Dammschnitt, Kristeller-Handgriff oder ungewollter Kaiserschnitt: Werdende Mütter erleben bei der Geburt auch in Luxemburg traumatische Umstände. In ihrem psychischen Leiden sind sie oft auf sich allein gestellt.
„Ich habe ungefähr ein Jahr gebraucht, um die Geburt meines Sohnes zu verdauen“, berichtet Carina.* Für die damals 34-Jährige war der Geburtsverlauf traumatisch. Dabei war der erste Abschnitt gut verlaufen und sie befand sich bereits in der Austreibungsphase. Die werdende Mutter hatte mit dem Pressen begonnen und ihr Kind sollte innerhalb der nächsten Minuten natürlich zur Welt kommen. Doch dann änderte sich die Situation blitzartig. Plötzlich lag Carina auf dem Operationstisch und konnte nur mit ansehen, wie ihr das Kind per Notkaiserschnitt aus ihrem Bauch herausgeschnitten wurde.
Das Trauma wurde dabei nicht von der Operation selbst ausgelöst – vielmehr prägte und schockierte Carina der Umgang mit ihr als Gebärende. Sie erinnert sich, wie die diensthabende Hebamme sie anfuhr und ihr den Tod des Kindes schon vor Augen malte. Hatte der Arzt eben noch gesagt, sie müsse jetzt unbedingt pressen, so ermahnte sie die Geburtshelferin als sie genau das tat und forderte sie eindringlich auf, sofort damit aufzuhören. Auch die Ungewissheit der Minuten danach machte ihr schwer zu schaffen – die Geburtshelfer verschwanden sofort mit dem Neugeborenen. Weder die Hebamme noch der Arzt habe ihr gesagt, was los sei.
Als Mensch und werdende Mutter fühlte sie sich nicht respektiert und gar übergangen, erzählt Carina heute: „Ich habe lange gedacht, es sei meine Schuld, dass die Geburt so verlaufen ist.“ Dass sie einem Notkaiserschnitt unterzogen wurde, weil die Herztöne schlecht waren, hat sie erst vor kurzem erfahren, mehr als zwei Jahre nach dem Erlebnis.
Ein positives Geburtserlebnis durch respektvollen Umgang
Die Buchautorin und Fachjournalistin Nora Imlau bringt die Erfahrung gebärender Frauen auf den Punkt: „Eine gute Geburt kann eine vaginale Geburt sein oder ein Kaiserschnitt, zu Hause oder in der Klinik stattfinden, mit medizinischer Intervention oder ohne. Niemand hat das Recht zu beurteilen, ob eine Geburt eine gute Geburt war – außer der Frau, die da gerade geboren hat.“ Angesichts der Angst vor Schmerzen und Ungewissem spielt die Selbstbestimmung eine herausragende Rolle beim Empfinden eines positiven Geburtsverlaufes, selbst wenn dieses verständlicherweise subjektiv ist.
Irrtümlich ist der oft zu hörende Spruch: „Hauptsache Mutter und Kind sind gesund!“ Es gilt die Annahme, dass die Strapazen des Geburtsverlaufes und der jeweiligen Eingriffe ohnehin schnell vergessen seien. Doch Carinas Fall bezeugt das Gegenteil. Viele Frauen wie sie leiden und kommen nicht mit der Verarbeitung der Ereignisse im Kreißsaal klar. Obschon das Kind gesund ist, bleiben bei Müttern mit Geburtstrauma psychische Narben zurück. Darüber sprechen wollen die wenigsten.
Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich inzwischen eingeschaltet. In ihren Empfehlungen beschreibt sie, wie erstrebenswert eine positive Geburtserfahrung ist. Der respektvolle Umgang mit der Gebärenden wird als oberstes Gebot aufgeführt. Dafür brauche man „einfühlsames, fürsorgliches, liebenswürdiges und respektvolles Personal“, so die WHO.
Nicht ohne Einverständnis der betroffenen Frauen
In Luxemburg gibt es weiterhin Übergriffe während einer Geburt und etwa Gynäkologen, die den sogenannten Kristeller-Handgriff ohne Vorankündigung und ohne Einverständnis vornehmen. Dabei handelt es sich um einen Eingriff, bei dem der Arzt oder die Ärztin der Gebärenden quasi auf den Bauch springt, um das Baby mit dem Arm nach unten zu bewegen.
Genau das hat auch Nina* vor einigen Jahren während der Geburt ihres Sohnes erlebt. Obwohl keine Notsituation vorlag und weder Mutter noch Kind in Gefahr waren, schmiss sich der Arzt unangekündigt auf ihren Bauch, wie sie im Gespräch mit REPORTER berichtet. Sie war so perplex, dass sie als Erstgebärende nicht wirklich darauf reagierte.
Der Handgriff selbst ist bei den Ärzten umstritten und in einigen Geburtskliniken sogar untersagt. Zum Thema befragt, bestätigt Cindy Gouden, Hebamme mit langjähriger Erfahrung in der Geburtsklinik, dass sie den Kristeller-Handgriff als sehr problematisch ansieht.

Eine vaginale Untersuchung ohne vorherige Nachfrage und ohne explizites Einverständnis ist zweifelsohne ein No-go. Dennoch wird auch diese Aussagen mehrerer Mütter zufolge immer noch praktiziert. Nicht nur für Frauen, die in der Vergangenheit Opfer von sexueller Gewalt wurden, sind solche Untersuchungen traumatisierend.
