Zum wiederholten Mal soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex in die gewaltsame Zurückdrängung von Geflüchteten im Mittelmeerraum verwickelt sein. EU-Parlamentarier jeglicher Couleur fordern Aufklärung. Auch in Luxemburg regt sich zunehmende Kritik.
„Die Nachrichten über eine eventuelle Beteiligung von Frontex an den so genannten Pushbacks im östlichen Mittelmeerraum sind besorgniserregend und würden, wenn sie sich denn bestätigen, eine Verletzung der Menschenrechte darstellen.“ Mit diesen Worten beginnt die Antwort Jean Asselborns auf die dringende parlamentarische Anfrage des CSV-Abgeordneten Paul Galles. Dieser bezieht sich auf einige Medienberichte aus Deutschland, in denen die Methoden von Frontex scharf kritisiert werden.
Frontex-Einheiten, so berichtete der Spiegel am 23. Oktober, seien in mindestens sechs Fällen in der Nähe gewesen, als griechische Grenzbeamte Bootsflüchtlinge in türkische Gewässer zurückdrängten. In einem Fall sollen rumänische Frontex-Beamte bei den illegalen Pushbacks sogar mitgeholfen haben. Dem Spiegel zufolge „stoppten sie ein Boot, fuhren mit hoher Geschwindigkeit gefährlich dicht an ihm vorbei und überließen es dann der griechischen Küstenwache.“ Frontex ist die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache, die in Kooperation mit den Mitgliedstaaten für die Kontrolle der Außengrenzen der EU verantwortlich ist.
Frontex – ein „Monster“ über dem Recht?
Frontex selbst hat in einer Pressemitteilung mittlerweile eine interne Untersuchung angekündigt. Dass sich die EU-Innenkommissarin, Ylva Johansson, damit zufrieden geben wird, ist unwahrscheinlich. Stimmen nach Aufklärung bis hin zur Forderung der Entlassung des Frontex-Chefs Fabrice Leggeri, wurden in den letzten Tagen im EU-Parlament laut. „Es kann nicht sein, dass wir mit Frontex ein Monster erschaffen haben, das niemandem Rechenschaft schuldet und über dem Recht steht“, sagte Sophie in’t Veld von der liberalen Renew-Europe-Fraktion laut dem Spiegel. Ob Grüne, Linke, Konservative oder Liberale – EU-Politiker jeglicher Couleur zeigten sich empört und fordern Untersuchungen.
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die europäische Grenzschutzagentur Frontex in illegale Handlungen an den Außengrenzen der EU verwickelt sein soll. Spätestens seit 2013 machten Berichte von Medien und Nichtregierungsorganisationen immer wieder darauf aufmerksam, dass die EU-Grenzschutzagentur über Misshandlungen von Flüchtlingen bei ihrer Ankunft in Griechenland mindestens informiert war und ihre gewaltsame Zurückdrängung tolerierte.
Schon damals häuften sich die Anfragen an die Kommission aus dem Europäischen Parlament. Es wurde darauf hingewiesen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen immer wieder Zweifel daran geäußert haben, ob sich Frontex an die Grundrechte halte.
Flüchtlingsschutz versus Grenzschutz
Die Sicherung der Außengrenzen der EU erweist sich spätestens seit der Südost-Erweiterung als heikel. Zwangsläufig sind äußere Krisen näher an die EU herangerückt. Bewaffnete Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und in großen Teilen Afrikas haben zu den größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt die dadurch auftretende Problematik als „Flüchtlingsschutz versus Grenzschutz“.
Um dieser Problematik entgegenzuwirken, schuf die EU bereits 2004 die „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“ mit Sitz in Warschau, kurz Frontex. Frontex hat eigene Mitarbeiter und bekommt zusätzlich von den Mitgliedstaaten Beamte gestellt. Seit ihrer Gründung ist die Agentur jedoch politisch umstritten.
Dennoch soll Frontex weiter ausgebaut werden. Im September 2018 hat die Europäische Kommission eine komplette Neugestaltung der Agentur vorgeschlagen, die 2019 vom Europäischen Rat verabschiedet wurde: Durch diese Verordnung bekommt die Agentur weitere Befugnisse beim Grenzschutz, eine eigene Ausrüstung und ab nächstem Jahr ein geplantes Budget von fast zwölf Milliarden Euro.
Forderung nach Beschwerde-Mechanismus
Menschenrechtsorganisationen wie ProAsyl kritisieren den Ausbau der Kompetenzen stark. Sie sind der Meinung, dass die interne Abteilung für Menschenrechte gestärkt und vor allem ein institutionell unabhängiger Beschwerde-Mechanismus aufgebaut werden müsste. Die Kontrolle und die Klagemöglichkeiten bei Verletzung von Menschenrechten seien schon seit langem Kernprobleme von Frontex.
Jetzt muss sich die Agentur zunächst einmal gegen die neuen Vorwürfe behaupten. Spätestens am 10. November wird ihr Chef Fabrice Leggeri in einer außergewöhnlichen Sitzung des Verwaltungsrates der Agentur Rechenschaft ablegen müssen und über die jüngsten Untersuchungsergebnisse berichten. Auch Luxemburg wird bei dieser Sitzung vertreten sein.
Es sei allerdings „an den nationalen Behörden, die nötigen Untersuchungen auf ihrem Staatsgebiet durchzuführen“, heißt es in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage von Paul Galles. Schließlich seien die jeweiligen Mitgliedsstaaten für die Missionen von Frontex auf ihrem Staatsgebiet verantwortlich. Darüber hinaus werde die Europäische Kommission dafür sorgen, dass europäisches Recht respektiert und angewandt werde“, so Außenminister Jean Asselborn in seinem Schreiben.