Die Reform des nationalen Busnetzes ist ein Prestigeprojekt des Mobilitätsministeriums. Doch sie beschäftigt bereits die Gerichte. Für die beteiligten Unternehmen geht es um viel Geld – und damit um die Existenz in einem zunehmend konzentrierten Markt.

Seit dem 17. Juli 2022 ist die Reform des „Régime général des transports routiers“ (RGTR) offiziell abgeschlossen. Die Fahrgäste müssen sich daran gewöhnen, dass die 111 nicht mehr nach Echternach, sondern nach Mersch fährt. Aber ist die Umgewöhnungsphase erst einmal überstanden, soll alles besser werden. Mehr Busse, eine höhere Taktung und eine bessere Zuganbindung, das verspricht die Reform von Mobilitätsminister François Bausch (Déi Gréng).

Doch hinter den Kulissen verläuft die Reform weniger reibungslos, als es die Darstellung des Ministeriums vermuten lässt. Denn mehrere Busunternehmen haben gegen das Ausschreibungsverfahren für die neuen RGTR-Linien geklagt.

Es ist ein Rechtsstreit, der dazu führen könnte, dass mehrere Buslinien neu vergeben werden müssen. Zudem sind die lukrativen Aufträge des Staates vor allem für kleinere Busunternehmen die Existenzgrundlage. Für sie geht es oft um die Zukunft des Betriebs und der Mitarbeiter. Insgesamt vergibt der Staat über die Ausschreibungen der RGTR-Linien Aufträge in Höhe von 1,2 Milliarden Euro über eine Laufzeit von sechs Jahren.

Angebote sind verbindlich

In einem ersten Gerichtsverfahren geht es um mehrere Linien im Hauptstadt-Gürtel. Darunter etwa jene, die Bartringen mit dem Flughafen Findel verbindet, sowie die Linie zwischen Capellen und Leudelingen. Für die Ausschreibung wurden die Linien vom Mobilitätsministerium in einem Los zusammengeführt. Neben weiteren Busgesellschaften hatte sich die Firma „Autocars Altmann“, die zur „Vandivinit“-Gruppe gehört, um den Auftrag beworben.

Doch das Angebot der Busgesellschaft wurde vom Mobilitätsministerium abgelehnt. Die Begründung: Das Angebot sei ungültig, da das Unternehmen die Stundenzahl falsch berechnet habe. Der Hintergrund: Das Busunternehmen hatte die sogenannten „Temps de battement“, also jene Zeit zwischen zwei Fahrten, an denen der Bus an der Endhaltestelle wartet, mit in die Kalkulation einfließen lassen.

Gegen diese Sichtweise des Ministeriums hatte das Busunternehmen Anfang des Jahres Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Denn, so die Begründung des Betriebs, das Ministerium hätte dem Unternehmen entweder die Möglichkeit einräumen müssen, den Fehler selbst zu korrigieren, oder das Ministerium hätte die Daten in Eigenregie ändern können.

Dieser Interpretation des Vergaberechts ist das Verwaltungsgericht in seinem Urteil am 30. August nicht gefolgt. Die Richter begründen ihr Urteil unter anderem damit, dass das Unternehmen das Ministerium vor dem Einreichen des Angebots über Unklarheiten in der Ausschreibung in Kenntnis hätte setzen können. Laut Gericht ist dies eine Möglichkeit, auf die andere Betriebe während der Vergabe zurückgegriffen hätten. Sei das Angebot erst einmal abgegeben, so sei es verbindlich, so die Lesart der Richter. Änderungen seien dabei nur in Ausnahmefällen möglich – etwa wenn es bei den technischen Werten im Lastenheft zu einem Rechenfehler gekommen sei.

Rechenfehler als Entschuldigung

Ähnlich gelagert war auch ein zweiter Fall, der kürzlich ebenfalls vor dem Verwaltungsgericht verhandelt wurde. Denn auch die Firma „Bollig“ aus Echternach hatte sich auf mehrere RGTR-Aufträge beworben. Allerdings gab es in den Dokumenten der Firma eine Diskrepanz zwischen den Stundentarifen und der Gesamtsumme, die der Busbetrieb abrechnen wollte. Ein simpler Rechenfehler, betonte das Unternehmen. Doch das Mobilitätsministerium verwarf das Angebot.

Gegen diese Entscheidung klagt der Busbetrieb aus Echternach. Denn, so auch die Anwälte von „Bollig“, das Ministerium hätte den Fehler korrigieren können oder dem Unternehmen die Möglichkeit bieten müssen, es selbst zu tun. Doch auch in diesem Fall ist das Urteil des Verwaltungsgerichts eindeutig: Eine nachträgliche Änderung eines verbindlichen Angebots verstoße gegen das Vergaberecht. Zudem hätte der Fehler dem Betrieb selbst auffallen müssen, bevor er die Dokumente einreichte.

Das Argument, dass es sich bei Änderungen des Preises oder der geleisteten Stunden nicht bloß um einen Rechenfehler handele, betonten die Richter auch in ihrem Urteil im Fall von „Autocars Altmann“. Es gehe dabei um die Preisgestaltung und somit den Kern einer Ausschreibung. Hier seien nachträgliche Änderungen des Angebots sowohl durch die Firma als auch durch das Ministerium unzulässig, betonen die Richter in ihrem Urteil. Dies sehe unter anderem auch die europäische Rechtsprechung so vor.

Konkurrenz erhebt Vorwürfe

Die Konkurrenz des Busunternehmens hegt Zweifel daran, dass es sich bei der Kalkulation im Angebot von „Autocars Altmann“ lediglich um eine Fehlinterpretation der Ausschreibung handele. Vor Gericht vertreten waren dabei „Voyages Emile Weber“ und „Sales-Lentz“ – jene Unternehmen, die den Auftrag für die betreffenden Strecken schließlich erhalten haben.

