Das großflächige Testen soll helfen, die Infektionszahlen im Griff zu halten. Doch die erste Phase fing verspätet an und endet bereits nächsten Montag. Eine Weiterführung für August ist im Gespräch, doch die Strategie steht und fällt mit einer wirksamen Kontaktverfolgung.
Für die zweite Phase des „Large Scale Testing“ (LST) sollte alles besser werden: ausreichend Vorlaufzeit, die Einhaltung der Budgetregeln und eine genauere Auswertung der Daten. Und dann kam die zweite Welle an Coronavirus-Infektionen.
Eine zweite Welle, die das großflächige Testen eigentlich hätte verhindern sollen. Das Paradoxe: Erst als die Infektionszahlen wieder stiegen, folgten viele Menschen auch tatsächlich der Einladung und ließen sich verstärkt testen. Die Experten warnten dennoch bereits vor Wochen vor diesem erneuten Aufflammen des Virus. Die Regierung handelte aber erst am vergangenen Sonntag.
Das LST erlaubt jetzt aber immerhin, den Verlauf dieser zweiten Welle genau zu verfolgen, betont Professor Paul Wilmes. Er ist einer der Sprecher von „Research Luxembourg“, einer Forschergruppe, die der Regierung Lageeinschätzungen gibt und die großflächige Teststrategie entworfen hat.
Ergebnisse lassen auf Stabilisierung hoffen
Die gleiche Entwicklung der Infektionen deutet sich auch in den Nachbarländern an, betont Paul Wilmes. „Das sehen wir auch an den Zahlen der positiv getesteten Grenzgänger“, sagt er im Gespräch mit REPORTER. Nur konnte man dieses Aufflammen der Pandemie eben in Luxemburg früher entdecken.
„Das großflächige Testen greift jetzt ganz sicher“, so Paul Wilmes. Seit dem 10. Juli liegt die Zahl der Infizierten, die über die Stichprobentests entdeckt werden, bei täglich 20 Personen im Schnitt. Am Freitag betonte Premierminister Xavier Bettel (DP) bei Radio 100,7, dass 23 Prozent der positiven Tests aus dem „Large Scale Testing“ kamen. Zusätzlich konnten weitere Fälle über die Kontaktverfolgung dieser Personen gefunden werden. Konkret: Ein Drittel aller aktuellen Infektionen wären ohne das großflächige Testen unentdeckt geblieben.
„Das ‚Large Scale Testing‘ ist eine tägliche Prävalenz-Studie“, erklärt Paul Wilmes. Das heißt, jeden Tag zeigen die Ergebnisse, wie verbreitet das Sars-Cov-2-Virus in der Bevölkerung gerade ist. Die rezenteste Auswertung der Daten stimmt eher positiv: Es gebe eine Tendenz zur Stabilisierung und Anzeichen, dass die zahlreichen Fälle der vergangenen Tage vor allem auf Infektionsherde zurückzuführen seien.
Verlängerung über August deutet sich an
Dennoch gibt es ein Problem: Offiziell läuft die erste Phase der Teststrategie am kommenden Montag aus, wie das zuständige „Luxembourg Institute of Health“ (LIH) auf Nachfrage bestätigt. Doch die Forscher von „Research Luxembourg“ empfehlen, im August weiter großflächig zu testen. „Eine Verlängerung der ersten Phase scheint sicher. Es soll keine Lücke entstehen“, erklärt der Präsident der parlamentarischen Gesundheitskommssion, Mars Di Bartolomeo (LSAP) im Gespräch mit REPORTER.
Allerdings ist es eine Übergangsphase mit Anpassungen, wie es aus dem Gesundheitsministerium auf Nachfrage von REPORTER heißt. Zwischen dem 27. Juli und dem 1. September werde die Testkapazität reduziert, sie sei aber ausreichend, um ein Monitoring der Bevölkerung zu garantieren und gegebenenfalls Infektionsherde („Cluster“) zu testen. Außerdem sollen die internationalen Reisen so „gut wie möglich“ mit Testen und Kontaktverfolgung begleitet werden, betont das Ministerium. Kritisch sei allerdings ausreichend Personal dafür zu finden, aber die Santé bleibt „zuversichtlich“.
Wir haben darauf bestanden, dass das Gesundheitsministerium alle nötigen Mittel erhält, um das ‚Tracing‘ zu gewährleisten.“Mars Di Bartolomeo, LSAP
Für manche kommt diese Planung spät. Obwohl seit Wochen das Auslaufen des Vertrags des Projekts bekannt sei, gehe die Regierung dies erst jetzt an, kritisiert der CSV-Abgeordnete Claude Wiseler. Für ihn stellt sich auch die Frage, wie die Verlängerung des Vertrags nach den geltenden staatlichen Regeln überhaupt machbar ist.
Ursprünglich war geplant, erst im September eine zweite Phase des „Large Scale Testing“ zu starten. Über das entsprechende Finanzierungsgesetz stimmt das Parlament an diesem Dienstag ab. Unter den Abgeordneten besteht laut Mars Di Bartolomeo ein Konsens zur Fortführung von September bis März 2021. Auch Claude Wiseler spricht sich für die Teststrategie aus. Aber es gebe viele offene Fragen – etwa den Kostenpunkt von 60,7 Millionen Euro und dessen Aufteilung auf verschiedene Aufgaben.
