Vor dem Europaparlament warb Emmanuel Macron vergangene Woche erneut für ein starkes Europa und umfangreiche Reformen. Doch bisher kann Frankreichs Präsident kaum Erfolge vorweisen. Das könnte ihm auch im eigenen Land schaden.

Eine „Wiedergeburt Europas“, das forderte Emmanuel Macron am vergangenen Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg. Mit Eifer appellierte der französische Staatschef in seiner Rede daran, die liberale Demokratie zu verteidigen und diese der überall in der EU aufkeimenden autoritären Grundeinstellung entgegenzusetzen. Lob kam unter anderem von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Das „wahre Frankreich“ sei zurück, freute sich dieser. Auch wenn die Ansprache vor allem den Parlamentariern der restlichen 27 EU-Mitgliedstaaten galt, war das Signal, das Emmanuel Macron einmal mehr an sein eigenes Land sandte ebenfalls eindeutig: Wir sind wieder da und geben Europa die Richtung vor.

„Es ist schon lange her, dass sich ein französischer Präsident so für Europa stark gemacht hat“, begrüßt Hervé Moritz, Frankreich-Vorsitzender des Jugend-Netzwerks Junge Europäische Föderalisten Macrons Initiative. Ein monatelang durch Regierungsverhandlungen gelähmtes Deutschland und die Zugewinne rechtspopulistischer, europakritischer Parteien in mehreren EU-Staaten – die Wiederwahl Viktor Orbans in Ungarn ist nur das jüngste Beispiel – haben es Emmanuel Macron ermöglicht, sich, in einer für die EU kritischen Zeit, als starker Mann Europas zu etablieren.

Macron befindet sich den Franzosen gegenüber in einer peinlichen Lage. Denn ihm ist klar, dass er seine Reformpläne für die EU nicht wie geplant umsetzen kann.“

Und genau wie für Frankreich hat der 40-jährige Staatschef auch für die EU große Reformpläne, die er zum ersten Mal Anfang September 2017 in Athen und wenige Wochen später in einer mitreißenden Rede vor der Pariser Universität Sorbonne darlegte: von einer Stärkung der Euro-Zone mit eigenem Budget und Finanzminister über eine europäische Asyl- und Außenpolitik mit gemeinsamer EU-Eingreiftruppe bis zu einer Innovationsagentur, die die digitale Revolution vorantreiben soll.

Pläne zur EU-Reform geraten ins Stocken

In Frankreich kann Macron damit punkten: 67% der Franzosen befürworten seinen pro-europäischen Kurs, ergab eine kürzlich veröffentlichte Umfrage im Auftrag französischer Medien. Doch tatsächliche Fortschritte konnte der Staatspräsident bisher kaum erzielen. Denn dazu braucht er seine europäischen Partner. Und diese scheinen um Einiges weniger enthusiastisch. „Sollte Emmanuel Macron keine Mitstreiter finden, wird es für ihn schwierig werden, seine Führungsrolle in der EU aufrecht zu erhalten “, urteilt Sébastien Maillard, Direktor des nach dem früheren EU-Kommissionspräsidenten benannten Thinktanks Jacques Delors.

Während Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Macrons Reformpläne für Europa begrüßt, hält sich die Begeisterung dafür in den meisten Hauptstädten der EU in Grenzen. (Foto: Shutterstock.com)

Vor allem der wohl wichtigste Partner, Deutschland, das sich nach langwierigen Koalitionsverhandlungen nun endlich dem Thema Europa widmen kann, steht dem Reformeifer des französischen Staatschefs skeptisch gegenüber. Das wurde auch bei Emmanuel Macrons Besuch bei der Kanzlerin Angela Merkel vergangenen Donnerstag in Berlin deutlich. Zwar will das deutsch-französische Tandem bis Juni eine gemeinsame „Roadmap“ präsentieren. Noch liegen die beiden Staaten aber in einigen Positionen weit auseinander. Besonders bei der Idee eines eigenen Haushalts und Finanzministers für die Eurozone tritt Merkel auf die Bremse.

„Macron will ein starkes Europa nach französischem Vorbild. Er hat dabei aber sowohl die Dauer der deutschen Regierungsbildung, als auch den mangelnden Enthusiasmus auf der anderen Rheinseite unterschätzt“, urteilt Rémi Bourgeot, Wirtschaftswissenschaftler und EU-Experte am französischen Forschungsinstitut IRIS. In der Ansprache des französischen Staatschefs vor dem Europaparlament sieht Bourgeot die Rede eines Präsidenten, der in Bedrängnis geraten ist: „Macron befindet sich den Franzosen gegenüber in einer peinlichen Lage. Denn ihm ist klar, dass er seine Reformpläne für die EU nicht wie geplant umsetzen kann.“

Macron steht innenpolitisch unter Druck

Der französische Präsident könnte einen Erfolg außerdem gerade gut brachen. Denn in Frankreich macht sich derzeit massiver Widerstand gegen seinen nationalen Reformkurs breit. Der für drei Monate geplante Streik der Eisenbahner der Staatsbahn SNCF dauert an. Studenten im ganzen Land haben Universitätsgebäude besetzt, um gegen die neue Bildungsreform zu demonstrieren. Beamte, Mitarbeiter der Fluggesellschaft Air France und Rentner gehen gegen geplante Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen auf die Straße. Insgesamt sind laut einer aktuellen Umfrage fast 60 Prozent der Franzosen mit ihrem Staatschef unzufrieden, insbesondere mit dessen Innenpolitik.

