Werksschließungen, Stellenabbau und -verlagerung, mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz: Der Konzern ArcelorMittal ist in Lothringen immer wieder in die Kritik geraten. Auch wenn die großen Protestwellen vorbei sind, bleiben aber immer noch einige Fragen offen.

Ein „Musterbeispiel für eine gelungene Umstrukturierung“: So bezeichnete Jean Rottner, Präsident der französischen Region Grand-Est die Aktivitäten von ArcelorMittal im grenznahen Florange. In Florange läuft derweil wieder alles rund, zumindest auf den ersten Blick. Vor wenigen Monaten hat ArcelorMittal eine zweite Galvanisierungseinheit in Betrieb genommen. 89 Millionen Euro ließ sich der in Luxemburg beheimatete Weltkonzern allein diese Erweiterung kosten, bei der seit Ende vorigen Jahres jährlich bis zu 800.000 Tonnen Stahl für die Automobilindustrie verarbeitet werden. Außerdem will die Region die Firma darin unterstützen, ein Digital Lab mit einem Gemeinschaftsbüro für Jungunternehmen zu schaffen um so „digitaler Vorreiter der europäischen Stahlindustrie“ zu werden.

Viele Medien haben über das Ringen um Lothringens größten Industriestandort Florange berichtet. Die teils fragwürdigen Praktiken des Konzerns im Umgang mit den französischen Mitarbeitern und der dortigen Umwelt sind hierzulande dagegen nahezu unbekannt. Doch die Liste ist lang und beinhaltet unter anderem die illegale Verklappung von Erdöl in einem Bachlauf, eine steigende Zahl an Arbeitsunfällen und gar ein unbeabsichtigtes Tötungsdelikt.

Der Konzern betont auf Nachfrage dagegen lieber die große Zahl an Neueinstellungen in der jüngeren Vergangenheit, unterstreicht die innovativen Methoden der Stahlteile-Fertigung und die intensive Forschungstätigkeit in Lothringen. Die Gesundheit und die Sicherheit der Mitarbeiter habe bei ArcelorMittal „oberste Priorität“, heißt es außerdem. Und: „Der Erhalt der Umwelt ist ein grundlegender Pfeiler unserer Nachhaltigkeitsstrategie“.

Protest und andere politische Folgen

Aufsehen erregende Demonstrationen mit brennenden Autoreifen hatten die Hütte im lothringischen Florange zum Symbol für den Kampf um eine ins Straucheln geratene Industrie gemacht. Die „Schlacht um die Floranger Hochöfen brachte die Menschen in Rage“, schrieb Autor Marc Olénine in seinem Buch „Mandala über Fensch“. Nach einem großflächigen Stellenabbau hätten sich die Gemüter nur äußerlich abgekühlt und in „stummen Protest und Frustration“ verwandelt.

Die politischen Folgen: 2014 nutzte der vormalige Gewerkschafter Fabien Engelmann die Stimmung, um sich über den Front National an die Spitze des Hayanger Rathauses wählen zu lassen. Engelmann bescherte der Partei damit den ersten Bürgermeister-Posten im Osten des Landes. Im März wurde er im Amt bestätigt – bereits im ersten Wahlgang.

Das definitive Aus der Hochöfen ist mittlerweile besiegelt. Die Gesamtzahl der Arbeitsplätze liegt zwar dank neuer Aufträge, vor allem aus der Automobilindustrie, mittlerweile wieder in etwa auf dem Niveau von 2012. Dennoch fällt es dem Konzern heute schwer, ausreichend Bewerber in Florange zu finden. „Im Dezember 2018, hat sich ArcelorMittal dazu entschlossen, die Hochöfen des Standorts Florange endgültig stillzulegen“, bestätigt die für Ostfrankreich zuständige Firmensprecherin Tiffany Debauge auf Anfrage. „Wir haben unsere Versprechen von 2012 eingehalten.“ Demnach sei keiner der 629 Mitarbeiter entlassen worden.

Personalmangel und Betriebsunfälle

ArcelorMittal beschäftigt nach eigenen Angaben 5.500 Mitarbeiter in Ostfrankreich, 4.300 in Lothringen, 2.200 davon allein in Florange. In Maizières-lès-Metz betreibe die Firma ihren größten Forschungsstandort in der Welt mit 700 beschäftigten Wissenschaftlern. Die Firma erklärt, allein zwischen 2017 und 2019 insgesamt 535 Personen eingestellt zu haben, hinzu kämen 80 Auszubildende und Praktikanten.

