Das Test-Konzert in der Rockhal war ein erster vorsichtiger Schritt zurück zur Live-Musik auf der großen Bühne. Hinter vielen Musikern liegt ein Jahr geprägt von Improvisation und geplatzten Plänen. Trotz zaghafter Zuversicht dominiert für manche von ihnen weiterhin die Ungewissheit.

Es ist mittlerweile ein ungewohnter Anblick: Der Transporter von Georges Goerens steht im Eingang der Escher „Kulturfabrik“ und ist voll beladen mit Instrumenten und Equipment. Am Wochenende hatte der junge Musiker zusammen mit dem Schlagzeuger Niels Engel einen Auftritt im Ausland. In Leipzig haben die beiden Musiker einem erlesenen Publikum ihr gemeinsames Projekt vorgestellt. Jeweils ein Haushalt durfte zuhören. „Es war ein Statement des Veranstalters. Das Konzert sollte zeigen, dass es die Musikszene noch gibt und was die Situation mit uns macht“, erklärt Georges Goerens im Gespräch mit Reporter.lu.

Doch ein solches „Statement“ ist immer noch die Ausnahme. Seit einem Jahr liegt der Konzertbetrieb fast vollständig brach. Im besten Fall begnügen sich Musiker und Musikerinnen seitdem auch in Luxemburg mit dem Applaus einiger weniger. Sie wagen Auftritte in Autokinos oder treten vor stark reduziertem Publikum auf. Zeitgleich gilt es, neue Vermarktungskonzepte auszuarbeiten, um das neue Album doch noch irgendwie unters Publikum zu bringen. Für viele ist der virtuelle Raum zur einzigen Bühne geworden.

In voller Fahrt erwischt

Doch in der Rue de Luxembourg in Esch/Alzette ist in diesen Tagen durchaus etwas Optimismus zu spüren. Der Innenhof der Kufa ist vollgestellt mit Sitzmöbeln und Stehtischen, überdacht mit schwarzen Baldachinen. Die „Summer Bar“ des Kulturzentrums steht kurz vor der Eröffnung und erste Konzerte sind in Planung.

Während über ihm ein Arbeiter in einem Montagekran letzte Hand an die Stoffplane anlegt, erinnert sich Georges Goerens an eine längst vergangene Zeit. Jene vor der Pandemie. Einem breiteren Publikum ist Goerens als „Bartleby Delicate“ und als Sänger der Band „Seed to tree“ bekannt.

Im Februar 2020 standen die Zeichen für ihn auf Durchbruch: „Beim Reeperbahn-Festival war der britische Booker Steve Zapp auf mich aufmerksam geworden. Er bucht unter anderem Tourneen für ‚The Editors‘ oder ‚Biffy Clyro‘. Seine Agentur hat daraufhin ein Konzert für mich in London gebucht, zu dem Professionelle aus der Musikbranche eingeladen waren.“ Außerdem war eine Recording-Session in Kanada in Planung. Der erste Lockdown kommt schließlich kurz vor einem lange angesetzten Konzert in der Philharmonie. Zunächst blieb Georges Goerens noch zuversichtlich: „Am Anfang dachte ich noch ganz naiv, wenn sich jetzt alle vier Wochen an die Vorgaben halten, kann sich das Virus ja nicht ausbreiten und dann klappt das.“

Das lange Warten hat ein Ende: Zum Abschluss ihrer „Résidence de recherche et d’expérimentation“ geben Niels Engel (l.) und Georges Goerens am 5. Juni ein Konzert in der Escher Kulturfabrik. (Foto: Christian Peckels)

Auch für die Jazzsängerin und Komponistin Claire Parsons kommt die Notbremse in voller Fahrt. Im März 2020 sollte ihr Debüt-Album „In Geometry“ erscheinen. Die Album-Tour war bereits geplant, ebenso wie ein Feature im renommierten deutschen Jazz-Magazin „JazzThing“. „Es war wie wenn man einen Marathon läuft und auf den letzten 30 Metern aufgeben muss. Es war dramatisch“, beschreibt Claire Parsons die Erfahrung.

