Für Mediziner aus Drittländern ist es oft unmöglich, in Luxemburg zu arbeiten. Dringend benötigte Fachkräfte gehen dem Land verloren, da ihre Diplome in Luxemburg nicht anerkannt werden. Der Politik und der Universität sind die Probleme bekannt, doch eine Lösung steht aus.
„Ich habe die Luxemburger Nationalität erworben, um das Land verlassen zu können.“ Diesen Satz aus Hasan Jobs Mund zu hören, ist nicht nur paradox, sondern vor allem tragisch. Denn eigentlich will Hasan Job Luxemburg gar nicht verlassen. Und eigentlich könnte auch Luxemburg ihn, einen ausgebildeten Mediziner, gut gebrauchen.
Seit Hasan Job 2015 aus Syrien floh und Luxemburg ihm politisches Asyl gewährte, sucht er vergeblich nach Möglichkeiten, um hierzulande als Zahnarzt arbeiten zu können. Doch Luxemburg fehlt der legale Rahmen, um medizinische Diplome aus Drittstaaten anzuerkennen und Ärzten eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Der einzige Weg führt über das EU-Ausland. Das Recht, außerhalb des Landes zu leben und zu arbeiten, besteht selbst für anerkannte Flüchtlinge jedoch nicht. Erst jetzt, mit Erhalt der luxemburgischen Staatsbürgerschaft, ist dieser Weg für Hasan Job eine Möglichkeit.
Verpasste Chancen der Migration
Viele seiner syrischen Studienkollegen leben heute in Europa, erzählt er. Sie arbeiteten als Ärzte in Norwegen, Schweden, Österreich oder Deutschland. Und sie hätten dem Land, das sie aufnahm, besonders jetzt in der sanitären Krise, etwas zurückgeben können. „Geglückte Integration nennt man das wohl“, meint Hasan Job dazu etwas bitter.
Er betont immer wieder, dass er Luxemburg sehr dankbar sei, dass er sich hier wohlfühle, viele Freunde habe. Doch beruflich sei Luxemburg für ihn eine Sackgasse. „Ich werde seit sieben Jahren blockiert. Als ich meinen Asylantrag stellte, hatte ich nicht auf dem Schirm, dass ich in Luxemburg vielleicht niemals arbeiten würde. Das konnte ich mir nicht vorstellen“, sagt der heute 34-Jährige.
Auf der einen Seite haben wir einen Fachkräftemangel, auf der anderen Seite gibt es Menschen, die helfen könnten, ihn auszugleichen. Doch die beiden Enden kommen einfach nicht zusammen.“Marc Piron, Asti
„Migration kann Löcher stopfen und Sprachbarrieren einreißen. Wir zum Beispiel suchen ständig nach arabischsprachigen Ärzten.“, sagt Marc Piron, Mitarbeiter der Asti (Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés). „Luxemburg hat seine Chancen komplett verpasst“. Positive Aspekte der Migration würden hier im Land nicht oder erst viel zu spät erkannt.
Hasan Jobs Geschichte hat Marc Piron so, oder so ähnlich, schon viele Male gehört. Fachkräfte, die ihre Universitätsabschlüsse in Drittländern absolviert haben, müssten entweder beruflich umsatteln oder Luxemburg verlassen. Das gilt vor allem für Berufe aus dem medizinischen Bereich, aber auch aus dem Bildungswesen.
Automatische Anerkennung innerhalb der EU
Marc Piron erzählt von Ärzten, die nun auf dem Bau oder in der Gastronomie arbeiteten. Und von anderen, die an ihrem Beruf festhielten und jetzt in Krankenhäusern in Saarbrücken, Trier oder Bad Homburg angestellt seien. „Auf der einen Seite haben wir einen Fachkräftemangel, auf der anderen Seite gibt es Menschen, die helfen könnten, ihn auszugleichen“, analysiert er. „Doch die beiden Enden kommen einfach nicht zusammen.“

Das Problem ist recht einfach zu benennen. Bei Medizinern handelt es sich um reglementierte Berufe, für die eine akademische Anerkennung des Grades eines Diploms nicht ausreicht. Um als Arzt, aber auch als Krankenpfleger, in Luxemburg arbeiten zu können, braucht es die „professionelle Anerkennung der Berufsqualifikation“, wie es im Ministerien-Jargon heißt.
