Was ist Islamophobie. Wie entsteht sie? Und welche Wege gibt es für Muslime und Nicht-Muslime, die Vorurteile über Religion zu überwinden? Ein Gespräch mit der Konvertitin und Islamophobie-Forscherin Linda Hyökki.

Interview: Marian Brehmer

Islamophobie wird wissenschaftlich als „übertriebene Furcht, Hass und Feindseligkeit gegenüber dem Islam und Muslimen“ definiert. Wie entsteht dieses Phänomen?

Es gibt ein Phänomen, das als „Rassifizierung der Muslime“ bezeichnet wird. Muslime werden so behandelt, als sei der Islam eine Rasse. Anti-muslimische Ressentiments werden so oft zu Rassismus. Man bedient sich derselben Terminologie wie im biologischen Rassismus. Deshalb sprechen wir in unserem Forschungsfeld häufig von Islamophobie als „anti-muslimischem Rassismus“. Islamophobie hat nicht nur mit Vorurteilen zu tun, sie ist eine institutionalisierte Form der Diskriminierung. Islamophobie ist auch kein Phänomen, das erst nach dem 11. September 2001 entstanden ist. Muslime wurden weit vor „9/11“ diskriminiert. Es gibt eine lange Geschichte anti-islamischer Gesinnung, ein Blick in den europäischen Orientalismus genügt. Allerdings gibt es seit „9/11“ eine Eskalation dieser Tendenzen.

Wie werden in Finnland Konvertiten zum Islam wahrgenommen?

Auch wenn du geborene Finnin bist, als Konvertitin zum Islam wirst du zur Fremden, da du nicht mehr in die Ursprungskultur akzeptiert wirst. In Finnland werden Muslime einer angeblich nordischen Rasse gegenübergestellt. In einem Statement zur Gesichtsverschleierung behauptete die Präsidentschaftskandidatin Laura Huhtasaari von der populistischen Finn-Partei, dass muslimische Frauen ja keine freie Wahl hätten. Ihr Kommentar „Ich als nordische Frau habe die Freiheit, zu entscheiden, ob ich Hosen oder Röcke trage“ bedeutet in meinen Augen, dass sie muslimische Frauen in Finnland aus dem geographischen und kulturellen „Wir“ ausschließen möchte. Die Ironie liegt darin, dass Finnland linguistisch gesehen noch nicht einmal Teil der nordischen Länder ist.

Welche Formen der Diskriminierung gegenüber Konvertiten zum Islam haben Sie beobachtet?

Der Islam wird üblicherweise als Religion von Migranten wahrgenommen. Ich fand es interessant, mich mit Finnen zu beschäftigen, die in einem nichtreligiösen Umfeld aufgewachsen sind, aber sich den Islam als Religion ausgesucht haben. Während meiner Feldforschung habe ich sowohl Männer als auch Frauen interviewt und versucht, etwas über ihre Erfahrungen herauszufinden. Ein Mädchen schilderte mir etwa, wie ihre Mutter ein Sorgentelefon für Opfer von Religionen anrief, als sie erfuhr, dass ihre Tochter zum Islam konvertiert war. Sie fürchtete, ihre Tochter sei einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Eine andere junge Frau erzählte, wie sie als beste Schülerin ihres Abiturjahrgangs das Gymnasium abschloss und eigentlich die Jahrgangsrede hätte halten sollen. Da sie jedoch Muslimin war, verbot der Schulleiter ihr das Reden mit dem Argument, dass ein Mädchen mit Kopftuch nicht für die Schule sprechen könnte. Außerdem habe ich mit muslimischen Konvertiten gesprochen, die in Gesundheitsberufen arbeiten und Mobbing am Arbeitsplatz ausgesetzt waren.

Linda Hyökki ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Islam und internationale Beziehungen der Sabahattin Zaim Universität Istanbul und Doktorandin am Institut für Allianz der Zivilisationen der Ibn Haldun Universität. (Foto: Marian Brehmer)

Wo haben diese Formen von Diskriminierung ihre Wurzeln?

Wie in vielen europäischen Ländern gibt es ein Bild vom Islam als die fremde Religion, die sich nicht mit der finnischen Lebensart vereinbaren lässt. Aber ich habe gemerkt, dass finnische Konvertiten hier keinen Widerspruch sehen. Als finnische Muslimin kann ich mein Leben leben, ohne meine Kultur aufzugeben. Aufgrund von den bedauerlichen Fällen muslimischer Konvertiten, die sich radikalen Gruppierungen wie ISIS angeschlossen haben, werden Konvertiten oft als radikal abgestempelt. Dadurch wird ihre Rationalität und Fähigkeit, gesunde Entscheidungen bezüglich ihrem Leben zu treffen, in Frage gestellt. Ich finde diese Einstellung sehr herablassend.

