Je größer eine Gruppe, desto höher das Infektionsrisiko. Kinderbetreuung bei Tageseltern wäre eine lohnenswerte Alternative zu großen Kindertagesstätten. Doch ihr Stellenwert im Betreuungssystem verschlechtert sich stattdessen weiterhin. Viele werfen das Handtuch.

Viele Eltern sind beunruhigt. Ihre Kinder werden zu einem Großteil in Kindertagesstätten und Horten betreut. Besonders ab Herbst, wenn alle Familien aus dem Urlaub zurückgekehrt sind und die Schule wieder losgeht, riskieren die Räumlichkeiten wieder gut gefüllt zu sein. Bei Kleinkindern, die sich oft als gutes Dutzend einen Raum teilen, sind Sicherheitsmaßnahmen wie Maskenpflicht oder Abstandsregeln schlicht illusorisch.

Ein infiziertes Kind kann zum Schließen einer ganzen Einrichtung führen. Dass die erlaubte Kinderanzahl in einer Gruppe durch eine weitere Covid-19-Welle erneut eingeschränkt wird, ist nicht auszuschließen. Die Auswirkungen wären direkt und schonungslos – für die Arbeitsfähigkeit der Eltern und damit letztendlich auch für die Wirtschaft.

Krisenmanagement statt Reformen

Die Alternative, Kinder und besonders Kleinkinder, in kleineren Gruppen bei Tageseltern betreuen zu lassen, wird durch die Pandemie ganz offensichtlich reizvoller. Doch auf Nachfrage im zuständigen Ministerium wird bestätigt, dass es aktuell keine Überlegungen gibt, den Berufsstand der Tageseltern aufzuwerten. Zeit über Reformen zur Anpassung des Systems an die neue Situation nachzudenken, habe es in den letzten Monaten nicht gegeben. „Wir waren mit Krisenmanagement beschäftigt“, sagt Christiane Meyer aus dem Erziehungsministerium. „Unsere Prioritäten lagen darin, den Strukturen aus der Krise zu helfen und ihr Überleben zu sichern.“

Zu diesem Zweck hatte das Ministerium ein Hilfspaket geschnürt: Ab dem 25. Mai hat der Staat trotz Arbeitsausfall den Betrag, den er bei der Kinderbetreuung durch die Betreuungsgutscheine (Chèques services) übernimmt, auch an Tageseltern weiter ausbezahlt. Eine Härtefallregelung sollte zudem Tageseltern helfen, die wegen der Pandemie siebzig Prozent oder mehr von ihrem Einkommen eingebüßt haben. Diese konnten eine einmalige Prämie von 2.500 Euro beantragen. „In der großen Mehrheit haben wir es geschafft, dass die Tageseltern gut durch die Krise gekommen sind“, bilanziert Caroline Ruppert von der vom Staat konventionierten Agentur „Daageselteren“.

Ich kenne viele, die in den letzen Wochen und Monaten endgültig das Handtuch geworfen haben.“Simone Münstermann, Tagesmutter aus Schieren

Im Gespräch mit Betroffenen hingegen ist der Eindruck ein anderer: „Ich kenne niemanden, der die Prämie bekommen hat“, erzählt Perrine Felix aus Petingen, die seit 13 Jahren als Tagesmutter arbeitet. Sie spricht von strengen Auflagen und bürokratischen, sprachlichen und technischen Hürden. Für Tagesmütter, die kein Französisch könnten und nicht besonders computeraffin seien, sei es nahezu unmöglich gewesen, sich durch den „Stapel an Formularen“ zu kämpfen, selbst wenn sie die Auflagen theoretisch erfüllten, so Perrine Felix.

Neue Anforderungen für Zulassung

„Wir haben uns alleine gelassen gefühlt“, sagt auch Simone Münstermann aus Schieren. Die staatlichen Hilfen seien für die meisten Betroffenen nicht ausreichend gewesen, um während des Lockdowns über die Runden zu kommen. „Die finanzielle Situation macht viele Tageseltern kaputt“, so Münstermann. „Ich kenne viele, die in den letzten Wochen und Monaten endgültig das Handtuch geworfen haben.“ Die Schwierigkeiten der letzten Jahre habe die Pandemie noch verschärft.

Verlässliche Daten zu den direkten finanziellen Folgen der Pandemie für Tageseltern sind nicht verfügbar. Ein Blick in den Aktivitätsbericht des Erziehungsministeriums des vergangenen Jahres lässt jedoch einen klaren Trend erkennen: Während sich die Plätze für Kinder bei Tageseltern von 2009 bis 2015 noch nahezu verdoppelten, ist die Zahl bereits seit fünf Jahren rückläufig. Im Jahr 2019 wurden 2.551 Kinder bei Tageseltern betreut. 2015 waren es hingegen noch 3.278 Kinder.