Sehr umstritten ist zudem der Dammschnitt, der laut der WHO-Richtlinie heute nicht mehr routinemäßig durchzuführen sei. Einige Ärzte aber halten an diesem ehemaligen Standardeingriff zur Verhinderung eines Dammrisses bei der Entbindung fest.
Hinzu kommen verbale Entgleisungen. Die Soziologin Christina Mundlos sammelte in ihrem Buch „Gewalt unter der Geburt. Der alltägliche Skandal“ Erfahrungsberichte von Frauen. „Stellen Sie sich nicht so an“, ist laut der Autorin nur eine von vielen Respektlosigkeiten, die sich gebärende Frauen von den Geburtshelfern bereits anhören mussten.
Übermedikalisierung und unnötige Interventionen
Neben dieser Art von Übergriffen, gibt es solche, die viel schwerer in den Griff zu bekommen sind, weil sie strukturell bedingt sind. Unnötige chirurgische Eingriffe und übertriebene Medikamentierung können den Geburtsverlauf negativ beeinflussen. Laut WHO ist ihre Häufigkeit in den letzten 20 Jahren eindeutig gestiegen. Wurden diese Maßnahmen vorher meist nur bei Komplikationen vorgenommen, werden sie heute oft routinemäßig durchgeführt. Dadurch werde die Fähigkeit der Frauen untergraben, ihr Kind auf natürlichem Weg zur Welt zu bringen, so die WHO.
Außerdem können Ruhe und Rückzugsatmosphäre dadurch gestört werden. Werden kurz vor der Geburt die Ruhe und das Rückzugsbedürfnis der Mutter durch zu häufiges Eingreifen des Personals zu sehr gestört, kann dies das Zusammenspiel von Hormonen und Reflexen durcheinander bringen. Das wiederum, kann weitere von der Mutter eigentlich nicht gewünschte Eingriffe erforderlich machen.
Dr. Hannes Vetter, Frauenarzt und Experte für Geburtshilfe in Luxemburg, ist von der Notwendigkeit überzeugt, die Gebärende über jeden Schritt zu informieren und in Nicht-Notsituationen um ihr Einverständnis zu beten. Fabienne Michaux, die heute als selbstständige Hebamme arbeitet und über eigene Erfahrungen in der Geburtsklinik verfügt, schätzt ihrerseits, dass etwa ein Drittel der Gebärenden über den Geburtsverlauf nicht informiert oder schlecht aufgeklärt seien. Das wiederum sei problematisch, da eine ganzheitliche Information die Voraussetzung für die Selbstbestimmung bei der Geburt sei.
Missstände und Mängel in den Geburtskliniken können zu weiteren Formen von Gewalt führen. Etwa, wenn Gebärende allein gelassen werden, obwohl sie der Präsenz einer Hebamme bedürfen, um sich sicher und geborgen zu fühlen. „Man kann eine Frau oft schon durch seine Anwesenheit beruhigen“, meint dazu Dr. Hannes Vetter,
Personalmangel als Ursache struktureller Gewalt
Unter den meisten Professionellen des Sektors herrscht Einigkeit: Für einen optimalen physiologischen, also natürlichen Geburtsverlauf bräuchte es eine Eins-zu-Eins-Betreuung, also eine Hebamme pro Gebärende. Eine solche Betreuung erachtet auch die WHO als entscheidend für den Ausgang der Geburt. Davon können werdende Mütter in Luxemburg aber nur träumen. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die Geburtskliniken in Luxemburg überfüllt sind und eine Hebamme sich gleichzeitig um bis zu vier Geburten kümmern muss.
Hebammen eilen von einer Gebärenden zur nächsten und es bleibt ihnen kaum Zeit sich individuell auf die Frauen einzulassen. Damit verunsichern sie jene Frauen, die vielleicht einer durchgehenden Betreuung bedürfen. Sind Hebammen gestresst, verlieren auch sie selbst verständlicherweise schneller die nötige Ruhe und Gelassenheit, die für den Verlauf förderlich wären.
Einige Hebammen haben deshalb auch den Geburtskliniken den Rücken gekehrt. Cindy Gouden ist eine davon: Sie trifft in ihrer neuen Tätigkeit öfters Frauen, die traumatische Erlebnisse während der Geburt machen mussten. „Wir brauchen Zeit und Personal“ bestätigt auch Dr. Vetter.
Aufgrund der hohen Kaiserschnittsrate von 31 Prozent hat sich der Personalschlüssel in den hiesigen Geburtskliniken vor einigen Jahren noch verschlechtert. Da bei Kaiserschnitten OP-Krankenschwestern intervenieren, galt die Annahme, dass in Zukunft weniger Hebammen benötigt würden. Dabei ist die postnatale Betreuung nach Operationen aufwendiger: Häufig gibt es etwa Startschwierigkeiten beim Stillen, so dass eine intensivere Betreuung benötigt wird. „Wir haben vermehrt Burn-out-Fälle in unserem Beruf“, bestätigt eine Hebamme. Angesichts des geschilderten Missstandes scheint es offensichtlich, dass Sparmaßnahmen nicht nur dem Krankenhauspersonal schaden.
* Namen von der Redaktion geändert.