Kaum irgendwo in Frankreich gibt es so viele verwaiste Firmengelände wie im grenznahen Lothringen. Die Dekontaminierung verläuft oft schleppend. Jahre nach dem Schließen der Werkstore belasten die Industriebrachen noch immer Boden, Grundwasser und die Bevölkerung.
Als Leiter der Abteilung „Verseuchte Gelände und Böden“ bei der staatlichen Umweltbehörde „Ademe Grand-Est“ beschäftigt sich Jérémy Muller schon seit vielen Jahren mit verwaisten Industriebrachen. Die Behörde springt immer dann ein, wenn ein Unternehmer insolvent gegangen ist und nicht genug Geld für die Räumung zurückgelegt wurde. „Lothringen hat ein schweres Erbe aus der Blütezeit der Schwerindustrie“, erklärt Jérémy Muller. Seit rund zehn Jahren engagiere sich der französische Staat verstärkt in der Dekontaminierung solcher Industriebrachen.
Allein die „Ademe Grand-Est“ sei aktuell auf etwa 30 Geländen gleichzeitig aktiv. Damit ließe sich aber auch festhalten: Die meisten verwaisten Industriebrachen lassen sich Unternehmen zuordnen, die noch in Betrieb sind. Darunter zählen in Lothringen Standorte vieler großer Konzerne wie Total Petrochemicals France oder ArcelorMittal. Beide bekommen regelmäßig Post von Behörden, weil sie fällige Räumungen schon seit Jahren verschleppen.
„Ein explosiver Cocktail“
Während er insgesamt einen positiven Trend sehe, kann Jérémy Muller aber auch von einigen Extremfällen berichten. 400 Tonnen teils hochgiftiger Müll, darunter leicht entzündliche Abfälle und Brennstoffe, lagerten lange Zeit ungesichert inmitten einem Wohngebiet. „Das war wirklich ein explosiver Cocktail“, schildert der Experte. Die Rede ist von der Firma Pimest in Boulange, einem kleinen Ort in Lothringen auf halber Strecke zwischen Esch/Alzette und Hayange.
Das Unternehmen, das vor allem im Auftrag von ArcelorMittal Metall verarbeitete, ist in vielerlei Hinsicht ein Extrembeispiel. Der staatlichen Umweltdatenbank Basol zufolge informierte der Betreiber die Behörden erst Ende Dezember 2005, dass er bereits im Februar des Vorjahres den Betrieb in Boulange eingestellt habe. Von diesem Zeitpunkt an dauerte es fast zehn Jahre, bis das Gelände geräumt wurde. Da der Betrieb nicht als gefährlich deklariert war, sei er von der „Industrie-Polizei“ Dreal kaum überwacht worden, erklärt Muller.
Im Gespräch mit REPORTER erklärt der Bürgermeister der Gemeinde, dass die Behörden nur deshalb auf die Firma aufmerksam wurden, weil dort im Frühjahr 2014 ein Feuer ausbrach. Spielende Jugendliche hatten den auf der Brache lagernden Giftmüll in Brand gesteckt. „Das hätte tödlich ausgehen können“, meint der Bürgermeister. Erst ein weiteres Jahr später wurde das Gelände geräumt.
„Es handelte sich um die größte Dekontaminierung der vergangenen Jahre“, erklärt Jérémy Muller. Vier Meter hoch habe sich der Giftmüll in Boulange getürmt. Während der Räumung entdeckten die Beamten, dass die Firma „von anderen Standorten Abfälle dorthin geschafft hatte, um sich die Entsorgung zu sparen“. Das verwundert: Laut Handelsregister warf die Firma mit mehreren Standorten und 30 Mitarbeitern vier Jahrzehnte lang satte Gewinne ab. Die Dekontaminierung zahlte am Ende der Steuerzahler: rund 400.000 Euro. Der ehemalige Betreiber der Firma, ein mittlerweile 78 Jahre alter Lothringer, war für eine Stellungnahme nicht mehr aufzutreiben.
