Jede schwangere Frau hat Anspruch auf Hebammenhilfe. Bei Geflüchteten kann diese jedoch zur besonderen Herausforderung werden. Sprachbarrieren, instabile Wohnsituationen und traumatische Fluchterfahrungen erschweren die Betreuung. Eine Hebamme berichtet.
Schnell desinfiziert sie sich noch die Hände und zieht die Maske über Mund und Nase. Sie schiebt ihren Rollkoffer über den Asphalt und klingelt an der Tür eines Mehrfamilienhauses in Ettelbrück. Betty Krombach ist Hebamme, sie kümmert sich überwiegend um geflüchtete Frauen und ihre Babys. Ihr erster Hausbesuch ist heute bei Djamila*, einer jungen Frau aus Syrien, die vor wenigen Wochen ihr erstes Baby bekommen hat.
„Come in, come in“, sagt Djamila und geht vor ins Wohnzimmer, wo ihr kleiner Sohn in einer Wippe vor sich hin schaukelt. Djamila lächelt ihn an und liebkost ihn mit Blicken und syrischen Kosenamen. Auf den Besuch von Betty Krombach heute hat sie sich sehr gefreut. „Geht ihr jeden Tag raus?“, fragt die Hebamme. „Wie sind eure Nächte? Wie war es beim Kinderarzt? Hat er seine Impfungen bekommen?“ Sie blickt auf ein Rezept, das auf dem Wohnungstisch liegt. „Und dir, wie geht es dir, Djamila?“
Djamilas Gesichtsausdruck verändert sich, das Lächeln ist verschwunden, ihr Ton wird dunkler. „I am alone. I am afraid of everything“, sagt sie. „I hate myself for not understanding, for not being able to answer.“ Djamila schluckt, spricht weiter: „I want to learn French. I want to study again someday.“ Sie zupft an ihrer Leggings, dann sagt sie: „I hate myself for doing nothing.“
Betty Krombach widerspricht vehement: Sich um einen Säugling zu kümmern, sei ein Fulltimejob. Es sei allein Djamilas Verdienst, dass ihr Baby heute so gut entwickelt und ausgeglichen sei. Dennoch scheint das Lob die Mutter nur kurz aufzumuntern. Sie blickt auf ihren Sohn, der in den Armen von Betty Krombach durch die Wohnung kreist. Ihre Mutter fehle ihr so sehr, erzählt Djamila. Sie sei die älteste Tochter, ihr Sohn das erste Enkelkind der Familie, ohne Krieg wäre seine Geburt sicher das Familienfest des Jahrzehnts geworden.
„Wir können nur das Nötigste tun“
Als Betty Krombach wieder im Auto sitzt, auf dem Weg zum nächsten Termin, erzählt sie von der Einsamkeit der meisten jungen Mütter, die sie betreut. Von den Sprachbarrieren, der Abhängigkeit, der Isolation, also von all jenen Faktoren, die am Ende auch einer erfolgreichen Integration von Familien im Weg stehen können.
Wegen einer veralteten Ausstattung in vielen Flüchtlingsheimen können manche jungen Mütter nicht einmal Wasser kochen. Eigentlich bräuchten wir eine Einrichtung speziell für junge Familien.“Betty Krombach, Hebamme
Die meisten von ihnen seien alleinstehend. Wenn es denn einen Mann, einen Partner, einen Vater gebe, dann sei es meistens er, der sich um Papiere und Geld kümmere, der Sprachkurse besuche und eventuell studiere oder arbeite. „Die Mutter bleibt zu Hause, bei ihrem Baby. Tag für Tag“, erzählt Betty Krombach. „Es fehlt an Angeboten, an Auffangstrukturen für die Frauen.“
Die „Initiativ Liewensufank“, für die auch Betty Krombach arbeitet, hat vor fünf Jahren den Dienst „BabyWelcome“ ins Leben gerufen, um gezielt schwangere Frauen und Wöchnerinnen zu betreuen, die internationalen Schutz beantragt haben oder den Flüchtlingsstatus besitzen. 150 Frauen seien im Jahr 2020 durch das Programm unterstützt worden, heißt es vom Familienministerium, mit dem der Verein eine Konvention unterhält.
20 Stunden pro Woche stehen den Hebammen für „BabyWelcome“ zur Verfügung. Für Betty Krombach ist das Programm zwar der richtige Ansatz, doch die Stundenzahl sei viel zu niedrig. Zumal die Initiative die einzige Vereinigung ist, die eine derartige Konvention mit dem Ministerium besitzt, wie die Pressesprecherin auf Nachfrage von Reporter.lu bestätigt. „Für präventive Arbeit bleibt kein Platz, wir können nur das Nötigste tun“, sagt Betty Krombach.