Diese Anerkennung funktioniert bei medizinischen Ausbildungen aus einem anderen EU-Land automatisch, da sowohl Studieninhalte als auch Studiendauer durch eine EU-Richtlinie geregelt und angeglichen sind. In einem Anhang sind all jene Diplome aufgelistet, die EU-weit als gleichwertig anerkannt werden. Die Arbeitserlaubnis kann das Gesundheitsministerium dann direkt ausstellen.
Kein vollständiges Medizinstudium möglich
Bei Diplomen aus Drittländern wird es allerdings kompliziert, da eine so genannte Äquivalenzprüfung durchgeführt werden muss. Solch eine Prüfung ist allerdings nur möglich, wenn die Fächer, in denen geprüft werden soll, auch zur Ausbildung angeboten werden. Sonst fehlen dafür schlichtweg die Kompetenzen. Da ein Medizinstudium in Luxemburg nicht vollständig möglich ist, gibt es keinen Referenzrahmen und somit auch keine legale Basis dafür, eine Grundausbildung in Medizin zu prüfen und anzuerkennen.
„Ein Medizinerdiplom aus einem Drittstaat kann nicht direkt in Luxemburg anerkannt werden, der Antragsteller kann aber eine Berufsqualifikation aus einem anderen EU-Land vorweisen, welche dann im Zuge einer Ausübungszulassungsprozedur als gleichwertig anerkannt wird“, heißt es hierzu aus dem Hochschulministerium auf Anfrage von Reporter.lu. Geflüchteten, wie Hasan Job, ist dadurch nicht geholfen. Und selbst wenn Menschen aus Drittstaaten den Umweg über das EU-Ausland auf sich nehmen, ist fraglich, ob sie dann wieder nach Luxemburg zurückkommen werden.
Trotz Fachkräftemangel vergrault Luxemburg seine Mediziner und ausgebildeten Psychiater. Das Parlament debattiert währenddessen über steigende Selbstmordraten.“Marc Schmidt
Eine, die versucht hat, ihre Möglichkeiten auszuloten, ist Anna Schmidt. In der Ukraine hat sie Medizin studiert, ihre Facharztausbildung in Psychiatrie absolviert und einige Jahre in ihrem Beruf gearbeitet. Aus persönlichen Gründen kam sie dann nach Luxemburg, heiratete, bekam zwei Kinder, lernte die Landessprachen und erwarb die Luxemburger Nationalität.
Doch auch sie versucht seit 2015 vergeblich, in Luxemburg arbeiten zu können. Ihre Diplome hat sie von den zuständigen Behörden in Litauen anerkennen lassen. Trotz dieser Anerkennung innerhalb der EU erteilte Luxemburg ihr dennoch jahrelang keine Arbeitserlaubnis. Auch der Zugang zu einer Facharztausbildung in Allgemeinmedizin an der Universität Luxemburg wurde ihr verwehrt.
„Trotz Fachkräftemangel vergrault Luxemburg seine Mediziner und ausgebildeten Psychiater. Das Parlament debattiert währenddessen über steigende Selbstmordraten“, macht Ehemann Marc Schmidt seiner Verständnislosigkeit Luft. Er erwägt nun, Klage einzureichen gegen die Ablehnung zur Facharztausbildung seiner Frau.
Ohne Master keine Anerkennung
Ausgangspunkt dieser Klage ist die Verabschiedung eines neuen Gesetzes im Juli 2020. Darin werden die Bedingungen definiert, unter denen an der Universität Luxemburg Facharztausbildungen in der Allgemeinmedizin, in der Onkologie und in der Neurologie abgehalten werden sollen. Ausschlaggebend sind, nicht nur für die Familie Schmidt, hingegen jene Änderungen im Gesetz, durch die Ärzte mit einem Grunddiplom der Medizin aus einem Drittstaat nun Zugang zu ärztlichen Weiterbildungen an der Universität Luxemburg bekommen sollen.
Hat eine Fachkraft mit einem Drittstaatendiplom den Weg über das EU-Ausland auf sich genommen und ihre Grundausbildung in der Medizin anerkennen lassen, darf ihr die Zulassung zur Facharztausbildung an der Universität Luxemburg nun nicht mehr ohne Weiteres verweigert werden.