Verborgener Industriemüll
Ein anderes krasses Beispiel ist der Fall der metallverarbeitenden Firma Mim in Merten unweit der Grenze zum Saarland. Recherchen für die „Saarbrücker Zeitung“ hatten bereits 2015 eine Intervention der Ademe ausgelöst. Es kam heraus, dass auf dem verwaisten Firmengelände jahrelang unbewacht tonnenweise hochgiftige Säuren und brennbare Pulver lagerten. Insgesamt 940 Tonnen Müll wurden auf dem Gelände gefunden. Die Dekontaminierung kostete ebenfalls rund 400.000 Euro.
„Es gab dort Dinge, die vor den Kontrollbehörden verborgen wurden“, sagte Jérémy Muller später dem saarländischen Magazin „Forum“. Neben rund 200 versteckt gehaltenen riesigen Säcken mit Schwermetall belasteten Schlämmen betrieben Mitarbeiter demnach auch ein geheimes Kanalrohr, das von dem Unternehmen direkt in einen Bachlauf ragte.
Laut Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft schilderte ein ehemaliger Mitarbeiter die Funktion dieses Rohres wie folgt: „Das ging direkt vom Abschnitt der Metallisierung ab. (…) Das waren Abwässer, die überhaupt nicht neutralisiert waren.“ Außerdem sei mit Aluminum belastetes Öl „ohne Behandlung in den Bach“ gekippt worden. Die Ermittlungen in dem Fall sind mittlerweile eingestellt worden, aus Mangel an Beweisen.
Der Fall Merten hatte im Jahr 2015 auf beiden Seiten der Grenze für Aufsehen gesorgt. Den französischen Umweltbehörden war die Firma, die zuletzt rund drei Dutzend Mitarbeiter beschäftigte, derweil schon lange bekannt. Seit Anfang 2000 war der damalige Firmenchef, ein Unternehmer aus Saarlouis, neun Mal wegen Umweltvergehen von der Regionalregierung abgemahnt worden. Strafzahlungen oder gar Prozesse gegen ihn gab es aber keine. Nach kleinen Unterbrechungen konnte er den Betrieb stets wieder aufnehmen.
Verspätete Dekontaminierung
Brennbare Produkte, ein nicht-entgaster Kraftstofftank, Metall-belastete Schlämme und Abwasserrohre mit unbekanntem Ausgang: So beschrieben die französischen Behörden den Zustand eines ehemaligen Industriegeländes in Ottange im Jahr 2015. Einer Recherche für das „Tageblatt“ zufolge verrotteten im Süden von Ottange, nur drei Kilometer von der luxemburgischen Grenze entfernt, an einem Bachlauf jahrelang die giftigen Überreste der Firma Profilest, ein Metallverarbeitungsbetrieb, der bereits im Jahr 2014 in die Insolvenz gegangenen war.
Die französischen Behörden hatte das Gelände lange Zeit weder geräumt, noch wenigstens abgesperrt. Erst Anfang dieses Jahres ließ die Ademe schließlich dekontaminieren. Dem Protokoll der Firmenauflösung sei keine Umwelt-Diagnose beigefügt worden, beklagte die „Industrie-Polizei“ Dreal schon vor Jahren. Mögliche Umwelteinflüsse der Brache konnten somit nicht untersucht werden. Dabei sei das Grundwasser an dieser Stelle offenbar „anfällig“ für Verunreinigungen. Gleiches gelte auch für den nach Luxemburg fließenden Kaylerbach.
In den vergangenen Jahren ist in Lothringen das Bewusstsein für die Risiken und Potenziale der Brachen gewachsen. Im Departement der Vogesen entstand unter dem Dach der „Staatlichen Grundstücks-Behörde“ (EPFL) Anfang des Jahrzehnts die „Lothringer Beobachtungsstelle für Industriebrachen“, die Statistiken erhebt und Raumplaner aus Politik und Verwaltung zusammenbringt, schult und unterstützt. Das selbst erklärte Ziel: „Vorhandene Räume sinnvoll nutzen, vor allem durch die Neuerschließung vorher genutzter Grundstücke.“
Ein Beispiel: 2013 ließ die EPFL den, zwischen Esch an der Alzette und Villerupt gelegenen, alten Hütten- und Bergbau-Standort Micheville räumen. Das verlassene Gelände war zu einer riesigen, illegalen Mülldeponie verkommen. An dem Ort soll nun bis 2021 ein Einkaufszentrum entstehen.