Für die Musikerin, die auch Kurse als Gesangslehrerin gibt, begann eine Zeit voller Ungewissheit. „Wir mussten das Release-Konzert immer wieder verschieben. Die Pandemie brachte ja mit sich, dass sich die Bestimmungen für die Kultur laufend änderten. Man investiert Stunden und Stunden in die Planung und dann wird doch nichts draus.“

Etwas aus der Lage machen

Ihr Debut-Album stellte Claire Parsons schließlich Anfang Oktober in der „Schungfabrik“ in Tetingen vor. 160 Zuschauer durften dabei sein, es galt strenge Maskenpflicht. Trotzdem war es ein kleiner Lichtblick für die Künstlerin: „Das Team der Schungfabrik ist ein Risiko eingegangen, aber es hat sich gelohnt. Wir hatten keinen einzigen positiven Fall, der auf das Konzert zurückgeht.“ Es sollte aber ein kleines Zeitfenster für Auftritte bleiben, denn kurz danach stiegen die Infektionszahlen in Luxemburg wieder an und die Regierung beschloss neue Restriktionen.

Während Claire Parsons ihr Album bereits fertig hatte, stand Georges Goerens quasi bei null. Die Aufnahmen in Kanada wurden abgesagt, Live-Auftritte verschoben. Der 28-Jährige hat plötzlich, etwas unerwartet, Zeit. Viel Zeit. Er igelt sich in seinem WG-Zimmer ein und beginnt aufzunehmen. Es entstehen neue Songs und die EP „Deadly, Sadly, Whatever“. Der neue, intime Prozess hat für den Musiker im Nachhinein auch etwas Befreiendes: „Ich konnte mir die Zeit nehmen, die ich wollte und mich weiterentwickeln, weil ich alles selbst entscheiden konnte.“

Durch die andauernde Ungewissheit ergaben sich für Georges Goerens aber auch völlig neue Chancen. Seit einem Monat bespielt er zusammen mit dem Jazz-Schlagzeuger Niels Engel eine „Résidence“ in der Escher Kulturfabrik. In einem Saal des Kinosch proben die beiden Musiker beinahe täglich und arbeiten an neuem Material. Den Abschluss der Zusammenarbeit bildet das Konzert am 5. Juni. Die Zuschauerzahl ist indes auf 60 Personen begrenzt. Es ist bereits ausverkauft.

Auch für Niels Engel, der für das Claire Parsons Quintett Drums spielt und Teil des Trios von Jérôme Klein ist, war die Pandemie ein persönlicher Einschnitt. Denn der Jazzschlagzeuger infizierte sich gleich zu Beginn selbst mit dem Virus: „Ich hatte meinen Geschmacks- und meinen Geruchssinn verloren. Das war schon beängstigend.“ Hinzu kam, dass der Lockdown den Drummer vor praktische Probleme stellte: „Ich konnte nicht proben, weil bei mir zu Hause kein Platz für ein Schlagzeug ist. Nach einiger Zeit sitzt man wie auf Kohlen und will einfach nur wieder spielen.“

Umdenken und neue Möglichkeiten

Eine Situation, die ein weiterer Jazzmusiker ebenfalls kennt. Denn für Benoit Martiny und seine „Benoit Martiny Band“ bedeutete die Pandemie ebenfalls ein Umdenken. Auch der Schlagzeuger hatte mit seiner Band eine Europa-Tour geplant, die abgesagt wurde. Zudem machten die Reisebeschränkungen das Proben zeitweise fast unmöglich. Denn die Band des Drummers setzt sich zum großen Teil aus Musikern aus den Niederlanden zusammen. Während der Pandemie hat das auch zu frustrierenden Situationen geführt: „Unser Saxofonist Jasper Van Damme saß bereits im Auto in Rotterdam und wollte losfahren nach Luxemburg. Da wurde Luxemburg von den Niederlanden zum Hoch-Inzidenz-Gebiet erklärt. Kein Scherz.“

Ungewohnte, aber langsam zurückkehrende Bilder: Das Konzert von Serge Tonnar am 21. Mai in der Rockhal war eines der ersten Live-Events vor großem Publikum seit Beginn der Pandemie. (Foto: Martine Pinnel)