„Seine Wähler könnten Macron vorhalten, in Frankreich ein ehrgeiziges Reformprogramm zu fahren, um auf europäischer Ebene an Glaubwürdigkeit zu gewinnen, im Gegenzug von seinen europäischen Partnern aber nichts zu erhalten“, analysiert Rémi Bourgeot. „Er wird also sein Vorgehen ändern müssen, um den Franzosen zumindest kleine Erfolge präsentieren zu können.“

Möglich wäre dies etwa bei dem Vorhaben einer EU-weiten höheren Besteuerung von Digitalkonzernen wie Apple, Google und Facebook. „Auch mit dem Vorschlag, ein direktes EU-Förderprogramm für Kommunen einzurichten, die Flüchtlinge aufnehmen, hat Macron bei seiner Ansprache in Straßburg ein positives Signal an Deutschland gesandt und so an die Verhandlungsbereitschaft der Kanzlerin appelliert“, erklärt Bourgeot.

„Ein solches Förderprogramm ist eine schöne Idee, klingt aber aus Emmanuel Macrons Mund etwas paradox, da es von seiner nationalen Flüchtlingspolitik abweicht“, kritisiert Hervé Moritz von den Jungen Europäischen Föderalisten. Er spielt damit auf ein verschärftes Asylgesetz an, das die französische Nationalversammlung in der Nacht vom 22. zum 23. April verabschiedet hat.

Fundamentalkritik von Links und Rechts

Unter Frankreichs Parteien kommt Kritik an Macrons Europapolitik vor allem von den beiden EU-skeptischen Bewegungen: Marine Le Pens Front National und La France insoumise des Linksaußenpolitikers Jean-Luc Mélechon.  Aber auch Laurent Wauquiez, der neue Vorsitzende der konservativen Republicains, die derzeit größte Oppositionspartei, gilt als EU-Skeptiker. Er bezeichnete die Europäische Union bereits als „verlorenen Traum“ und predigte in seinem 2014 erschienen Buch „Europe : il faut tout changer“ Frankreichs Austritt aus dem Schengenraum.

Sechs Monate nach seiner Ansprache vor der Sorbonne tritt Emmanuel Macron immer noch auf der Stelle. Das Einzige, was ihn von seinem Vorgänger François Hollande unterscheidet, ist eine gute Rede.“

Aus dem linkem Lager kommt vor allem Kritik an der bisher fehlenden Umsetzung der Reformpläne. „Sechs Monate nach seiner Ansprache vor der Sorbonne tritt Emmanuel Macron immer noch auf der Stelle. Das Einzige, was ihn von seinem Vorgänger François Hollande unterscheidet, ist eine gute Rede“, kritisiert der langjährige Sozialist und EU-Abgeordnete aus der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten Guillaume Balas. Ihm zufolge hätte der Staatschef den strategischen Fehler gemacht, zuerst den Dialog mit Deutschland zu suchen, anstatt sich für seine geplanten Reformen mit Ländern wie Portugal, Spanien und Italien zusammenzuschließen und dementsprechend auf den Nachbarn auf der anderen Seite des Rheins Druck auszuüben.

Den einzigen Erfolg, den der französische Präsident bisher vorweisen kann, sind die von ihm ins Leben gerufenen Bürgerbefragungen. Alle EU-Staaten organisieren in den kommenden Monaten Diskussionsrunden, in denen sich unter anderem Minister den Fragen und Anliegen der Bürger zur Europäischen Union stellen. In Frankreich gab Macron dazu am 17. April in der Stadt Epinal in den Vogesen den Startschuss.

Was die einen als schöne und wichtige Initiative sehen, wird von den anderen als politisches Manöver abgetan. Knapp eine Woche vor Beginn der „Consultations citoyennes“ hatte Macrons Partei „La République en Marche!“ mit Kundgebungen, Märschen und Tür-zu-Tür-Befragungen auch ihre Kampagne zur Europawahl 2019 eingeläutet. „La Grande Marche pour l’Europe“ bezeichnet die Bewegung ihre Aktion, die eindeutige Parallelen zu 2016 aufweist. Auch damals hatte die Bewegung Hausbefragungen durchgeführt und die Ergebnisse in das Programm für die Präsidentschaftswahl einfließen lassen.

„Macrons großer Stimmungstest ist die Europawahl 2019“, bestätigt Sébastien Maillard. Beobachter rechnen damit, dass die Bewegung des französischen Präsidenten „La République en Marche!“ dabei mit europaweiten Parteilisten antreten will. Bisher ist die gerade einmal zwei Jahre alte Partei im Europaparlament noch nicht vertreten. Damit es Macrons Anhängern gelingt eine Fraktion zu bilden, müssen „En Marche“-Kandidaten aber neben Frankreich auch in mindestens sechs weiteren EU-Mitgliedstaaten Mandate erringen. Auch hier gilt: Will Emmanuel Macron überzeugen, dann wird er wohl bald mit Resultaten aufwarten müssen.