regte sich die Hoffnung auf grundlegende Veränderungen. „Den gesamten Sommer brodelte es in mir“, erinnert sich die 31-Jährige. „Ich überlegte hin und her, träumte und rechnete.“ Eigentlich mochte sie ihren Job im kulturellen Eventmanagement. Sie war gut in der Kommunikation, im Marketing und in der Organisation. Der Kontakt mit unterschiedlichen Menschen und Sprachen lag ihr. Und dennoch: Die Sehnsucht zu kündigen wuchs. „Ich wollte etwas verändern. Und ich wollte diese Veränderung sehen“, sagt Rita Demart.
Wenn du weißt, wie dein Obst und Gemüse angebaut wird und von wem es kommt, verändert das dein Verständnis und deine Wertschätzung von den Dingen.“Rita Demart
Eigentlich habe sie schon immer gewusst, dass sie in einen Gemüsegarten gehöre, erzählt sie. So richtig wohl und geerdet gefühlt hat sie sich ohnehin nur bei ihrer Großmutter im Garten. Dort, wo sie einfach eine Karotte aus der Erde zog und anschließend gerügt wurde, wenn sie hineinbiss, ohne sie vorher gewaschen zu haben. Dort, wo sie einen Bezug zu den Dingen hatte, wo sie die Natur sehen und riechen konnte.
Doch statt eines Studiums eine landwirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren stand nicht zur Debatte. Zu selbstverständlich waren die gesellschaftlichen Erwartungen, zu allgegenwärtig die Logik der Leistungsgesellschaft. Und so studierte Rita Demart Germanistik und Anglistik, in völlig überfüllten Vorlesungssälen an der Universität in Köln. Es habe sich schon damals beengend und falsch angefühlt. „Wir können doch nicht alle Akademiker werden“, sagt sie heute. „Mein akademischer Weg war jedenfalls ein Umweg“.
Von der Entschleunigung zur Veränderung
Als sie im letzten Herbst dann ihrer Freundin Hannah von ihrem Wunsch erzählte, ihren Job zu kündigen und eine eigene „Solawi“ (Solidarische Landwirtschaft) zu gründen, versuchte Hannah erst gar nicht, sie davon abzubringen. Ganz im Gegenteil: Hannah wollte in das Projekt mit einsteigen. Da gab es für Rita Demart kein Zurück mehr. Heute arbeiten die beiden jungen Frauen als Hilfskräfte im Krautgaart in Steinfort. Sie lernen von jenen, die ihren Traum bereits realisiert haben. Parallel suchen sie nach einem Stück Land im Uelzechtdall, um ihr eigenes Projekt zu verwirklichen.

In Luxemburg gibt es bereits etwa zehn solcher Solawis, landwirtschaftliche Organisationsformen, die frei von Industrie- und Marktregeln funktionieren. Die Mitglieder stemmen das Kapital gemeinsam und finanzieren die Ernte vor, um die Landwirte gegen böse Überraschungen abzusichern. Als Gegenleistung gibt es lokales Obst und Gemüse sowie den direkten Kontakt zum Produzenten. „Wenn du weißt, wie dein Obst und Gemüse angebaut wird und von wem es kommt, verändert das dein Verständnis und deine Wertschätzung von den Dingen“, sagt Rita Demart. Eine Bewusstseinsbildung, die sie bei immer mehr Menschen beobachtet.
Luxemburgs (sehr) schleppender Wandel
Dennoch wird weiterhin das meiste Obst und Gemüse nach Luxemburg importiert. Bis auf wenige Ausnahmen umfasst der Eigenanbau vor allem Gemüse, aber auch Obst auf einem niedrigen, einstelligen Prozentsatz. Biozertifiziert sind von den landwirtschaftlichen Flächen gerade einmal 4,6 Prozent, im EU-Durchschnitt beläuft sich die Zahl auf rund acht Prozent. Der von Rita Demart festgestellte Bewusstseinswandel ist demnach noch ausbaufähig.
In der neuen Welt spielt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten.“Matthias Horx, Zukunftsforscher
In ihrem Bericht vom Dezember 2020 zum Agrar-Strategieplan Luxemburgs beanstandet die Europäische Kommission Versäumnisse. Sie kritisiert die starke Spezialisierung auf Milch- und Fleischproduktion und die schlechte Klimabilanz, die dem hohen Viehbestand zuzuschreiben ist. Der Bericht bemängelt den Zustand der Biodiversität und der landwirtschaftlichen Flächen als Lebensraum und empfiehlt unter anderem die Förderung des Biolandbaus. Es bestehe die Gefahr, dass Luxemburg die Ziele des europäischen „Green Deal“ verfehle, so der Bericht abschließend.