Mangel an spezialisierten Einrichtungen
Später klingelt die Hebamme bei Lishan*, einer jungen Frau aus Eritrea. Ihr Mann Tamrat* macht die Tür auf. Das knapp zwei Wochen alte Töchterchen auf dem Arm. Lishan habe sich hingelegt, der Kaiserschnitt, die Narbe, sie habe Schmerzen. Doch er habe das Baby diese Woche drei Mal gebadet, erzählt Tamrat. Bei exakt 37 Grad, so wie Betty Krombach es ihm bei ihrem letzten Besuch erklärt habe. In der Wohnung der Familie ist es feucht, die Heizung läuft auf Hochtouren, doch der Schimmel zwischen den Ritzen der Fensterrahmen, den Tamrat jede Woche wegmacht, kommt immer wieder.

Der Fall der jungen Familie zeigt die Wirklichkeit, der die Hebamme täglich begegnet. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die bereits zur Unterstützung der Familien beitragen können, doch Betty Krombach sieht in Luxemburg ein strukturelles Problem.
Im vergangenen Frühjahr hat Betty Krombach ihre Masterarbeit abgeschlossen. Das Thema: „Die Betreuung von geflüchteten Müttern und ihren Babys rund um die Geburt“. Ihre Studie bestätigt die Forschungsergebnisse aus dem Ausland, die zum Beispiel der deutsche Verein „Pro Familia“ zusammengetragen hat.
„Wir müssen die Familien entlasten und stärker einbinden“, fordert Betty Krombach. Vor allem alleinstehende Frauen, aber auch Familien mit kleinen Kindern müssten durch speziell für sie eingerichtete Wohnstrukturen unterstützt werden. In ihrer Masterarbeit spricht sie von fehlenden Angeboten, etwa leicht erreichbare Sprachkurse und Krabbelgruppen.
„Wegen einer veralteten Ausstattung in vielen Flüchtlingsheimen können manche jungen Mütter nicht einmal Wasser kochen“, erzählt die Hebamme. „Eigentlich bräuchten wir eine Einrichtung speziell für junge Familien.“ Doch das „Office national de l’accueil“ (ONA) verwaltet keine Unterkunftseinrichtungen, die auf die Bedürfnisse von schwangeren Frauen und Familien mit Babys und Kleinstkindern ausgerichtet sind. Eine solche Einrichtung sei auch nicht geplant, da sie „dem Sinne der Diversität“ zuwiderlaufe, wie es ein Sprecher der Behörde auf Nachfrage von Reporter.lu ausdrückt.
Kulturelle Unterschiede, soziale Bedürfnisse
Dennoch würden die besonderen Bedürfnisse von schwangeren Frauen sowie Babys und Kleinkindern bei ihrer Aufnahme und Betreuung gezielt berücksichtigt, versichert das ONA und verweist auf das Gesetz vom 18. Dezember 2015 zur Aufnahme von Antragsstellern auf internationalen Schutz. Darin werden mehrere Personengruppen, darunter schwangere Frauen und kleine Kinder, als besonders schutzbedürftig definiert. In den ersten drei Monaten erfolge die medizinische Erstbetreuung durch eine „Cellule Santé“ der Gesundheitsbehörde. Schwangere Frauen würden direkt an einen Frauenarzt ihrer Wahl überwiesen. Ein Sozialarbeiter helfe bei administrativen Schritten. Dolmetschende und Fachpersonal mit interkulturellen Kompetenzen stünden bei Bedarf zur Verfügung, so die Antwort des ONA.
Ich versuche sie zu bestärken, dass ihre Kindererziehung nicht unserem Standard hier entsprechen muss.“Betty Krombach, Hebamme
Doch sind es gerade die kulturellen Unterschiede sowie fehlende sprachliche und interkulturelle Kompetenzen, die die Situationen von geflüchteten Frauen und ihren Babys schnell verschlechtern können. Betty Krombach bemängelt, dass das Fachpersonal oft nicht auf die spezifischen Situationen ihrer Patientinnen eingehen würde. Sie erzählt von einigen Kinderärzten und Gynäkologen, die kaum personalisierte Betreuung, sondern eher Dienst nach Vorschrift anbieten würden.