„Die EU-Richtlinie wurde in Luxemburg zu restriktiv ausgelegt“, bestätigte eine Sprecherin der Europäischen Kommission gegenüber Reporter.lu. Die Zulassungsbedingungen zur Facharztausbildung verwiesen in der Luxemburger Gesetzgebung fälschlicherweise auf die im Anhang der Richtlinie aufgelisteten EU-Diplome und schlossen somit anerkannte Drittstaatendiplome aus. Diese „Falschumsetzung der Richtlinie“ sei mit dem neuen Gesetz nun behoben worden, hieß es von Seiten der Europäischen Kommission.
Solange wir keinen Masterstudiengang Medizin anbieten können, werden wir Probleme haben.“Paul Heuschling, Professor an der Uni Luxembourg
Das neue Gesetz kann zwar in Einzelfällen die Teilnahme an Spezialisierungen ermöglichen, packt das Problem um die Anerkennung von Drittstaatendiplomen jedoch nicht grundlegend an. Beim Medizinstudium in Luxemburg handelt es sich um ein System, in dem die verschiedenen Studienniveaus nicht ineinandergreifen. Ein Bachelor ist möglich, einige Facharztausbildungen auch, doch der zweite Teil der Grundausbildung – Master, Staatsexamen oder ähnliches – muss im Ausland absolviert werden.
Spezialisierungen öffnen
Erst ein Masterstudiengang wird einen Referenzrahmen schaffen, um der Problematik um die Anerkennung entgegenwirken zu können. „Solange wir keinen Masterstudiengang Medizin anbieten können, werden wir Probleme haben“, bringt es Paul Heuschling auf den Punkt.
Der leitende Professor für die Facharztausbildung der Allgemeinmedizin an der Uni Luxemburg schätzt, dass es bis zur Einrichtung eines Masterstudiengangs Medizin an der Universität Luxemburg jedoch noch mindestens fünf Jahre dauern wird. „Bis dahin werden wir keine Möglichkeiten haben, Kenntnisprüfungen abzunehmen oder auch eventuell nötige Aufholkurse anzubieten“, sagt der Professor. Sowohl das Gesundheitsministerium, als auch das Hochschulministerium sind sich der Problematik bewusst. Für Situationen, wie jene von Hasan Job und Anna Schmidt, gebe es in näherer Zukunft keine Lösung.
Mediziner aus Drittländern nun jedoch bereits zur Spezialisierung zulassen zu müssen, sieht Paul Heuschling kritisch. „Wir haben niemanden an der Uni, der die Fähigkeiten von Medizinern aus Drittländern beurteilen kann, deshalb werden wir bei jedem einzelnen Kandidaten Rücksprache mit den Ministerien halten“, sagt Paul Heuschling. Er erinnert an die streng geregelten Medizinstudiengänge in Europa und verweist auf die Verantwortung von Medizinern gegenüber der Gesellschaft. „Medizinstudiengänge auf anderen Kontinenten folgen anderen Kriterien, das passt nicht immer zusammen“, warnt der Professor.
Am meisten Sorgen bereiten Paul Heuschling, „eventuelle Gerichtsentscheide“, die seinen Fachbereich dazu verpflichten könnten, bestimmte Menschen aufzunehmen, für die andere wiederum abgewiesen werden müssten. Denn die Plätze der Ausbildung seien begrenzt.
Eine Zukunft im Ausland
Anna Schmidt jedenfalls wird sich kein weiteres Mal für die Facharztausbildung bewerben. Beruflich in Luxemburg Fuß zu fassen, ist für sie heute keine Option mehr. Sie arbeitet mittlerweile in der psychiatrischen Abteilung der Uniklinik im saarländischen Homburg. Das Landesamt für Soziales in Saarbrücken hatte ihr im September 2019 zunächst eine vorübergehende Arbeitserlaubnis und im Sommer 2020 dann letztendlich die Approbation als Ärztin erteilt.
Und Hasan Job lotet gerade seine Möglichkeiten in Deutschland, Schweden oder Irland aus. Seine Frau hat sich bereit erklärt, ihren Job in Luxemburg zu kündigen und mit ihm zu kommen. Damit Hasan Job sich in einem neuen Land den Prüfungen stellen und endlich arbeiten kann. Ärzte werden schließlich überall gebraucht.