Mit offenen Augen sollte man durchs Leben gehen – und mit gesunden. Wer aber einen Termin beim Augenarzt braucht, muss oft Monate warten. Von einem Mangel an Fachkräften spricht so gut wie niemand. Was aber viele Patienten nicht wissen: Manchmal können Optiker Hilfe leisten. 

Sitzt der Patient im Behandlungszimmer, ist bereits eine erste Hürde geschafft. Bis dorthin kann es aber manchmal dauern. Einige Wochen, manchmal auch Monate braucht es, bis der Patient in Luxemburg einen Augenarzttermin bekommt. Schaut man auf dem Buchungsportal Doctena nach gibt es bei so manchen Augenärzten den nächsten freien Termin frühestens im Januar 2019 – also in gut zwei Monaten. Je nachdem, um welchen Arzt es sich handelt, sind sogar Wartezeiten von drei bis neun Monaten nicht unüblich.

Wodurch entstehen die langen Wartezeiten? Die Bevölkerung wächst und wird stetig älter. Damit steigt nicht nur die Zahl der Patienten, sondern auch derjenigen, die Krankheiten, wie grauer oder grüner Star behandeln lassen müssen. Ein herkömmlicher Sehtest oder eine Augenkontrolle wird neben solchen Fällen eher zur Nebensache. Wenn also kein Notfall vorliegt, muss der Patient in der Regel warten.

Wir behandeln viele Kinder und vor allem ältere Menschen. Sie drängen andere Patientengruppen aus den Praxen.“Dr. Marc Theischen

Gibt es neben einem Mangel an Allgemeinmedizinern dann also auch einen Mangel an Augenärzten in Luxemburg? Die Société Luxembourgeoise d’Ophtalmologie (SLO) sagt Nein. Dr. Marc Theischen, Präsident des Verbandes erklärt, dass es praktisch in ganz Europa einen Mangel an Fachärzten gebe – im Vergleich zu anderen Ländern sei Luxemburg aber gut aufgestellt. Beim Onlineportal eSanté werden insgesamt 76 aufgelistet.

„Vergleicht man unsere Situation mit der in Deutschland oder Frankreich, sind wir überdurchschnittlich gut.“ Ein paar Monate Wartezeit sei bei Augenärzten völlig normal – und ein Sehtest habe im Normalfall keine Eile.

Ältere Patienten müssen öfter zum Augencheck

Doch Theischen sagt, dass die Wartezeiten auch stark mit dem Patientenprofil zusammenhängen. „Wir behandeln viele Kinder und vor allem ältere Menschen. Sie drängen andere Patientengruppen aus den Praxen. Weil wir für sie längere oder mehr Behandlungszeiten einplanen, bleibt für andere automatisch weniger Zeit“, sagt er.

Ähnlich sieht es Dr. Tom Pavant vom „Centre Ophtalmologique Place de Paris“. Auch er sagt, dass man im Vergleich zu anderen EU-Ländern bei den Augenärzten in Luxemburg gut aufgestellt ist. Wartezeiten von einigen Monaten seien für einen Kontrolltermin durchaus normal.

Je früher der Patient operiert wird, desto früher muss er auch zu regelmäßigen Kontrollen kommen. Der medizinische Aufwand ist also größer.“Dr. Tom Pavant

Pavant sagt aber auch, dass die Behandlungen bei älteren Patienten nicht unbedingt länger dauern als bei anderen. Für ihn liegt das Problem darin, wie oft Patienten ihren Augenarzt aufsuchen. Senioren würden dabei häufiger zur Kontrolle kommen als jüngere Patienten, das sei auch normal. „Ältere Patienten sind anfälliger für Krankheiten, müssen also öfter zur Kontrolle oder zur Behandlung von bereits erkannten Krankheiten.“

„Vom medizinischen Standpunkt her dauert eine Kontrolle bei älteren Menschen nicht viel länger als bei anderen“, betont der Spezialist. „Allerdings sehe ich eine Person ab 60 oder 70 Jahren im Schnitt einmal pro Jahr. Eine Person im Alter von 35 Jahren hingegen nur alle drei bis vier Jahre – wenn überhaupt.“

Krankheiten werden schneller behandelt

Nicht nur das führt zu gut gefüllten Wartesälen bei den Augenärzten. Auch die Art, wie Krankheiten heute behandelt werden, wirkt sich darauf aus. Dr. Pavant erklärt: „Es gibt heute nicht mehr Augenkrankheiten als früher, aber sie werden heute früher erkannt und behandelt. Das hat zur Folge, dass auch immer häufiger Kontrollen durchgeführt werden müssen.“

Es kommen mittlerweile schon mehr Kunden zum Sehtest zu uns als noch vor ein paar Jahren.Serge Milbert, Optiker

Er nennt als Beispiel den grauen Star, eine eher durch das Alter bedingte Krankheit. „Krankheiten werden heute in der Regel schneller erkannt als das früher der Fall war. Die Menschen werden dementsprechend auch rascher operiert. Je früher eine Krankheit erkannt wird, desto besser ist es für den Patienten“, so Pavant. Aber: „Je früher er operiert wird, desto früher muss er auch zu regelmäßigen Kontrollen kommen. Der medizinische Aufwand ist also größer.“

Hinzu komme, dass die Zahl an Diabetikern stetig wächst. Ihnen wird eine Augenkontrolle pro Jahr empfohlen. Und auch diese Fälle summieren sich zu den anderen Krankheiten und herkömmlichen Sehtests. Dabei betont Pavant, dass die Behandlung von Krankheiten natürlich Vorrang hat. Die logische Folge sei, dass man für gewöhnliche Kontrollen in der Regel länger auf einen Termin warten müsse.

