Lokale Musikvereine sind vom Aussterben bedroht, heißt es. Damit geht mit der Zeit auch ein Stück Luxemburger Kultur verloren. In Düdelingen ist das anders. Dort stellt sich ein ehemaliger Arbeiterverein seit einigen Jahren neu auf. Eine Reportage.
Marc Valletta winkt ab. Ihm gefällt nicht, was er hört. Wirklich romantisch kommt „Something Stupid“ noch nicht rüber. „Der einzige, der mit Gefühl gespielt hat, war Nico während seines Solos“, sagt der Dirigent und zeigt auf einen der Klarinettisten in der zweiten Reihe.
Weil das Lied noch nicht so klingt, wie Valletta es sich vorstellt, müssen alle noch einmal ran. „Tutti von vorne“, ruft er in den Raum. Der Orchesterleiter gibt den Takt kurz vor, die Musikanten setzen die Instrumente an, es geht wieder von vorne los.
Dienstagabend in einem Probensaal, versteckt im Kulturzentrum „opderschmelz“ in Düdelingen. Die Harmonie Forge du Sud steckt mitten in den Vorbereitungen für ihr nächstes Konzert. In zwei Wochen ist es soweit. Thema werden dieses Mal Film- und Serien-Soundtracks sein. « Bonanza“, « Grease“, « Inspector Gadget »: Die bekannten Melodien hallen durch den Raum, einige Musiker schunkeln dezent auf ihren Stühlen mit.
Jene, die seit Jahrzehnten Mitglied sind, die bleiben es auch. Aber die Jugend kommt und geht.“Vereinspräsident Carlo Kaulmann
Jung und Alt, Holz- und Blechbläser, „Minetter“ Urgesteine und Zugezogene, Luxemburger und Ausländer – hier kommen alle zusammen. Je weiter der Blick aber in den Raum schweift, desto älter werden die Musikanten. Vorne spielen junge Leute Flöte oder Saxophon, hinten die älteren Semester schweres Blech wie Zugposaune und Tuba. 25 Musiker sitzen an diesem Abend im Probensaal. Am Konzertabend sollen es etwa doppelt so viele sein.

Die Harmonie Forge du Sud war nicht immer so gut aufgestellt. „Wie bei jedem Orchester gab es auch bei uns Höhen und Tiefen“, sagt Carlo Kaulmann. Der stämmige Mann mit den kurz geschorenen Haaren und dem grau-weißen Schnauzer ist seit 20 Jahren Präsident des Vereins.
Er sitzt am Ende eines großen Tischs. In seinem Notizblock hält er fest, wie lange die einzelnen Lieder dauern, die das Orchester spielt. Mit seinem Handy stoppt er nach jedem Stück die Zeit. Das sei wichtig für die Planung des Konzertablaufs, sagt er. Und das nächste Konzert soll schließlich wieder ein Erfolg für die Harmonie werden.
Kein Geld, keine Jugend
Vor gut zehn Jahren war die Situation des Vereins noch eine ganz andere. Kaulmann hat diese Zeit selbst miterlebt. Der Musikkapelle gingen die Musiker und das Geld aus. „Die Probleme eines Vereins sind eigentlich immer die gleichen: Die Frage, wie er sich finanzieren soll und der fehlende Nachwuchs“, sagt der Präsident. „Jene, die seit Jahrzehnten Mitglied sind, die bleiben es auch. Aber die Jugend kommt und geht.“
Also überlegte man intern, wie Kinder und Jugendliche wieder Gefallen an Musik und einem Orchester finden könnten. Und wie man die Konkurrenz umgeht. « Viele Kinder gehen lieber in einen Sportverein. Für sie bedeutet Sport Spielen und Musik heißt Lernen. Das schreckt ab. Und das mussten wir ändern. »
Frische Ideen mussten her. Schließlich hatte sich der Verein – oder die, die damals noch davon übrig waren – neu aufgestellt. Neben dem Jugendorchester « HaFoKids » wurde « Minimusikanten » für Kinder ab vier Jahren ins Leben gerufen. Dort bekommen Kinder Musik, Rhythmus, Klänge und Gesang spielerisch beigebracht. Es geht nicht so sehr ums « Lernen » als vielmehr darum, in der Gruppe Spaß zu haben.
