Das „Liberty Steel“-Werk in Düdelingen steht vor dem definitiven Aus. Was nach einer grünen Revolution in der Luxemburger Stahlindustrie aussah, wurde zum Albtraum für die Beschäftigten. Hinter dem Scheitern steckt auch ein undurchsichtiges Finanzkonstrukt.

„Es ist absurd und beschämend. In 32 Jahren Gewerkschaftsarbeit habe ich so etwas noch nie erlebt“, meint Robert Fornieri vom LCGB im Gespräch mit Reporter.lu. Die Rede ist vom Werk „Liberty Steel“ in Düdelingen, das seit Jahren mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat und nun für vier Monate stillgelegt ist. Warum der Besitzer, die Familienholding „GFG Alliance“, den Weg für eine Übernahme durch die Konkurrenz immer noch nicht frei machen will, bleibt unverständlich.

„Wir erwarten endlich etwas Ernsthaftigkeit von GFG Alliance“, sagt Robert Fornieri. Für die Gewerkschaften ist der Ausweg klar: Ein neuer Besitzer muss her, das Vertrauen in den bisherigen ist vollkommen dahin. Die Geschichte der Übernahme, vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Finanzbranche betrachtet, lässt heute besser nachvollziehen, wieso das Unternehmen eigentlich nur scheitern konnte.

Unklare Vermögensverhältnisse

Am 2. Juli 2019 hält ein Webtaxi in der Industriezone „Wolser“ in Düdelingen. Heraus steigt Sanjeev Gupta, Vorstandsvorsitzender von GFG Alliance und neuer Besitzer des Galvanisierungswerks. Dem vorangegangen war eine lange Ungewissheit, die auch mit den Plänen des Vorbesitzers „ArcelorMittal“ zu tun hatte. Der Stahlkonzern wollte das „Ilva“-Werk im süditalienischen Taranto aufkaufen. Die EU-Kommission erlaubte dies aus Wettbewerbsgründen nur, wenn sich das Unternehmen von sieben seiner anderen Werke in der EU trennen würde.

Der neue Besitzer der sieben Werke wurde GFG Alliance – darunter auch das Werk in Düdelingen, das zusammen mit den Fabriken in Lüttich die Produktion von Automobilteilen betreiben sollte. Die Ankündigung löste keine Begeisterungsstürme bei den Gewerkschaften aus. Der LCGB, der in Düdelingen die Mehrheit der Personalvertreter stellt, sprach von einem „Finanzfonds mit indischen Wurzeln“, bei dem man nicht genau wisse, woher das Geld kam.

Aber an diesem Julitag, an dem Sanjeev Gupta gemeinsam mit dem Düdelinger Bürgermeister Dan Biancalana (LSAP) die Liberty-Flagge über dem Werk hisste, war Optimismus angesagt. „Wir haben sie für Amateure gehalten, doch wir haben uns getäuscht“, sagte der LCGB-Vertreter Robert Fornieri damals gegenüber „Le Quotidien“. Insbesondere die Rekrutierung des britischen Stahlexperten Jon Bolton als CEO hatte die Zweifler gnädig gestimmt.

Doch die Frage, woher Sanjeev Gupta und GFG Alliance das Kapital hatten, um in kürzester Zeit nicht nur die Werke in Luxemburg und Belgien, sondern auch in Rumänien und in Tschechien aufzukaufen, wird Politik und Gewerkschaften noch länger beschäftigen.

Zwei Giganten auf tönernen Füßen

Die Vorgehensweise von GFG Alliance, um das schnelle Wachstum zu stemmen, heißt „Leveraged Buy Out“. Dabei wird kein – oder nur ein geringer Anteil – eigenes Kapital verwendet, sondern fremdes Kapital von Investoren, die sich davon eine Rendite versprechen. GFG Alliance hatte vor allem einen Investoren gefunden, der das Kapital zur Verfügung stellen konnte. Das Problem: Auch diese Gesellschaft, „Greensill Capital“, stand nicht auf festen Beinen.