„Kontaktverfolgung ist das A und O“
Die Teststrategie der Regierung hat allerdings aktuell eine kritische Schwachstelle – abgesehen von den Finanzen. Das großflächige Testen soll es erlauben, Infektionsketten so früh wie möglich zu erkennen und zu brechen. Das Testen ermöglicht es, ein Glied der Kette zu finden und eben zu isolieren. Doch die Herausforderung lautet, die ganze Kette zu erkennen. „Deshalb ist die Kontaktverfolgung das A und O“, so Paul Wilmes.
Doch die „Inspection sanitaire“ kämpft seit Tagen damit, die Kontaktverfolgung überhaupt noch gewährleisten zu können. Mitte Juni war die Gesundheitsbehörde nicht ausreichend mit Personal ausgestattet, um den Anstieg von Infektionen unter Kontrolle zu halten, ergab die Recherche des „Radio 100,7“.
Es werden nun mehr Mitarbeiter in der Kontaktverfolgung eingesetzt. Seit Samstag darf auch nicht-medizinisches Personal diese Aufgabe vollends und offiziell übernehmen. Gesundheitsministerin Paulette Lenert wollte allerdings am Montag im „Radio 100,7“ nicht sagen, ab welcher Zahl an täglichen positiven Tests die Kontaktverfolgung unmöglich wird.
Mitte Juli bezeichnete der „Santé“-Direktor Jean-Claude Schmit 100 tägliche Fälle als oberste Grenze. Ab 60 Fälle pro Tag werde es „sportlich“. Aus den Modellen der Forscher geht hervor, dass eine verdoppelte Kapazität zum „contact tracing“ von 60 auf 120 eine deutliche Auswirkung auf die Fallzahlen, die Belegung der Intensivbetten und die Todeszahlen hat.
„Wir haben darauf bestanden, dass das Gesundheitsministerium alle nötigen Mittel erhält, um das ‚Tracing‘ zu gewährleisten“, betont Mars di Bartolomeo.
Ministerium will sich besser aufstellen
Für das Gesundheitsministerium wird die Belastung ab September noch höher. Dann ist nicht mehr das LIH für das großflächige Testen zuständig, sondern unmittelbar die „Santé“. Deshalb will das Ministerium einen Teil der Aufgaben an externe Dienstleister vergeben.
So zeigt offenbar die heftige Kritik der Opposition und der Presse Wirkung, dass Daten zum Infektionsgeschehen fehlen. Das Ministerium schreibt unter anderem einen Auftrag für die Verwaltung und die Analyse der Daten aus der zweiten Phase des LST aus. Es gehe darum, große Mengen an Daten bei der „Direction de la Santé“ zu zentralisieren und nach mehreren Gesichtspunkten auszuwerten. Ein weiterer Auftrag sieht die tägliche Verwaltung des LST vor, darunter die stichprobenartige Auswahl der Personen, die getestet werden sollen. Welche Rolle das LIH oder „Research Luxembourg“ dabei spielen werden, ist noch offen.
Weitere Aufträge betreffen die Kommunikation und das Marketing sowie das Betreiben einer Hotline. Beides waren deutliche Schwachpunkte zu Beginn des LST. Die Helpline erreichte erst nach und nach die nötige Kapazität und musste mit bis zu 7.000 täglichen Anrufen kämpfen. Der LIH-Generaldirektor Ulf Nehrbass sprach von einer anfänglichen „Lernphase“. Zu Beginn lag die Beteiligung am LST unter den notwendigen 40 Prozent. Erst ab Anfang Juli erweiterte das LIH seine Kommunikationskampagne deutlich.
53.000 Tests pro Woche ab September
In welche Richtung sich die eigentliche Teststrategie entwickelt, lässt sich an der größten Ausschreibung ablesen, mit der der Auftrag des LST ab September vergeben wird. Vier Säulen werden definiert.
Es sollen demnach etwa 10.000 Personen pro Woche getestet werden, die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind: Gesundheitspersonal, Polizisten, Angestellte im Horeca-Sektor, Personal in der Kinderbetreuung und andere. Ein zweiter Schwerpunkt betrifft die Urlaubsrückkehrer und die Saisonsarbeiter. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, sich direkt am Flughafen Findel oder am hauptstädtischen Bahnhof testen zu lassen. Das Ministerium rechnet hier mit 3.000 Tests pro Woche. Wie jene erfasst werden, die mit dem Auto reisen, bleibt aber unklar.
Dazu kommen 36.000 wöchentliche Tests von stichprobenartig ausgewählten Personen – sowie es auch bisher passierte. Und schließlich soll es mobile Teststationen geben, die bei Bedarf Tausende Tests pro Woche an Infektionsherden durchführen können. Es gehe darum, rund um einen Infektionsherd testen zu lassen – ein sogenanntes „Cluster Testing“.
Unklares Budget
Die gute Nachricht: Der Staat verfügt noch über einen Bestand von 175.000 Testkits der Firma Fast Track Diagnostics. Das reicht um nochmals die gesamte Bevölkerung plus Grenzgänger zu testen.
Nicht so klar ist aber der Kostenpunkt. Für die Durchführung der Tests in der ersten Phase lag das Budget bei 26,4 Millionen Euro, bestätigt das LIH auf Nachfrage. Diese mit den „Laboratoires Réunis“ vereinbarte Summe veröffentlichte das Institut Ende Juni. Dazu kommen 6 Millionen Euro, die das LIH für andere Aufgaben rund um das „Large Scale Testing“ ausgab. Ursprünglich war die Regierung von 40 Millionen Euro ausgegangen – allerdings sollte damit bis Ende August getestet werden.
Doch maximal 32,5 Millionen Euro für zehn Wochen „Large scale testing“ lassen daran zweifeln, dass die geplanten 60,7 Millionen Euro für 30 Wochen reichen werden.