Positiver Nebeneffekt für die Harmonie: Die Kleinen können schon mal Vereinsluft schnuppern – und zwar, bevor sie die regionale Musikschule besuchen. « Dann müssen wir sie später nur noch davon überzeugen, die Musikschule zu besuchen und ins ‘große’ Orchester zu kommen », sagt Kaulmann.

Und nicht nur die ganz Kleinen kommen ins Orchester. Auch die 16-Jährige Chloé ist quasi noch ein Vereinsneuling. Dabei spielt sie schon länger Musik. Um Mitglied mit Orchester sein zu können, schmiss sie mit Klavier hin und sattelte vor zwei Jahren auf Saxophon um. « Mir machte Klavier einfach keinen Spaß mehr. Ich konnte zu Hause immer nur alleine üben », erzählt sie in der Probenpause. « Im Orchester ist die Stimmung eine ganz andere – und das Proben in der Gruppe macht mehr Freude. »
Wenn die Jungen flügge werden
Die Harmonie Forge du Sud liefert das perfekte Gegenbeispiel zum schleichenden Vereinssterben in Luxemburg. Dass die Situation bei anderen weitaus dramatischer ist, weiß Fränz. Er selbst spielt Tenorsaxophon in Düdelingen und bei der « Biergaarbechtermusék » in Esch. Früher waren beide namhafte Orchester im Süden, heute zählt das eine fast 100 Mitglieder, während dem anderen noch knapp 20 bleiben. « Die beiden Vereine kann man mittlerweile gar nicht mehr miteinander vergleichen », so der Musikant.
Für Robert Köller, Generalsekretär von der Union Grand-Duc Adolphe (Ugda) ist klar, warum einige Vereine erfolgreicher sind als andere: « Dort, wo das Orchester aktiv nach Nachwuchs sucht, gibt es weniger Probleme. Das kostet aber auch deutlich mehr Energie. »
Er sagt, dass heute nicht weniger Menschen in Luxemburg Musik machen als früher. Ganz im Gegenteil. « Nur gibt es weniger Vereine », so Köller. Einige sind fusioniert, andere ganz verschwunden. Gut aufgestellt seien noch die, « die die Sache selbst in die Hand nehmen und sich immer wieder um Nachwuchs kümmern », sagt er.
Aus zwei mach eins
Nicht nur wegen der Jugend ist die Harmonie Forge du Sud ein vergleichsweise junger Verein. Er besteht seit gerade einmal 42 Jahren.
Seine Anfänge liegen aber weiter zurück – genauer in der Zeit, in der Luxemburgs Eisen- und Stahlindustrie blühte. Vor allem im Süden siedelten sich damals viele Gastarbeiter an. Sie hatten auch neue Bräuche und Musik mit im Gepäck. Samstags und sonntags wurde gerne zusammen musiziert. Und so entstand im Düdelinger « Quartier Italien » im Jahr 1911 die « Fraternelle » – der Musikverein der Bergarbeiter. Später wurde er in die « Biergaarbechter-Musék » umgetauft.
In einem anderen Viertel – dem des Stahlwerks – entstand praktisch zeitgleich ein zweites Orchester. Dort waren es 1911 die Schmelzarbeiter die die « Harmonie Concordia » gründeten. Die beiden Vereine konnten parallel bestehen – jeder hatte sein Viertel, seine Musiker, sein Publikum.
Wer die Bedeutung des ‘Hämmelsmarsch’ nicht kennt, der gibt auch keine Spende. »Carlo Kaulmann
Doch der industrielle Aufschwung im Süden hielt nicht ewig an. Und mit dem Rückgang der Kohle- und Stahlindustrie ging auch der Erfolg der beiden Orchester zurück. Weil es den Vereinen in den 1970er Jahren immer mehr an Musikanten fehlte, schlossen sich die « Biergaarbechter-Musék » und die « Schmelzer Musék » im Jahr 1976 zusammen. Es war die Geburtsstunde der Harmonie Forge du Sud.
