Einst sorgte das Freihandelsabkommen mit Kanada für viel Wirbel. Drei Jahre später ist das Interesse an CETA abgeflaut, obwohl die Abgeordneten im Herbst über dessen Ratifizierung abstimmen. Was früher die Gemüter bewegte, wird heute pragmatisch als Formalität abgetan.
Einst riefen sie enthusiastisch zum Kampf auf. Die Plattform „Stop TTIP & CETA“ wehrte sich 2016 lautstark gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Besonders CETA, in Jean-Claude Junckers Worten, das „beste, fortschrittlichste Abkommen, das die EU je abgeschlossen hat“, stieß bei Teilen der Bevölkerung auf Widerstand.
Umweltorganisationen, Gewerkschaften und die linken Flügel von LSAP und Déi Gréng befürchteten, dass die europäischen Standards in puncto Lebensmittelmittelsicherheit und Arbeitnehmerrechte abgeschwächt und das Abkommen insbesondere Konzernen und Investoren nutzen würden.
Der Streit um CETA drohte gar Luxemburgs Sozialisten zu spalten. Jungsozialisten und der Gewerkschaftsflügel der LSAP wehrten sich vehement gegen das Freihandelsabkommen. Sie protestierten, sie kritisierten, sie forderten die eigene Parteispitze öffentlich heraus. Vor allem gegen Jean Asselborn richtete sich ihre Kritik. Er war es, der als Minister für den Außenhandel das Abkommen auf EU-Ebene mit aushandelte und entschlossen verteidigte.
Für mich war es eine riesige Enttäuschung. Ich dachte, in der Partei säßen noch Idealisten.“Georges Sold, LSAP
Der Sonderparteitag am 4. Oktober 2016 glich denn auch einem Showdown zwischen alter Riege und Nachwuchs, zwischen Pragmatikern und Idealisten. Für Jean Asselborn ging es gar um seine politische Zukunft. Ganz im Stile Jean-Claude Junckers drohte er damit, sein Amt niederzulegen, wenn sich die Partei gegen das Abkommen stellt. Dazu kam es nicht, die LSAP machte den Weg frei.
„Es war sehr emotional“, erinnert sich Georges Sold, inzwischen Präsident der Jungsozialisten. „Wir CETA-Gegner saßen alle an einem Tisch. Wir wurden ausgebuht. Für mich war es eine riesige Enttäuschung. Ich dachte, in der Partei säßen noch Idealisten“.
„Stand Up Against Ceta“
Andere Partei, ähnliches Bild. Auch bei den Grünen sorgte das Handelsabkommen für Unruhe. „Get up. Stand up against CETA“, forderte der damalige EU-Abgeordnete Claude Turmes seine Parteikollegen auf. Im Parlament stimmte er gegen CETA. Sein Aufruf stieß insbesondere bei den jungen Grünen auf Gehör.
Doch die Partei sollte erfahren, dass Teil einer Regierungskoalition zu sein auch bedeutet, eine idealistische Parteibasis in manchen Fragen zu enttäuschen. Die Fraktion, angeführt von Claude Adam, gab sich als Vermittler. „Wir stellen uns nicht freiwillig ins Abseits, indem wir CETA von vorne herein ablehnen“, sagte er damals in der Chamber. Die Grünen mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, eine „schizophrene Partei“ (Laurent Mosar) zu sein, die ihre Ideale verrate.
Von dem damaligen Drama ist heute kaum noch was zu spüren. Jean Asselborn ist weiterhin Außenhandelsminister, weite Teile des CETA sind seit 2017 provisorisch in Kraft. Déi Gréng haben sich längst in eine pragmatische Regierungspartei verwandelt. Der nächste Handelsdeal, Mercosur, liegt bereits auf dem Tisch. Egal ob Sozialisten oder Grüne, CETA scheint ein abgeschlossenes Kapitel zu sein. Dabei steht die Ratifizierung erst an.