Tatsächlich gibt es viele Wege zum Islam. Manche entscheiden sich dazu, da sie einen stabilen Rahmen für ihr Leben benötigen, während andere sich eher für die spirituellen Aspekte des Islam wie den Sufismus interessieren. Es ist nicht schwarz und weiß. Verglichen mit Muslimen, die in europäische Gesellschaften geboren wurden, sind wir jedoch aufgrund unserer „Weißheit“ privilegiert. Ich kann mein Kopftuch abnehmen und würde als weißes Mädchen in der Masse durchgehen. Islamophobie schließt Elemente wie Geschlecht und Ethnie mit ein. Farbige muslimische Frauen sind stets Schikanen ausgesetzt, ob mit oder ohne Kopftuch.

Wie gehen Menschen mit dieser Art von Diskriminierung um?

In meiner Forschung habe ich herausgefunden, dass viele meiner Interviewpartner äußerst resilient sind. Ich war davon ausgegangen, dass Islamophobie das Leben von Konvertiten sehr schwer macht. Stattdessen jedoch sehen viele diese Erfahrungen als Prüfung von Gott oder Schulung in Geduld. Sie fragen sich: Wie kann ich am besten nicht-aggressiv auf diskriminierendes Verhalten reagieren? Kann ich Menschen mit Argumenten schlagen? Ich habe gesehen, dass finnische Muslime bereit sind, der Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt, entgegenzutreten, anstatt sich in die passive Opferrolle zu begeben.

Wie sehen Sie die Debatten um Kopftuch und Verschleierung, die in vielen europäischen Ländern stattfinden?

Ich möchte für jedermanns Recht eintreten, das zu tragen, was er oder sie will. Ich verschleiere mein Gesicht nicht, habe jedoch Freundinnen, die dies aus spirituellen Gründen tun. Ich denke, dass oft mit zweierlei Maß gemessen wird: Einerseits wird Individualismus als kulturelle Norm hochgehalten: „Sei du selbst!“ Andererseits scheint die Gesellschaft nicht bereit zu sein, mit ein paar verschleierten Frauen fertig zu werden. Im letzten Jahrhundert waren es die Punks. Letztlich geht es doch nur um ein Kleidungsstück. Wenn dieses jedoch mit Religion zu tun hat, wird es plötzlich problematisch. Ein anderes Beispiel: Es wird viel über Polygamie im Islam gesprochen. Das moderne Lifestyle-Konzept der Polyamorie jedoch erscheint vielen als akzeptabel. Sobald du etwas aus religiösen Gründen tust, wird es zum Problem. Europa hat ein Problem mit Religion.

Islamkritiker argumentieren häufig, dass Muslime jegliche Form von Kritik am Islam als Islamophobie ablehnen. Was denken Sie dazu?

Hier besteht eine feine Abgrenzung. Etwas zu kritisieren, bedeutet, in einem Dialog zu sein. In einer Diskussion geht es darum, den anderen zu respektieren. Wenn du jedoch diffamierende Sprache verwendest oder den anderen entmenschlichst, dann ist das keine Kritik mehr. Jeder kann kritisieren und etwas infrage stellen. Kritik sollte jedoch mit einer Offenheit einhergehen, Entgegnungen und Erklärungen von der Gegenseite anzunehmen und womöglich die andere Seite zu akzeptieren oder seine eigene Meinung am Ende sogar zu revidieren.

Welche Wege gibt es, Islamophobie entgegenzutreten?

Islamophobie kann man nicht auf einer Einbahnstraße entgegentreten. Muslime können etwas unternehmen, aber auch Nicht-Muslime müssen etwas unternehmen. Das ist der Unterschied. Als Muslimin muss ich mich nicht in die Straße stellen und Menschen fragen, ob sie etwas über den Islam hören wollen. Natürlich kann mir jeder, der wissbegierig ist, Fragen stellen. Tatsächlich jedoch gibt es immer eine Gruppe von Menschen, die kein Interesse haben und nicht lernen wollen. Sie werden immer sagen, dass Muslime nicht genügend tun.

Islamophobie muss ernst genommen werden und Teil des Lehrplans werden. Wir müssen Studenten beibringen, dass eine Beziehung zwischen Islamophobie und anderen Formen von Diskriminierung wie Eurozentrismus, Antisemitismus und Rassismus existiert. Auf gesetzlicher Ebene haben viele europäische Staaten Islamophobie bisher nicht als etwas erkannt, das gesetzlich geahndet werden kann. Wenn dies der Fall wäre, könnte die Polizei Fälle von Hassverbrechen besser verfolgen. Als Akademikerin sehe ich meine Rolle aber vor allem darin, die üblichen Narrative zu stören. Ich möchte die Nuancen, die es gibt, vermitteln.