Das Werk in Düdelingen ist für vier Monate geschlossen, doch die Mitarbeiter müssen dennoch weiterhin täglich vor Ort erscheinen. Ihre Zukunft ist derweil weiter ungewiss. (Foto: Mike Zenari)

„Greensill Capital“ wurde 2011 vom australischen Geschäftsmann Lex Greensill gegründet. In kürzester Zeit wuchs das Unternehmen zu einem globalen Player heran. Das Geschäftsmodell basierte auf „Supply Chain Financing“, also Lieferkettenfinanzierung. Das Prinzip, wonach großen Firmen für kurze Zeit Geld geliehen wird, um die Lieferketten problemlos am Laufen zu halten, hat Lex Greensill ausgereizt, indem er die Anleihen verbriefte und Anlegern zum Kauf anbot.

Dazu bediente er sich großer bekannter Fonds-Management-Firmen wie der „Crédit Suisse“ und der Schweizer Investment-Firma „GAM Investments“. Letztere eröffnete zwischen 2016 und 2017 gleich drei Spezialkommanditgesellschaften („Société en commandite spéciale“, SCSp) für Greensill-Produkte in Luxemburg. Da diese Gesellschaften zur sogenannten alternativen Finanz gehören, müssen sie keine Jahresberichte veröffentlichen. Nur die Gesellschaft, welche die Fonds verwaltet, muss der Überwachungskommission des Finanzsektors (CSSF) Rede und Antwort stehen.

Was im Nachhinein aber Aufmerksamkeit hätte erregen müssen, ist ein Eintrag im „Registre des bénéficiaires effectifs“ (RBE), das 2019 eingeführt wurde. Besitzer einer der Spezialkommanditgesellschaften war nämlich Parduman Gupta – der Vater von Sanjeev Gupta und Firmengründer von GFG Alliance.

Risiko in Luxemburg ausgelagert

Mit anderen Worten: Der Vater des Industriellen hielt Fonds, die auf die Schulden seines Sohnes spekulierten, der mit diesem Kapital das Familienunternehmen ausbaute. Wie viel Geld wirklich in den Fonds gelagert war, ist nicht nachvollziehbar. Ein Indikator könnte sich im letzten Offenlegungsbericht der „Greensill Bank“ aus dem Jahr 2019 befinden: Dort ist von Risikopositionen in Luxemburg in Höhe von 112 Millionen Euro die Rede. Dem gegenüber standen sechs Millionen an Eigenmittelanforderungen. Luxemburg war damit nach der Tschechischen Republik und Deutschland der Finanzplatz mit den meisten Risikopositionen für Greensill.

Die Spezialkommanditgesellschaften befinden sich mittlerweile alle in Liquidation. Dies war im Sommer 2019 aber nicht bekannt. Es war die Zeit der großen Ankündigungen: Ein Audit sollte durchgeführt werden, auf dessen Grundlage zehn Millionen Euro in die Werke in Belgien und Luxemburg investiert werden sollten. Doch der Prüfungsbericht ließ auf sich warten. Stattdessen kamen im Februar 2020 noch mehr Versprechungen von GFG Alliance. Nicht mehr zehn, sondern 100 Millionen sollten in die Werke investiert werden. Das hehre Ziel: eine Entkarbonisierung der Stahlproduktion bis 2030.

Die sogenannte „Green Steel Initiative“ stieß auf viel Resonanz. Auch Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) erwähnte sie lobend im Kontext der Covid-Hilfen bei einer parlamentarischen Anhörung im Herbst 2020. Inzwischen hatte GFG Alliance noch weiter expandiert: Werke in Frankreich wie die „Rail Industry France“ in Hayange, „Ascoval“ bei Sainte-Saulve und Aluminiumwerke in der Bretagne kamen dazu, genauso wie die Stahlsparte von Thyssen-Krupp.

Trotz Wachstums keine Investitionen

Aber trotz dieses massiven Wachstums kamen die versprochenen Investitionen nie in Düdelingen an – auch wenn der Markt in diesem Moment noch boomte. Die Erklärung kam am 15. März 2021 mit dem Kollaps von Greensill. Die deutsche Finanzaufsicht „Bafin“ hatte ein Insolvenzverfahren gegen die Greensill Bank eröffnet und Unregelmäßigkeiten mit ihrem größten Kunden festgestellt: Sanjeev Gupta.