Das CETA-Abkommen in Überblick
Das Wirtschafts-und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada wurde nach sieben Jahren Verhandlungen im Februar 2017 vom EU-Parlament angenommen. Als sogenanntes gemischtes Abkommen muss es allerdings noch von den nationalen Parlamenten der 28 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Neben dem weitgehenden Abbau der Zölle, verbessert das Abkommen den gegenseitigen Marktzugang für Waren und Dienstleistungen. Am 21. September 2017 ist CETA vorläufig in Kraft getreten. Die provisorische Anwendung umfasst weite Teile des Abkommens. Ausgenommen sind der Investitionsschutz sowie einzelne Kapitel in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Steuern und geistiges Eigentum. Inzwischen wurde das Abkommen von 13 EU-Staaten ratifiziert. Die französische Nationalversammlung hat erst im Juli für das Abkommen gestimmt. In Luxemburg soll voraussichtlich im Herbst über CETA abgestimmt werden.
Der größte Kampf ist ausgefochten
Im Juni hat Luxemburgs Regierung entschieden, dem Handelsabkommen zuzustimmen. Als „accord mixte“ benötigt CETA die Zustimmung der nationalen Parlamente der EU. Das Recht auf Mitbestimmung haben sie sich hart erkämpft. Auch Luxemburgs Parteien machten Druck auf Jean Asselborn. Sie forderten etwa Mitspracherecht bei der Ratifizierung und Nachbesserungen bei den Schiedsgerichten.
Auf den großen Druck durch Zivilgesellschaft und Mitgliedstaaten hin überarbeiteten Brüssel und Kanada das gemeinsame Abkommen, führten Zusatzprotokolle ein und reformierten die umstrittenen Schiedsgerichte. Letztere gehören denn auch zu jenem Teil des Abkommens, über den die Abgeordneten abstimmen werden.
Wir sehen CETA weiterhin kritisch. Doch der Zug ist abgefahren. Worüber wir jetzt entscheiden, ist nur ein minimaler Teil des CETA.“Stéphanie Empain, Déi Gréng
Doch die initiale Kampfeslust weicht heute allgemeinem Schulterklopfen. „Unser Einsatz hat Früchte getragen. Wir haben erreicht, dass das Abkommen nachgebessert wurde und beim CETA ein reformiertes Schiedsgericht zum Einsatz kommt“, sagt etwa Marc Angel (LSAP). „Die Nachbesserungen an CETA können sich die europäischen Grünen auf die Fahne schreiben“, lobt dagegen Stéphanie Empain. Und auch Laurent Mosar (CSV) ist sich sicher: Die Debatte um CETA „war e gudden Exercice.“
Den Blick pragmatisch nach vorne
Aus diesem Blickwinkel erscheint die Ratifizierung, für die die hiesigen Parteien sich so eingesetzt haben, heute als reine Formalität. „Es wäre merkwürdig jetzt etwas zu kippen, was schon lange in Kraft ist“, beschreibt Meris Sehovic (Déi Gréng) die Haltung seiner Partei im Hinblick auf das Gesetz, das zur Zeit beim Staatsrat zur Begutachtung liegt.
CETA ist das Resultat eines demokratischen Prozesses. Es jetzt nochmals aufzurollen, ist falsch investierte Energie.“Tilly Metz, Europaabgeordnete von Déi Gréng
Stéphanie Empain, die sich für die grüne Fraktion mit der Handelspolitik auseinandersetzt, teilt diese Sicht. „Wir sehen CETA weiterhin kritisch. Doch der Zug ist abgefahren. Worüber wir jetzt entscheiden, ist nur ein minimaler Teil des CETA.“
Ähnlich pragmatisch sieht es auch die grüne Europaabgeordnete Tilly Metz. „Würde ich in Straßburg nochmals abstimmen, würde ich dagegen stimmen. Doch CETA ist das Resultat eines demokratischen Prozesses. Es jetzt nochmals aufzurollen, ist falsch investierte Energie.“ Man wolle diese Energie lieber in das zukünftige Abkommen mit dem südamerikanischen Handelsbündnis (Mercosur) richten.