Der Vorwurf dieser Unternehmen: Die Anpassung der geleisteten Stunden sei kein Zufall, sondern gewollt. So betont etwa der Anwalt von „Sales-Lentz“ vor Gericht, dass die angepassten Stunden sich nicht allein durch die Zwischenstopps an den Endhaltestellen erklären würden, dies hätten eigene Berechnungen des Unternehmens ergeben. Vielmehr hätten die Kläger – also die „Vandivinit“-Gruppe und „Autocars Altmann“ – versucht, die Preise durch eine Anpassung der Stunden künstlich nach unten zu drücken und die Konkurrenz so zu unterbieten.

Dieser Vorwurf kann mit den Modalitäten der Preisabrechnung im RGTR-Netz erklärt werden. Grob vereinfacht funktioniert diese nach einem Stundenmodell. Dabei hat das Mobilitätsministerium für jede Linie eine präzise Stundenzahl festgelegt, die die Busunternehmen auf der Strecke jährlich leisten müssen. Das Angebot, das die Unternehmen dem Staat für den Betrieb einer Linie machen, beruht auf dieser Stundenzahl. Abgerechnet wird also pro Stunde und nicht pro Kilometer.

Dabei müssen sowohl Material- und Personalkosten, mögliche Leerfahrten und die Gewinnmarge in die Berechnung des Stundentarifs einfließen. Da die Stundenzahl im Vorfeld festgelegt wurde, kann der Staat die Angebote der unterschiedlichen Busbetriebe miteinander vergleichen. Ändert ein Unternehmen jedoch die Stundenzahl, so verzerrt dies den Vergleich mit den anderen Angeboten.

Nächster Halt: Verwaltungsgerichtshof

Die Kläger wollten das Urteil auf Nachfrage von Reporter.lu nicht kommentieren. Firmenchef Luc Vandivinit erklärt lediglich, dass es für ihn und das Unternehmen aktuell eine „ungewisse Situation“ sei. Das letzte Wort dürfte zudem noch nicht gesprochen sein. Denn sowohl der Geschäftsführer als auch sein Anwalt, Marc Thewes, betonen, dass sie gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts in Berufung gehen werden. Demnach wird der Verwaltungsgerichtshof entscheiden müssen, ob die Entscheidung des Mobilitätsministeriums rechtmäßig war oder nicht.

Dass es wegen der RGTR-Reform zu Rechtsstreitigkeiten kommen könnte, war jedoch schon vor der Ausschreibung der Linien absehbar. Die Neugestaltung des Busnetzes bedeutete für viele Busunternehmen nämlich eine Zeitenwende. Auch weil damit mit einem System gebrochen wurde, das über Jahrzehnte ihre Existenz sicherte. Vor der Reform vergab der Staat die Linien-Aufträge direkt an die Busunternehmen. Den Auftrag erhielt dabei oft jener Betrieb, der am nächsten an einer Linie angesiedelt war. Eine Praxis, die der Rechnungshof bereits 2017 in einem Spezialbericht zum RGTR kritisierte.

Wie wichtig der inländische Personentransport für die Busunternehmen ist, zeigt dabei auch ein Blick in die Finanzen von „Voyages Vandivinit“. So machten Bustransporte im Inland 2020 rund 18 Millionen Euro des Umsatzes der Firma aus. Darunter dürften zwar auch Schultransporte sowie Busreisen innerhalb des Landes fallen. Doch wie groß der Anteil der Inlandstransporte am Umsatz des Busunternehmens ist, zeigt der Vergleich mit Busreisen ins Ausland. Diese machten 2020, bedingt durch Corona, nur rund 800.000 Euro des Umsatzes aus, 2019 waren es 2,5 Millionen Euro.

Klein gegen groß

Die RGTR-Reform brach mit diesem System, auch auf Drängen der europäischen Marktaufsicht. Deshalb organisierte das Mobilitätsministerium das reformierte Busnetz erstmalig anhand einer europaweiten Ausschreibung. Zwar ist die Befürchtung des Branchenverbands der Busunternehmen, der FLEA, dass ausländische Konkurrenz den Markt übernehmen könnte, nicht eingetreten. Dennoch dürfte die Reform einen Trend verstärkt haben, der sich bereits davor abzeichnete: Kleinere Betriebe verschwinden oder werden übernommen. Über kurz oder lang bestimmen wenige größere Busbetriebe den Markt.

Ein Eindruck, den ein Blick auf die Ergebnisse der RGTR-Ausschreibung zu bestätigen scheint. Von den insgesamt 32 Losen erhielt die Gruppe „Sales-Lentz“ in neun Fällen den Zuschlag – jene Lose, die Grundlage des Verfahrens mit „Autocars Altmann“ sind, noch nicht mitgezählt. Das zweitgrößte Busunternehmen des Landes, „Voyages Emile Weber“, konnte sich insgesamt zehn Lose sichern.

Kleinere Betriebe mussten sich zudem zusammentun, wenn sie sich ein Los sichern wollten. Wie etwa im Fall der Strecken zwischen Ettelbrück und Redingen. Den Betrieb auf diesen Strecken teilen sich gleich drei Betriebe: „Voyages Koob“, „Voyages Schmit“ und „Voyages Demy Schandeler“. Grund dafür ist auch, dass die Größe der Lose und die daher benötigten Busse die Kapazitäten oft kleinerer Transportbetriebe übersteigen. Es sind jene Unternehmen, die in der Vergangenheit noch darauf zählen konnten, dass der Staat Investitionen in ihre Flotte über das RGTR-Netz mitfinanzierte und damit ihre Existenz sicherte.


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