Dass viele dieser Jobs Branchenkennern zufolge meist deutlich schlechter bezahlt werden, als die zuvor gestrichenen Stellen, verschweigt die Firma derweil. ArcelorMittal räumt aber ein: „Unsere Firmengruppe sucht qualifiziertes Personal im technischen Bereich für unter Druck geratene Berufe in der Wartung, Fertigung und Automatisierung“.

Doch die Arbeitsbedingungen bei ArcelorMittal in Lothringen sind offenbar nicht die besten. Laut der Gewerkschaft CGT ist die Zahl der Betriebsunfälle allein am Standort Florange im vergangenen Jahr um rund ein Viertel gestiegen, von 78 auf 100. Der Konzern setze auf „Bestrafung statt auf Prävention“, kritisiert die Gewerkschaft.

Die CGT spricht außerdem von einem „gigantischen Personalmangel“, der einige Mitarbeiter in „nervöse Zustände“ versetze. Im Juni vergangenen Jahres wurde das in Yutz bei Thionville angesiedelte Tochterunternehmen ArcelorMittal distribution solutions gar wegen eines unbeabsichtigten Tötungsdelikts an einem Mitarbeiter zu einer Geldstrafe von 35.000 Euro verurteilt. Wie die Lokalzeitung „Républicain Lorrain“ schreibt, hatte es das Unternehmen versäumt, eine Absperrung zu entfernen, in die der Mitarbeiter letztlich raste und auf diese Weise verstarb.

ArcelorMittal erklärt dazu allgemein: „Die Gesundheit und die Sicherheit unserer Mitarbeiter hat für uns oberste Priorität, und das gilt sowohl für die französischen Standorte wie auch für alle anderen in der Welt.“ An allen Firmenstandorten gelte der „OHSAS 18001“-Standard, ein Zertifikat zur Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz. Außerdem biete man fortlaufend „zahlreiche Schulungen und Präventionsmaßnahmen“ an. Auf konkrete Fragen zum Anstieg der Arbeitsunfälle geht die Pressestelle ebenso wenig ein wie auf die Bitte um Stellungnahme zu möglichen Lehren aus dem Todesfall von Yutz.

Gewerkschaft kritisiert Umgang mit der Pandemie

Vor allem die Gewerkschaft CGT hat ArcelorMittal zuletzt auch noch scharf im Umgang mit Corona kritisiert. Zum einen forderte die Gewerkschaft vergeblich eine Lohnfortzahlung während der Krise. Zum anderen seien Masken und Desinfektionsmittel erst Wochen nach Epidemie-Beginn verteilt worden. Die CGT erklärte, erst mit einwöchiger Verspätung über neue Corona-Fälle im Unternehmen informiert worden zu sein, eine aus ihrer Sicht „widerliche, unzureichende, gefährliche und beängstigende Präventionsstrategie“.

Obwohl ArcelorMittal den Betrieb in Florange bis Ende März nur auf Sparflamme laufen ließ, hatte es bis dahin insgesamt 15 Corona-Fälle gegeben. Trotz massiven Widerstands aller Gewerkschaften, entschloss sich die Firma, zu diesem Zeitpunkt die Aktivitäten wieder ganz hochzufahren. Die CGT reagierte sofort und schaltete die Kontrollbehörden ein, weil sie die „Gesundheit der Mitarbeiter in Gefahr“ sah.

ArcelorMittal erklärt dazu auf Anfrage: „Im Umgang mit Covid-19 hat ArcelorMittal an ihren Standorten „alle Hebel in Bewegung gesetzt, die, in Einklang mit den Empfehlungen der staatlichen Behörden, eine Arbeit unter sichersten Bedingungen ermöglichen.“ Die Teams des Arbeits- und Umweltschutzes hätten diese neuen Sicherheitsvorschriften gemeinsam mit den diversen Abteilungen und den Betriebsärzten umgesetzt und so den Fortgang des Betriebs ermöglicht. Bei ArcelorMittal musste demnach jeder Mitarbeiter vor dem erneuten Eintritt ins Unternehmen an einer virtuellen Schulung zu diesem Thema teilnehmen. Außerdem ermögliche die Firma so oft wie möglich Heimarbeit.


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