In fünf Monaten wird der Austritt Großbritanniens aus der EU offiziell vollzogen. Laut EU-Kommissar Phil Hogan haben die wahren Verhandlungen aber erst in den letzten Wochen begonnen. Für die britische Regierung wird die Zeit nicht nur für ein Abkommen mit der EU knapp.

Michel Barniers Ton bleibt rau. Der Chefverhandler der Europäischen Kommission hält ein Abkommen für „unwahrscheinlich“, da die britische Regierung den Zugang für europäische Fischer quasi vollständig verweigern will. Dennoch konnten erste Fortschritte erzielt werden. Allerdings muss Boris Johnsons Regierung zusätzlich zeitgleich mehrere Freihandelsabkommen mit Drittstaaten abschließen. Die Verhandlungen an mehreren Fronten erweisen sich wie erwartet als schwieriges Unterfangen.

Als Liz Truss vor einer Woche nach Washington D. C. reiste, war bereits klar, dass Großbritannien vor den US-Wahlen kein Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnen wird. Das Ziel der Staatssekretärin für internationalen Handel war es, zumindest die US-Regierung zu überzeugen, die Straftarife auf Gin und Whisky fallen zu lassen. Diese erhob Donald Trump als Reaktion auf einen Handelsstreit zwischen Airbus und Boeing. Die Britin kam jedoch mit leeren Händen zurück. Die Verhandlungen stehen sinnbildlich für die neue Position Großbritanniens im internationalen Staatengefüge. In den wenigsten Verhandlungen ist es der britischen Regierung bisher gelungen, bestehende Handelsbarrieren abzuschaffen.

Status Quo statt „Global Britain“

Unter anderem mit der Schweiz, Südkorea und Südafrika hat die britische Regierung Freihandelsabkommen abgeschlossen – alle haben bereits ein Abkommen mit der EU unterzeichnet. Für die britische Regierung war dieser Schritt nötig, um auch nach Ablauf der Übergangsphase des Brexits in den Genuss von besseren Handelsbedingungen mit Drittstaaten zu kommen.

Allerdings konnte Boris Johnson seinem Slogan des „Global Britain“ kaum gerecht werden, denn die neuen Abkommen konnten lediglich den Status Quo erhalten. Bloß mit Japan schreiten die Verhandlungen offenbar gut voran. Beide Seiten konnten sich auf ein weitreichendes Paket einigen, das über das Abkommen mit der EU hinausgeht. Allerdings stehen für das Vereinigte Königreich noch wichtige Verhandlungen mit Kanada und Norwegen aus. Zu guter Letzt liegt ein Abkommen mit der EU auch noch in weiter Ferne.

Ständige Gefahr eines „No-Deal“

Top-Priorität für Boris Johnson bleibt ein Abkommen mit der EU. In den letzten Wochen konnten beide Seiten sich bereits auf Schlüsselelemente eines „Deals“ einigen. Ein Konflikt zwischen dem Staatenblock und der Insel könnte etwa in Zukunft in einem Schiedsgericht und nicht vor dem Europäischen Gerichtshof ausgetragen werden. Die britische Regierung hat ihrerseits zugesichert, ein umfassendes Abkommen mit der EU abzuschließen. Dies war eine Forderung der EU-Kommission, die mehrere Abkommen mit einem Staat, wie etwa der Schweiz, als unvorteilhaft empfindet.

Es bleiben hingegen noch mehrere Hürden zu bewältigen. Neben dem Zugang von europäischen Fischern in britische Gewässer ist vor allem das sogenannte „level playing field“ für die EU von äußerster Bedeutung. Demnach soll verhindert werden, dass das Vereinigte Königreich Sozial- oder Umweltstandards verringert, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten. Für den EU-Parlamentarier Marc Angel (LSAP) könnte nur so ein Abkommen zustande kommen: „Ein Deal ist nur ein Deal, wenn wir uns in allen Bereichen auf ein solches Level playing field einigen können, sonst brauchen wir auch kein Abkommen“, so der luxemburgische Europaabgeordnete.

Den Verhandlungsparteien bleibt nun noch Zeit bis Oktober, um ein Abkommen abzuschließen. Danach muss das britische Parlament seine Zustimmung erteilen, um sicherzustellen, dass es vor dem 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Boris Johnson hat bereits mehrmals ausgeschlossen, eine weitere Verlängerung der Übergangsperiode zu beantragen. Können beide Parteien sich also nicht auf ein Abkommen einigen, würde sich das „No-Deal“-Szenario am kommenden Neujahrstag, dann doch noch bewahrheiten.