Kampf gegen das Vergessen
Aus einem Arbeiter- wurde ein Dorfverein. An die lange Geschichte der Harmonie erinnern heute nur noch alte Vereinsfahnen im Probenraum. Längst hat sich ein Grauschleier über sie gezogen. Eingrahmt und von Glas geschützt, hängen sie an den Wänden.
Mindestens so alt wie die Fahnen sind auch einige Traditionen, an denen die Forge du Sud festhält. Für sie sind Luxemburger Bräuche wichtig – nicht nur für das Zusammenleben als Verein, sondern auch aus finanzieller Sicht. Drei Mal pro Jahr spielt die Harmonie den « Hämmelsmarsch » zur Düdelinger Kirmes. Das bringt rund 7.000 Euro ein und ist ihre wichtigste Einnahmequelle.
Seit jeher sind diese Bräuche Teil des Vereinslebens. Bei der Bevölkerung verlieren sie aber immer mehr an Bedeutung. Auch, weil meist nur Luxemburger diese Traditionen kennen. Ein Problem für die Harmonie Forge du Sud – und für alle anderen Harmonien und Fanfaren im Land. « Wer die Bedeutung des ‘Hämmelsmarsch’ nicht kennt, der gibt auch keine Spende », so Carlo Kaulmann.

Deshalb steuert das Orchester längst nicht mehr alle Viertel bei ihren Aktivitäten und Umzügen an. Nicht einmal mehr das italienische Viertel – den Ort, an dem der Verein entstanden ist. « Dort ist es für uns heute nicht mehr interessant. Niemand öffnet uns die Tür, kaum jemand hört uns zu », erzählt Dan. Er ist Klarinettist im Orchester. « Alle, die die alten Vereinsbräuche noch kannten, sind praktisch ausgestorben. » Und die vielen Zugezogenen würden sich nur langsam daran herantasten – wenn überhaupt.
Die Vereinsmitglieder versuchen es dennoch positiv zu sehen – und geben ihre Traditionen nicht so schnell auf. « Es ist natürlich schade, dass nicht mehr Interesse bei den Menschen besteht. Aber für uns ist es schön, so lange wir die Luxemburger Bräuche am Leben erhalten. Es ist unser Beitrag für die Dorfgemeinschaft. Und solche Aktivitäten stärken den Zusammenhalt im Verein », sagt Carlo Kaulmann. Dann drückt er wieder aufs Handy. Die Stoppuhr startet. Das letzte Stück der Probe beginnt.
Konzentration bis (fast) zum Schluss
In den letzten Minuten wird es noch einmal heikel. Bei « Those Magnificient Men in Their Flying Machines » verpassen die Trompeten ihren Einsatz. Das bringt das ganze Orchester aus dem Takt. Marc Valletta schüttelt den Kopf, seine Mundwinkel ziehen sich leicht nach unten. Glücklich sieht anders aus. Trotzdem dirigiert er entschlossen bis zum Ende weiter.
Auch einige Musikanten drücken die Augenbrauen irritiert zusammen. Andere hören kurz ganz auf zu spielen. Wieder andere schauen verwundert auf den Dirigenten – die Frage, wie der Chef wohl auf den Trompeten-Patzer reagieren wird, zeichnet sich förmlich in ihren Gesichtern ab. Valletta bleibt aber gelassen.
Den Schluss des Stücks müssen die Musiker trotzdem noch einmal wiederholen. Erst die Trompeten alleine, dann das ganze Orchester. So lange, bis er sitzt. Bis sie wissen, wie und wo sie einsetzen müssen.
22 Uhr – Ende der Probe. Alle packen ihre Instrumente ein. Valletta steht noch immer hinter dem Dirigentenpult. Er erinnert seine Musikanten daran, dass es bis zum Konzert nicht mehr lange hin ist. Und, dass an den Stücken noch gefeilt werden muss. « Also, kommt bitte in die nächsten Proben », ruft er in den Raum – und klappt schließlich das Notenheft zu. Darüber muss er sich aber keine Sorgen machen. Denn anders als bei anderen Vereinen, sind die Reihen bei der Harmonie Forge du Sud auch heute noch gut gefüllt.