Insekten zum Snacken? In Brüssel keine Seltenheit. Das Start-Up Little Food züchtet Heuschrecken und macht daraus Cracker und andere Snacks. Bei der Produktion stehen Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit im Vordergrund. Eine Reportage über das nächste „Superfood“. 

Sie heißen „Crickets“ und nicht Crackers. Auf der Packung lächeln einem Che Guevara und Uncle Sam entgegen. Doch ähnlich wie in Kafkas „Verwandlung“, sitzt auf ihren Schultern der Kopf eines Insekts: In diesem Fall der einer Heuschrecke. Das Brüsseler Start-Up Little Food züchtet die Insekten und stellt draus Cracker, Energieriegel und Dips her. Und für jene, die bereits an den Geschmack der Insekten gewöhnt sind, gibt es die Speiseinsekten auch getrocknet oder geräuchert.

Produziert werden die Heuschrecken auf dem ehemaligen Industriegelände Tour&Taxis, nahe des Brüsseler Kanals. In einem modernen, futuristischen Holzgebäude, dem Greenbizz-Inkubator, sind reihenweise Start-Ups angesiedelt. Für ihre Projekte stehen ihnen sogenannte Workshops zur Verfügung. Sie sehen aus wie moderne Garagen, in denen sich die jungen Unternehmen austoben können. Vor einer der Garagen stehen Säcke voller Kaffeebohnen, vor einer anderen Bierflaschen. Vor dem Workshop von Little Food sind es getrocknete Heuschrecken.

Beim Betreten steigt einem gleich ein beißender, fischiger Geruch in die Nase. Die Luft ist feucht und warm. „Heuschrecken lieben das milde Klima“, erklärt Nikolaas Viaene. Der Bio-Ingenieur mit Vollbart und schütterem Haar ist einer der Mitgründer der Firma. „Riecht es? Wir merken das alle nicht mehr“, lacht er. Der Geruch sei normal, er stammt von den Insekten, die auf der ersten Etage gezüchtet werden. Viel Platz braucht die Insektenzucht nicht. Die kleine Garage, die sich auf zwei Etagen erstreckt, reicht aus, um monatlich 800 Kilo Heuschrecken zu produzieren.

Auf dem Weg zum nächsten „Superfood“

Auf der unteren Etage befindet sich die Küche. Eine Mitarbeiterin, das Haar unter einer Plastikhaube versteckt, packt die Tiere in kleine Röhrchen. Zuvor wurden sie mit kochendem Wasser getötet und in speziellen Öfen getrocknet und geräuchert. Die Produktion ist weitestgehend manuell, die Mitarbeiter fangen die Tiere sogar mit den Händen. Die Maschine, die sie eigens zu diesem Zweck gebaut haben, funktioniert noch nicht so, wie es sich das Team wünscht. „Mit der Hand geht es viel schneller, wir haben ja Übung darin“, ruft ein Mitarbeiter.

Noch können die Produzenten der Nachfrage auch so gerecht werden. Die Insekten haben sich auf dem europäischen Markt noch nicht ganz etabliert. In Brüssel findet man die Cracker vor allem in hippen Bioläden. Nikolaas Viaene ist optimistisch „Wir müssen uns Schritt für Schritt an den Markt herantasten. Superfoods waren ja auch nicht von Anfang an so beliebt“.

Foto: Rozafa Elshan

Dem kleinen Unternehmen werden aber auch durch die europäischen Lebensmittelregeln Grenzen gesetzt. Welche neuen Nahrungsmittel EU-weit auf den Markt kommen dürfen, entscheidet die europäische Lebensmittelbehörde Efsa. So sieht es die Nahrungsmittelrichtlinie von 2018 vor. Demnach müssen Betriebe ihre Vorschläge bei der Efsa einreichen. Diese entscheidet nach sorgfältiger Prüfung über die Zulassung.

Bis dahin können die Schrecken nur in jenen EU-Ländern verkauft werden, deren Lebensmittelgesetze der Richtlinie vorgreifen. In Belgien etwa sind drei Insektenarten zum Verzehr freigegeben – unter ihnen die Heuschrecken. In Luxemburg wolle man die Efsa-Entscheidungen abwarten, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Ohnehin gebe es hierzulande keine an am Insekten-Business interessierten Start-Ups.

Von der Ökologie zur Kreislaufwirtschaft

Vor rund zwei Jahren sind die Gründer von Little Food auf die Insekten gekommen „Wir wollten eine nachhaltige Alternative zum Fleisch finden“, erklärt Nikolaas Viaene. „Im Vordergrund standen eigentlich ökologische Aspekte, wir sind allesamt Bio-Ingenieure. Doch als wir die Insekten gekostet haben, wurde uns klar, dass es sich auch noch um eine sehr schmackhafte Alternative handelt.“

Zuerst experimentierten sie zuhause, räumten für das Projekt „Heuschreckenzucht“ ein Zimmer frei. Wie gedeihen die Tiere am besten? Welches Futter bekommt ihnen? Wann schmecken sie am besten? Und wie kann man Zucht und Verarbeitung am nachhaltigsten gestalten? Auf all diese Fragen mussten sie erst Antworten finden.