Während der Staat die Betreuung in Kindertagesstätten je nach Einkommen der Eltern mit bis zu sechs Euro die Stunde bezuschusst, liegt der Satz für Tageseltern höchstens bei 3,75 Euro. (Foto: Matiinu Ramadhan via Unsplash)

Das Erziehungsministerium erklärt die rückläufigen Zahlen mit dem Qualitätsgesetz von 2017, das die Anforderungen für eine Zulassung neu definiert. Alle drei Jahre muss nun ein so genannter „plan d’établissement“, der auch ein pädagogisches Konzept beinhaltet, vorgelegt werden. Regelmäßige Fortbildungen sowie Kontrollen durch Regionalagenten des Service national de la Jeunesse sollen zudem die Qualität der Betreuungsstrukturen sichern. Die erhöhten Anforderungen hätten sicher einige dazu bewogen, ihre Zulassung abzugeben, sagt Abteilungsleiterin Christiane Meyer. Viele Tageseltern wollten diesen Aufwand nicht auf sich nehmen.

Finanzieller Graben

Betroffene sehen den Grund für den Rückgang des Angebots durch Tageseltern jedoch vor allem in der ungleichen finanziellen Bezuschussung durch den Staat. Der Betrag, mit dem der Staat Eltern bei der Kinderbetreuung unter die Arme greift, variiert je nach Einrichtung erheblich: Während der Staat die Betreuung in Kindertagesstätten und Horten mittlerweile je nach Einkommen der Eltern mit bis zu sechs Euro die Stunde bezuschusst, liegt der Satz für Tageseltern höchstens bei 3,75 Euro. Nur nachts oder an Sonn- und Feiertagen kommen nochmal 50 Cents hinzu.

Für eine weitere finanzielle Schieflage sorgen die zwanzig Gratisstunden in der Kinderbetreuung der bis 4 Jährigen, die die Regierung im Oktober 2017 im Rahmen des Programms für eine mehrsprachige Frühförderung eingeführt hat. Um an dem Programm teilnehmen zu können, muss gewährleistet sein, dass Kinder in verschiedenen Sprachen gleichzeitig (mindestens Französisch und Luxemburgisch) betreut werden. Dieses Kriterium kann eine Tagesmutter nicht erfüllen, da die Mehrsprachigkeit in den Anforderungen an Personen gebunden ist. Eine Person – eine Sprache, ist das Credo des Ministeriums.

Ich bin davon überzeugt, dass für viele Kinder die Betreuung durch eine Tagesmutter die ideale Lösung ist.“Guy Henger, Mitbegründer des Vereins für Tageseltern

Hinzu kommt, dass Tageseltern ihre Tarife halbstündig abrechnen müssen, während Kindertagesstätten nicht selten einen einheitlichen Tarif für eine Ganztags- beziehungsweise Halbtagsbetreuung in Rechnung stellen – unabhängig davon, wie viele Stunden das Kind wirklich in der Einrichtung präsent ist.

Unterschiedliche Sätze bei den Betreuungsgutscheinen, zwanzig Gratisstunden für Tagesstätten, sowie ungleiche Abrechnungsprozeduren führen dementsprechend dazu, dass der finanzielle Graben zwischen dem Angebot der Tageseltern und jenem von Kindertagesstätten immer tiefer wird.

Lobby für Tageseltern fehlt

Guy Hengel, der 2016 gemeinsam mit seiner Frau Stella Falkenberg einen Verein für Tageseltern gegründet hat, findet klare Worte: „Die Arbeit als Tageseltern lohnt sich nicht mehr.“ Der Aufwand und die Anforderungen würden in keinem Verhältnis zur finanziellen Entschädigung stehen. Seine Frau habe den Job an den Nagel gehängt. Und den Verein gibt es heute auch nicht mehr. Geblieben ist eine geschlossene Facebookgruppe mit knapp 200 Mitgliedern, die zumindest den Austausch der noch verbleibenden Tageseltern untereinander fördert. „Wir versuchen, uns weiter zu engagieren“, sagt Hengel, „denn wir sind davon überzeugt, dass für viele Kinder die Betreuung durch eine Tagesmutter oder einen Tagesvater die ideale Lösung ist.“

Schon längst hätten Eltern nicht mehr die freie Wahl zwischen den unterschiedlichen Betreuungsmöglichkeiten, sagt Simone Münstermann. „Die Betreuung durch eine Tagesmutter ist ein Luxus geworden, den eine Familie sich leisten muss. Das muss man können und wollen“, so Münstermann. Ein vielfältiges, den individuellen Bedürfnissen angepasstes Betreuungssystem, wie es das Koalitionsprogramm von 2018 vorsieht, halten weder Münstermann noch Hengel für gegeben.

Boom bei privatem Betreuungsangebot

Die Zahlen der zu betreuenden Kinder haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt, von 24.648 Betreuungsplätzen im Jahr 2009 zu 58.297 Plätzen im Jahr 2019, wie aus dem Aktivitätsbericht des Ministeriums hervorgeht. Über zwei Drittel der Kinder werden in konventionierten Strukturen betreut, doch aufgefangen wird die rasant steigende Nachfrage überwiegend von kommerziellen Betreuungsstrukturen. Ihre Plätze haben sich in den letzten zehn Jahren versechsfacht. „Die Anfrage nach Alternativen wächst stetig, doch das Betreuungssystem wird immer homogener“, sagt Münstermann.

Währenddessen hat Perrine Felix wieder angefangen zu studieren. Sie hofft, in einigen Jahren als Grundschullehrerin arbeiten zu können. „Dann kann ich vielleicht endlich etwas Geld zur Seite legen“, sagt die fünffache Mutter. Das sei ihr in den zwölf Jahren als Tagesmutter nämlich nicht gelungen.