„Sie schreiben für jede junge Mutter und ihr Baby dasselbe Rezept auf“, erzählt Betty Krombach. Ein paar Vitamine, Kochsalzlösung, um die Nase des Babys zu reinigen, und eine teure Wundsalbe stünden da zum Beispiel drauf. „Die Wundsalbe braucht sicher nicht jedes Baby“, sagt die Hebamme. „Doch die Frauen kaufen sie, der Arzt hat es ja gesagt. Und das Geld fehlt dann wiederum bei den Lebensmitteln.“
Viele Frauen, die nach Luxemburg kämen, würden glauben, dass hier alles besser sei als in ihrem Heimatland, erzählt Betty Krombach. Durch Fluchterfahrungen würden eigene Traditionen und Überzeugungen leicht verdrängt. „Ich versuche sie zu bestärken, dass ihre Kindererziehung nicht unserem Standard hier entsprechen muss“, sagt die Hebamme.
Betty Krombach nennt das Beispiel des Kinderwagens. Obwohl die meisten der Frauen ihre Kinder lieber tragen und aus ihren Heimatländern die Techniken dafür kennen, wünschten sie sich hier einen Kinderwagen. Auch als Statussymbol, als Zeichen für ihren Willen zur Integration. „Wenn ich ihnen dann erzähle, dass auch ich davon überzeugt bin, dass der Körperkontakt durch das Tragen für ihre Kinder zumindest in den ersten Lebensmonaten das Beste ist, was sie für ihr Kind tun können, dann sind sie oft ganz erstaunt.“
Die schwierige Traumabewältigung
Doch Fluchterfahrungen können nicht nur eigene Überzeugungen verdrängen, sie können auch großen Einfluss auf den Aufbau einer Mutter-Kind-Bindung haben. Djamila und Lishan wollten ihre Babys, es sind Wunschkinder. Doch nicht jede Mutter sei in der Lage, eine Bindung zu ihrem Baby aufzubauen, erzählt Roland Seligman im Gespräch mit Reporter.lu.
„Ihre Schwangerschaften sind nicht selten das Ergebnis einer Vergewaltigung, die die Frauen auf dem Weg aus ihrem Heimatland zu uns erleben mussten“, so der Präsident von „Alupse“, einer Vereinigung von Kinderärzten und anderen Fachleuten, die sich um psychosozial belastete Familien kümmert. „Wir brauchen viel mehr ausgebildete Traumatherapeuten“, fordert Roland Seligman. Die meisten Menschen könnten sich überhaupt nicht vorstellen, was einige seiner Patientinnen erlebt hätten.

Betty Krombach ist nun bei Esma* angekommen. „Habt ihr Nachrichten von den Behörden?“ fragt die Hebamme die junge Mutter, nachdem sie sich versichert hat, dass sich das Baby seit ihrem letzten Besuch weiter gut entwickelt hat. „Ihr solltet doch umziehen.“ Esma zuckt die Achseln, sie hat dazu nichts zu sagen. Stattdessen zieht sie einen kleinen Karton unter dem Bett hervor. In einem Secondhand-Laden hat sie eine Babytrage gekauft. Sie zeigt Betty Krombach die Einzelteile. Die Hebamme sieht sofort, dass die Schnallen fehlen. Ohne Schnallen ist die Trage nutzlos. „Hast du die Trage gekauft? Das ist gut. Ich bringe dir nächstes Mal Schnallen mit“, sagt sie.
Nachher wird sie herumtelefonieren, erst im Laden nach den Schnallen fragen, vergeblich. Dann wird sie versuchen, ein neues Tragetuch aufzutreiben. Sie bringe es bei ihrem nächsten Besuch mit. „Versprochen“, sagt die Hebamme. Esma lächelt und sagt ein leises „Merci“. Der etwa dreijährige Bruder des Babys wich seiner Schwester während des gesamten Besuches nicht von der Seite. Mit nackten Füßen stand er auf den kalten Fliesen und beobachtete jeden von Betty Krombachs Schritten. Gesagt hat er nichts.
Später im Auto klingelt das Telefon der Hebamme. Eine Frau hat Kinderspielzeug gesammelt, schließlich steht Weihnachten vor der Tür. Am Samstag trifft sie sich mit einer Kollegin, sie wollen ein paar Kinderwagen reparieren und Babywäsche waschen, um die Dinge dann an die Familien zu verteilen. Alles ehrenamtlich. „Eigentlich fehlt nicht viel, um es den Frauen etwas leichter zu machen“, sagt Betty Krombach. „Mit einem Mutter-Kind-Sprachkurs in der Region Ettelbrück etwa wäre vielen meiner Patientinnen sehr geholfen.“ Denn, so wiederholt es Betty Krombach immer wieder: „Das Schlimmste ist die Einsamkeit der Frauen.“
*Die Namen der betroffenen Personen wurden von der Redaktion geändert.