Um die Produktion so nachhaltig wie möglich zu gestalten, setzt Little Food auf Kreislaufwirtschaft. Gefüttert werden die Heuschrecken mit Abfällen aus der Leinsamen-und Rapsproduktion. Sie trinken Regenwasser aus Auffangbecken. Geheizt wird mit Hilfe von Solarpanels. Der Mist der Insekten wird als natürliches Düngemittel an Landwirte verteilt.

Artgerechte Haltung statt Massenzucht

In einem separaten Raum gedeihen die Insekten. Vor dem Betreten müssen erst die Hände gewaschen, die Schuhe desinfiziert werden. Heuschrecken sind sensibel, werden schnell krank. Dann ist die ganze Produktion hinfällig, die Tiere können nicht mehr verkauft werden. „Doch wir können die Tiere ja nicht so einfach mal impfen“, betont der Firmengründer. „Hygiene ist deshalb das A und O, nur so bleiben die Schrecken gesund.“ Für die Massenzucht eignen sich die Tiere nicht.

Es zischt und zirpt, die Luft ist dick. Kleine Ställe reihen sich aneinander. In den vorderen hausen die ältesten Tiere, in den hinteren die Jüngsten. „So sind sie unter Freunden und streiten nicht.“ Ab und zu fliegt eine durch die Luft. Die meisten aber tummeln sich zwischen aneinandergereihten Eierkisten. Heuschrecken mögen die Dunkelheit.

Wir wollten eine nachhaltige Alternative zum Fleisch finden.“
Nikolaas Viaene, Mitgründer von „Little Food“

30 Grad sind es hier. Laut Nikolaas Viaene die optimale Wohlfühltemperatur. Ungefähr 33 Tage brauchen die Schrecken, bis sie erwachsen sind und in die Produktion gehen können. Die Temperatur ist für das Wachstum entscheidend: Je weniger die Tiere ihre Körpertemperatur regulieren müssen, desto schneller wachsen sie.

Dass die Insekten erwachsen sind, merkt man am lauten Zirpen, das durch den Raum hallt. Dabei handelt es sich um den Paarungsruf der männlichen Tiere. „In der Natur gibt es die Macho-Schrecken, die besonders laut zirpen: Die locken aber nicht nur Weibchen, sondern auch Beutetiere an. Die Machos werden gefressen. Die Schlauen warten in sicherer Distanz und bekommen die Weibchen ab“, lacht Nikolaas Viaene. Er greift nach einer Eierkiste und fängt eines der braunen Insekten ein, die herausschwirren. „Siehst du den langen Stachel am Hintern? Damit sammeln sie das Sperma. Heuschrecken sind schlau. Sie befruchten nur die Spermien, die sich genetisch am meisten von ihnen unterscheiden.“

Nachhaltige Alternative zur Fleischproduktion

Die Insekten sind optimale Futterverwerter. Laut der Ernährungs-und Landwirtschaftsbehörde der Vereinten Nation (FAO) kann man mit zehn Kilo Futter, acht Kilo verzehrbare Schrecken produzieren. Bei Rindern sind es 0,5 Kilo, bei Hühnern zwei. „Doch sie sind auch viel reicher an Nährstoffen als gewöhnliches Fleisch“, ergänzt der Bioingenieur.

Die Schrecken sind nicht nur proteinhaltiger, sondern auch sehr reich an Zink, Vitamin B12 und Omega-Fettsäuren. „Uns war das anfangs nicht bewusst, doch jetzt haben wir ein Argument mehr, das bei der Vermarktung hilft.“ Demnach seien die Insekten ein Superfood, welches den Namen auch wirklich verdiene.

Tatsächlich will Little Food in Zukunft mehr mit den Nährstoffen der Insekten werben. Besonders jene, die aus ökologischen Gründen auf Fleisch verzichten, ließen sich damit überzeugen. Auf dem Regal, auf dem die Cracker, Dips und Heuschreckenriegel ausgestellt sind, steht bereits eine große Packung Proteinpulver. „Für die Sportler.“

In ein bis zwei Jahren wird die Lebensmittelbehörde Efsa darüber entscheiden, ob die Little Food-Produkte in der gesamten EU vermarktet werden dürften. Dann könnten die „Crickers“ mit dem Che Guevara und Uncle Sam-Logo auch über die Luxemburger Ladentheken gehen.