Dennoch gewinnen Projekte für eine nachhaltige Landwirtschaft, die der Philosophie eines zirkulären Wirtschaftsmodells entsprechen, in Luxemburg langsam an Bedeutung – auch politisch. Am 27. Januar wurden in der Abgeordnetenkammer Änderungen am Agrargesetz verabschiedet, die unter anderem die Position der Landwirte in der Wertekette verbessern sollen.
Von nun an unterstützt das Landwirtschaftsministerium die Gründung von Kleinstunternehmen, wie die der Solawis, mit einer maximalen Förderung von 15.000 Euro. Dadurch soll die Diversität gefördert und ausdrücklich auch „atypischen Quereinsteiger-Profilen“, also Menschen wie Rita und Hannah, der Schritt in die landwirtschaftliche Erzeugung erleichtert werden. Zudem stellte die Regierung kürzlich ihre neue nationale Kreislaufstrategie vor, durch die weitere alternative Wirtschaftsmodelle unterstützt werden sollen.
Auf dem Weg zur ökologischen Transition
„Solch eine Strategie ist ein erster, wichtiger Schritt“, sagt Norry Schneider, einer der Mitbegründer der Transition-Bewegung in Luxemburg und Koordinator des „Centre for Ecological Learning“ (CELL). Doch wie viel Wille zum Wandel tatsächlich hinter der Strategie steckt, könne er nicht sagen. „Schließlich gibt es hier per se einen Interessenskonflikt“, sagt Norry Schneider. Wirtschaftswachstum sei in letzter Konsequenz nicht mit der Verbesserung von Nachhaltigkeitsindikatoren, wie etwa dem ökologischen Fußabdruck, zu vereinbaren.
Dass die Ressourcen endlich sind, verwundert heute niemanden mehr. Es gibt physisch messbare Grenzen, wie etwa den Klimawandel, den Ozonabbau oder auch den Verlust der Biodiversität. Pandemien und auch Naturkatastrophen seien die logische Konsequenz ihrer Überschreitungen, sagt Norry Schneider. „Wir leben bereits in einer Post-Wachstums-Ära“, meint das Mitglied des „Conseil supérieur pour un développement durable“.

Nicht nur der Transitions- und Umweltaktivist ist sich sicher: Lokale Initiativen wie die Solawis, aber auch die Repair Cafés oder die Energie- und Wohngenossenschaften haben das Potenzial, Veränderungen anzustoßen. Sie würden Menschen zusammen bringen und vernetzen. Und sie deuteten auf eine konstruktive Weise auf tiefgreifende globale Probleme hin.
„Es mag kitschig klingen“, sagt Rita Demart beinahe entschuldigend, „aber viele kleine Dinge können Großes bewirken“. Ob die Welt von morgen eine bessere, eine resilientere und nachhaltigere sein wird? „Ich weiß es nicht, aber ich möchte daran glauben.“ Initiativen, wie die Solawis jedenfalls, würden stärker auf die Gesellschaft einwirken, als auf den ersten Blick ersichtlich. „So ein Garten macht etwas mit dem Dorf“, sagt Rita Demart und spricht von Begegnungen, Zufallsgesprächen, Solidarität und Fürsorge.
„Die Welt nach Corona“
Der Wille zu einem grundsätzlichen Wandel scheint durch die Pandemie durchaus gewachsen zu sein. Laut einer Umfrage von TNS/Ilres im Auftrag des „Mouvement Ecologique“ sprachen sich im vergangenen Juli 71 Prozent der Befragten für eine Veränderung des Wirtschaftssystems aus. Zu den meistgenannten Gründen zählten dabei: Mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit (33 Prozent), ein bewussteres und lokal geprägtes Konsumverhalten (25 Prozent) sowie mehr Solidarität (15 Prozent). Zudem gaben 38 Prozent der 1.016 Befragten an, dass sie ihr Konsumverhalten seit Beginn der Corona-Krise verändert hätten.
Für Rita Demart decken sich die Umfragewerte mit den Erfahrungen in ihrem Umfeld: „Es kommt ja nicht von ungefähr, dass im ersten Lockdown Projekte wie der Krautgaart regelrecht überrannt wurden“, erzählt sie. Die Leute hätten sich verstärkt nach Austausch, nach sinnstiftenden Aktivitäten, ja auch nach „Utopien“ gesehnt. „Wenn die alte Welt ins Wanken gerät, hilft dir ein stabiles Umfeld“, sagt sie und blickt über die weiten Felder.
„In der neuen Welt spielt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten“, schrieb der Zukunftsforscher und Autor Matthias Horx im Frühjahr 2020 in seinem Blogartikel „Die Welt nach Corona“. Ob diese neue Welt die alte wirklich so leicht ersetzen wird, daran lässt sich durchaus zweifeln. Das hindert manche Menschen jedoch nicht daran, bereits in ihr zu leben. Zu diesen Menschen gehört Rita Demart. Und Ritas Freundin Hannah. Und die Kinder von Hannah …