Auch wenn die Firma dem luxemburgischen Wirtschaftsminister noch per Brief versicherte, die Werke in Luxemburg seien nicht in Gefahr, so dauerte es nur wenige Tage, bis GFG Alliance zugeben musste, ohne Greensill zahlungsunfähig zu sein. Die Schulden von Sanjeev Gupta wurden von der „Financial Times“ auf fünf Milliarden US-Dollar geschätzt.

So wie sie gemeinsam gewachsen waren, gingen GFG Alliance und Greensill ab diesem Zeitpunkt zusammen unter. Die Werke in Belgien wurden zuerst unter Gläubigerschutz gestellt und schließlich liquidiert. Die französische Sparte wurde Stück für Stück weiterverkauft. Auch in Großbritannien, wo Gupta in mehrere Werke investiert hatte, wuchs der Druck. Das „Serious Fraud Office“, das im Vereinigten Königreich unter Aufsicht des Generalstaatsanwalts für die Verfolgung schwerer Betrugsdelikte zuständig ist, nahm Sanjeev Gupta im Frühling 2021 wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Betrug ins Visier.

Lösungssuche noch nicht aufgegeben

In Luxemburg wurde indessen versucht, alle möglichen Lösungsansätze zu erkunden. Es kam zu parlamentarischen Anfragen und Anhörungen des zuständigen parlamentarischen Ausschusses. Dort stellte sich heraus, dass Luxemburg in solchen Situationen nur wenig legale Handhabe hat. Das Großherzogtum verfügt nicht über die gleichen Möglichkeiten wie in Belgien, wo Gerichte eine Insolvenz verhängen und Betriebe unter Gläubigerschutz stellen können.

Zwar erhielt die staatliche Investitionsgesellschaft „SNCI“ den Auftrag, Auswege aus der misslichen Lage zu erkunden – doch auch diese kann GFG Alliance nicht zwingen, das Werk zu verkaufen. Im Sommer versuchte Gupta noch einmal den Befreiungsschlag, indem er die Benelux-Werke neu in den Betrieb eingliederte. Sie sollten in Zukunft vom verbliebenen Liberty-Standort Galati in Rumänien beliefert werden. Doch auch dieser Plan funktionierte nicht.

Trotz großer Ankündigungen durch die Besitzer blieben die versprochenen Investitionen in den Liberty-Standort Düdelingen aus. (Foto: Mike Zenari)

Versuche der Gewerkschaften, einen „Plan de maintien dans l’emploi“ auszuhandeln, verliefen im Sand. Im März 2022 entschied das Konjunktur-Komitee, im Rahmen der Corona-Hilfen keine Kurzarbeit für die rund 180 Arbeiter von Liberty Steel in Düdelingen zu finanzieren. Auch die Hoffnung, dass ArcelorMittal das Werk wieder kaufen könne, erwies sich als Enttäuschung. Der Vorbesitzer, der in Italien mit der Ilva-Übernahme gescheitert war, hätte von der Europäischen Kommission nun zwar grünes Licht für eine solche Operation bekommen, erklärte sich aber als nicht interessiert.

In der Presse zirkulierten bereits Namen von anderen Unternehmen wie „Salzgitter“ oder das russische Konglomerat „NLMK“ als Interessenten. Doch bevor solche Verhandlungen aufgenommen werden könnten, müsste GFG Alliance bereit sein, Düdelingen aufzugeben. Dies scheint im Moment noch immer nicht der Fall: Im Sommer wurde bei einer Kapazität von fünf Prozent weiter produziert. Anfang Oktober kam dann die Nachricht, dass das Werk für vier Monate geschlossen wird.

Das Wirtschaftsministerium ist weiterhin auf Lösungssuche. Auf Nachfrage von Reporter.lu heißt es von einer Pressesprecherin: „Das Wirtschaftsministerium ist im Moment nicht in Kontakt mit GFG Alliance, verfolgt die Entwicklungen um Liberty Steel, sowohl in Luxemburg als auch in Lüttich, aber weiterhin ganz genau.“ Ein Treffen zwischen Gewerkschaften und den Ministern für Wirtschaft und Arbeit ist für den 24. Oktober geplant, wie das „Lëtzebuerger Land“ vergangene Woche bereits berichtete. Dort soll es unter anderem um mögliche Übernahmekandidaten gehen. Denn einen Konkurs will sich niemand vorstellen.