Eine etwas andere, wenn auch nicht minder absurde Erfahrung machte Claire Parsons: „Eine Zeitlang durften wir nicht proben. Das war wirklich etwas abstrus, denn Konzerte waren erlaubt.“ Während das Proben erschwert war, boten sich den Musikern gleichzeitig neue Wege, um gemeinsam zu spielen. Denn die Pandemie kannte einen Boom an Streamings und Sessions. Benoit Martiny erklärt: „Normalerweise ist der Video-Dreh für Bands eine kostspielige Sache. Da hat die Pandemie schon geholfen, denn zahlreiche Kulturhäuser haben Sessions aufgezeichnet.“ So hat die „Benoit Martiny Band“ Teile ihres Albums „Moons of Uranus“ beim „Shuffle-Jazz-Meeting“ in der Abtei Neumünster vor Kameras eingespielt.

Auch für die luxemburgische Metal-Band „Scarred“ waren Videos fast die einzige Möglichkeit, ihr neues, selbst betiteltes Album der Öffentlichkeit vorzustellen. Eine Möglichkeit, die die Band bis aufs Letzte ausgereizt hat, wie Gitarrist Diogo Bastos im Gespräch mit Reporter.lu erklärt: „Wir haben drei Jahre an unserem neuen Album gearbeitet, aber seit einem Jahr kein Konzert gespielt. Deshalb haben wir entschieden, uns auf die Videoproduktion zu konzentrieren.“ Und so hat die Band vor, für jedes Stück auf dem Album ein eigenes Musikvideo zu produzieren.

Zwischen Melancholie und Vorfreude

Eine Frage, auf die jeder Musiker eine eigene Antwort finden muss: Was macht das aktuelle Geschehen mit meiner Musik? Während andere Musiker, wie etwa Serge Tonnar, das Pandemie-Geschehen bewusst thematisieren und aufgreifen, wiegeln die meisten Musiker im Gespräch mit Reporter.lu bei der Frage nach dem Thema Pandemie ab. „Ich käme mir komisch vor, wenn ich auf einmal über die Pandemie singen würde“, sagt etwa Georges Goerens. Auch Claire Parsons kann sich nicht vorstellen, direkt über die Aktualität des Coronavirus zu singen.

Anders sieht es jedoch beim Einfluss der Situation auf den kreativen Prozess aus. Claire Parsons erklärt: „Ich bin viel weniger kreativ und tue mich schwerer beim Schreiben.“ Sie lebe vom Kontakt mit anderen Menschen und dem direkten Austausch, so die Sängerin, und das sei weiterhin sehr schwierig. Auch Diogo Bastos sieht Veränderungen in seinem kreativen Prozess: „Ich merke, dass ich viel melancholischer beim Schreiben bin. Andererseits habe ich auch festgestellt, dass ich mir beim Komponieren mehr Raum lasse. Ich denke nicht direkt darüber nach, wie etwas in einer Live-Situation funktioniert, sondern lasse auch experimentelle Sachen zu.“

Seit einem Jahr hängt eine Frage in der Luft der Konzertsäle der Welt: Wann geht es wieder richtig los? War die Antwort darauf bisher meist ungewiss, mehren sich Zeichen, die Grund für Optimismus geben. In der EU nimmt die Impfkampagne vermehrt an Fahrt auf, in den USA sollen die ersten Festivals stattfinden und in Luxemburg spielte Serge Tonnar vor 600 Zuschauern ein Testkonzert in der Rockhal.

Und auch bei anderen Musikern keimt verhaltene Zuversicht auf. „Vor dem Herbst sehe ich zwar wenige Chancen, aber Frühjahr 2022 halte ich für realistisch“, sagt Benoit Martiny. Dann könnte es zudem zu einem Boom der Live-Musik kommen, weil so viele Tourneen nachgeholt werden, meint der Jazzschlagzeuger. Ein Boom, der aufstrebende Musiker wiederum vor neue Probleme stellen könnte. Denn laut Benoit Martiny sind alle Veranstaltungsorte für das nächste Jahr hoffnungslos ausgebucht. Neue Konzerttermine oder Tourneen zu buchen, dürfte deshalb nach wie vor schwierig werden.