Auch innerhalb der LSAP hat sich dieser Pragmatismus breit gemacht. Jene, die sich vor drei Jahren so lautstark gegen das Abkommen eingesetzt haben, nehmen heute eine zurückhaltende Haltung ein. Man wolle sich über die Plattform „Stop TTIP & CETA“ gegen die Ratifizierung stark machen und weniger innerhalb der Partei, sagte etwa Nico Wennmacher von den „Linkssozialisten“. „Wir sind jetzt in der Phase nach dem Sommer, wo sich alles wieder einfinden muss. CETA ist in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent“.
Bei den Jungsozialisten scheint die Enttäuschung des Sonderparteitags verdaut. „Ich hatte CETA gar nicht mehr auf dem Plan. Aber wir bleiben bei unserer Position“, sagt deren Präsident Georges Sold.
Schiedsgerichte weiterhin problematisch
Obwohl bereits rund 98 Prozent des Abkommens in Kraft sind, sind jene zwei Prozent über die die nationalen Parlamente abstimmen, alles andere als unbedeutend. Es geht um die reformierten Schiedsgerichte, vor denen Investoren gegen Maßnahmen der CETA-Staaten klagen können, durch die ihnen Gewinne entgehen könnten.
Demnach betreffe das hiesige Gesetzesprojekt zum CETA „einen substanziellen Teil des Abkommens“, sagt Jean Feyder im Gespräch mit REPORTER. Er vertritt die Entwicklungsorganisation „Action Solidarité Tiers Monde“ innerhalb der Plattform „Stopp TTIP & CETA“ und betont: „Die Parteien haben auch jetzt noch die Macht, CETA zu beeinflussen“.
Die Schiedsgerichte sind eine Bedrohung für die Demokratie.“Jean Feyder, Action Solidarité Tiers Monde
Für den ehemaligen Diplomaten sind die Verbesserungen an den Schiedsgerichten, für die sich Regierungsparteien und CSV so stark machten, kaum der Rede wert. „Die Schiedsgerichte sind eine Bedrohung für die Demokratie. Damit geben die Parlamente eine Kompetenz ab und Firmen können weiterhin gegen Staaten klagen, wenn ihnen Gesetze nicht passen.“
Dass es sich bei der Ratifizierung nicht um eine reine Formalität handelt, zeigt etwa die Debatte in Frankreich. Zwar hat die Nationalversammlung letztlich für das Gesetz gestimmt. Dem ging jedoch eine Debatte voraus, in der Vertreter der Regierungspartei auf viele Fragen keine Antwort wussten.
Über ein Presseschreiben hat „Stop TTIP & CETA“ die Parteien erst im Juli dazu aufgerufen, das Abkommen nicht zu ratifizieren. Darin verweist die Plattform der Kritiker auf eine rezente Studie von Umweltorganisationen, welche anhand von Fallbeispielen aufzeigt, wie die Schiedsgerichte die Welt zugunsten der Interessen von Konzernen verändern könnten.
Von den Parteien gab es dazu keine Rückmeldung, betont Blanche Weber, deren „Mouvement écologique“ die Plattform anführt und an der besagten Studie beteiligt war. „Das Thema ist momentan nicht in der Aktualität. Wenn bekannt ist, wann genau sich die Abgeordneten mit dem Gesetz auseinandersetzen, dann werden wir auch wieder aktiv werden.“ Unter anderem wolle man die Abgeordneten dazu auffordern, CETA nicht zu stimmen und sich für eine andere Generation von Handelsabkommen einsetzen. Im Oktober hat der „Mouvement écologique“ denn auch eine Konferenz zur EU-Handelspolitik angesetzt, bei der auch das CETA-Abkommen thematisiert werden soll.
Doch die Hoffnung, dass die Abgeordneten gegen das Abkommen stimmen, ist jedoch gering. Die Schlacht um CETA scheint verloren.