Optiker können Tests übernehmen

Vor allem bei kleineren Kontrollen gibt es für Patienten aber eine Alternative: Denn nicht jeder, der einen Sehtest braucht, muss zwingend zum Augenarzt. Auch Optiker können diese durchführen. „Es kommen mittlerweile schon mehr Kunden zum Sehtest zu uns als noch vor ein paar Jahren“, sagt Serge Milbert, Leiter von Optique Milbert. „Doch viele Menschen wissen immer noch nicht, dass Optiker diesen Service überhaupt anbieten. Dabei gibt es das schon seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten.“

Der Vorteil eines Sehtests beim Optiker ist klar: Der Patient muss nicht lange auf einen Arzttermin warten. Der Haken: Ob der Sehtest berechnet wird oder nicht, kann jeder Optiker selbst entscheiden. Die einen bieten ihn kostenlos an, die anderen nicht. Von der Krankenkasse wird er jedenfalls nicht erstattet. Wer nach einem Sehtest beim Optiker eine Brille bekommt, bekommt die aber genauso erstattet, als wenn er sie mit einem Rezept eines Augenarztes gekauft hätte.

In einigen Fällen führt aber dennoch kein Weg am Augenarzt vorbei. Kinder unter 14 Jahren brauchen ein Rezept vom Arzt, um eine Brille zu bekommen. Auch Spezialgläser können nur vom Arzt verschrieben werden.

Sehtests und Kontrollen als Kerngeschäft

Milbert sagt, dass manche Augenärzte nichts dagegen haben, dass die Optiker ihnen die Sehtests und somit ein wenig Arbeit abnehmen können. Das bestätigt auch Dr. Tom Pavant. Er schätzt, dass etwa 70 Prozent der Fälle einfache Kontrollen sind, bei denen im Prinzip auch Optiker oder Orthoptisten (die sich auf Brillenanpassungen und Sehtests spezialisiert haben) eine größere Rolle spielen könnten.

Der Augenarzt verweist dabei zum Beispiel auf die Arbeitsteilung, wie sie in England existiert. Dort würden Augenärzte ausschließlich Krankheitsfälle behandeln. Alle anderen Untersuchungen würden von Optikern und Orthoptisten durchgeführt. In Luxemburg würden aber nur Kinder, wenn überhaupt, von Orthoptisten untersucht. Brillenverschreibungen und Sehtests gehören in Luxemburg demnach immer noch zum Kerngeschäft der Augenärzte.

Der Vorteil des englischen Systems liegt laut Pavant darin, dass der Patient nur dann zum Augenarzt geschickt wird, wenn der Orthoptist eine Unregelmäßigkeit feststellt. Es gebe aber auch Nachteile dieses Systems. So würden seltene Krankheiten dort mitunter nicht oder erst spät erkannt.

Dramatische Situation in Frankreich

In anderen Ländern, etwa in Frankreich, ist die Situation indes um einiges dramatischer. Bereits heute würden dort viele Patienten keine Termine beim Augenarzt bekommen – nicht einmal in Notfallsituationen, heißt es in französischen Medien. Laut einer Studie warten Franzosen im Schnitt 87 Tage auf einen Augenarzttermin.

Wie „Le Monde“ schreibt, wird die Dichte an Augenärzten in Frankreich bis zum Jahr 2030 um etwa 20 Prozent zurückgehen. Der französische Gerichtshof hat deshalb vorgeschlagen, dass Orthoptisten und Optikern mehr Verantwortung zugeteilt wird. Auch sie sollen künftig Brillen und Kontaktlinsen verschreiben und nicht mehr nur alte Gläser korrigieren dürfen.

In Frankreich oder auch in Belgien beginnt das Problem des Ärztemangels bereits bei der Ausbildung. Denn für die große Nachfrage werden zu wenige Fachkräfte ausgebildet. Pro Jahr sind es in Frankreich nur etwa 150 bis 160. In Luxemburg wird kein Augenarzt-Studium angeboten und Medizinstudenten weichen auf Ausbildungen in Deutschland, Frankreich oder Belgien aus. Und dort ist der Konkurrenzkampf groß.

Nur die besten dürfen Augenarzt werden

Denn die Ausbildungsplätze für Augenärzte sind nicht nur begrenzt, sondern auch beliebt. Wer einen der Plätze ergattern will, muss nicht nur erst ein Medizingrundstudium von sechs Jahren absolvieren, er muss auch an einem Auswahlverfahren teilnehmen und in einem nationalen Ranking aller Medizinstudenten zu den besten zählen, um einen der begehrten Plätze zu bekommen. Zumindest in Belgien und Frankreich. In Deutschland gibt es kein Auswahlverfahren für das Fachstudium. Dort hängt es davon ab, wie viele Assistenzarzt-Plätze pro Jahr an einer Universität frei werden.

Dr. Tom Pavant hat sowohl in Frankreich als auch in Belgien und Deutschland studiert. Und das teure Studium hat sich bezahlt gemacht. Denn an Patienten fehlt es ihm wie allen anderen Augenärzten in Luxemburg nicht. Im Januar 2015 eröffnete er mit zwei Kollegen seine Gemeinschaftspraxis in Luxemburg-Stadt. Wie lange man heute bei ihm auf einen Termin warten muss? „Bei mir gibt es mittlerweile eine Wartezeit von etwa acht Monaten.“