Bei der „Lunghi-Affäre“ geht es um mehr als nur ein Interview, das aus dem Ruder lief. Vor Gericht wurde auch über die Grenzen der Pressefreiheit und die Verantwortung von RTL verhandelt. Nach dem Prozess dürften aber viele Fragen offenbleiben.

Drei Prozesstage sollte es dauern, bis Staatsanwalt Guy Breistroff das Offensichtliche ausspricht: „In diesem Dossier gibt es keine Gewinner.“ Im stillen Kämmerlein würden wohl alle Beteiligten zugeben: „Dat hätt ee kënne besser maachen.“ Mit Spannung war der sogenannte „Lunghi-Prozess“ erwartet worden, nachdem dessen Auftakt bereits zweimal verschoben werden musste. Im Zentrum der Affäre steht ein Beitrag der früheren RTL-Sendung „Den Nol op de Kapp“ vom 3. Oktober 2016. In dem Beitrag ist eine umstrittene Szene zwischen der freien RTL-Journalistin Sophie Schram und dem ehemaligen Mudam-Direktor Enrico Lunghi zu sehen.

Als die Journalistin den Museumsdirektor wiederholt fragt, wieso die Künstlerin Doris Drescher nicht im Mudam gezeigt würde und was ihm nicht an ihren Bildern gefalle, verliert Enrico Lunghi die Fassung. Nachdem er sich zunächst vom Ort des Interviews entfernt, macht er kehrt und greift der Journalistin mit einer flüssigen, beidhändigen Bewegung in das Mikrofon und drückt es nach unten weg. Anschließend sieht der Zuschauer des Beitrags die Journalistin mit einem bandagierten Arm und den Ausschnitt eines ärztliches Attests. Die Kernaussage des damaligen Beitrags: Enrico Lunghi habe die Journalistin Sophie Schram während der Ausübung ihrer Arbeit tätlich angegriffen, woraufhin diese krankgeschrieben werden musste.

Der Prozess in der vergangenen Woche sollte dabei vorrangig eine Frage klären: Erfüllt der Beitrag, wie er am 3. Oktober 2016 gesendet wurde, den Tatbestand der üblen Nachrede und der Verleumdung? Sprich: Wurde bewusst künstlich ein Eindruck erweckt, der erstens nicht den Tatsachen entspricht und der zweitens bewusst dem Ansehen von Enrico Lunghi geschadet hat? Und: Wer war wann in den Entscheidungsprozess innerhalb der Medienanstalt eingebunden?

Konkret: Wer hat letztlich dafür gesorgt, dass der Beitrag in dieser Form gesendet wurde? Auf der Anklagebank sitzen deshalb die beiden ehemaligen RTL-Journalisten Marc Thoma und Sophie Schram, der damalige Programmdirektor und heutige Vize-CEO des Medienhauses, Steve Schmit, sowie der ehemalige Generaldirektor von RTL, Alain Berwick.

„Kee Kapp a kee Schwanz“

Wann die Affäre genau beginnt, das gilt es während vier Prozesstagen zu klären. Fest steht: Am 13. September 2016 findet das Interview statt. Am Morgen hat Marc Thoma für einen Beitrag die Künstlerin Doris Drescher interviewt. Die freie Mitarbeiterin Sophie Schram, welche die Redaktion des „Nol op de Kapp“ verstärkt, soll eine Reaktion von Enrico Lunghi auf die Anschuldigungen der Künstlerin einholen. Vor Gericht sagt Sophie Schram aus, dass Enrico Lunghi sie in der Mittagspause zurückgerufen habe und kurzfristig für ein Interview zur Verfügung gestanden habe. Zum Dreh wird Sophie Schram begleitet von zwei RTL-Praktikanten und einem Kameramann.

Der Beitrag von Marc Thoma soll am 19. September 2016 gesendet werden, jener von Sophie Schram am Tag darauf, am 20. September. Doch dazu kommt es nicht. Jedenfalls nicht wie geplant. Bevor der Beitrag gesendet wird, kommt es zu Diskussionen in der Redaktion. Steve Schmit, der für die programmatische Ausrichtung des „Magazin“ zuständig ist, hat Bedenken. Er bittet die Kollegen aus der Nachrichtenredaktion, Caroline Mart und Alain Rousseau, um Rat.

Du bass awer een houere Sensatiounsjournalist …“Anwalt Pol Urbany zu RTL-Journalist Marc Thoma

Rund eine halbe Stunde vor der Hauptnachrichtensendung „Journal“ sehen sie sich den Beitrag der freien Journalistin gemeinsam an. Auch vor Gericht wird die erste Version des Beitrags ein erstes Mal öffentlich gezeigt. Darin fragt Sophie Schram Enrico Lunghi nach seiner Einschätzung zur Kunst von Doris Drescher und hakt mehrmals nach. Etwa in der Hälfte des Beitrags kommt es zum besagten Zwischenfall. Nach einem Schnitt geht der Beitrag mit einer normalen Interviewführung weiter – so, als ob es nicht zum Zwischenfall gekommen sei.

Vor Gericht sagen sowohl die Nachrichten-Journalistin Caroline Mart als auch Nachrichten-Chef Alain Rousseau getrennt voneinander aus, dass es vor allem die Vermischung des Interviews mit dem Zwischenfall gewesen sei, die für sie ein „No-Go“ dargestellt habe. Der Zwischenfall sei für die Zuschauer in dem Beitrag schlicht nicht nachvollziehbar gewesen, so Caroline Mart vor Gericht …