Ab dem 1. Januar 2020 sollen das CHL und das Hôpital Kirchberg ihre Notaufnahmen täglich öffnen. Einigen Ärzten reicht dabei die Finanzierung der CNS aber nicht aus. Manche bezweifeln sogar, dass die Notdienste in der Hauptstadt so überhaupt funktionieren können.

Die Notaufnahmen der beiden großen Krankenhäuser der Hauptstadt sind heute nicht täglich, sondern nur jeden zweiten Tag geöffnet. Das soll sich ab kommendem Jahr ändern: Der Notdienst soll an Werktagen zwischen 7 und 17 Uhr an beiden Standorten gleichzeitig angeboten werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Angebot verdoppelt wird und die Wartezeiten dadurch automatisch verkürzt werden. Was sich wie eine klare Verbesserung der Lage anhört, hat nämlich einen Haken.

Das Grundproblem: Für die Flexibilisierung des Notdienstes ist keine Personalaufstockung vorgesehen. Laut Finanzierung der „Caisse nationale de santé“ (CNS) soll der Personalschlüssel an beiden Standorten im Vergleich zu heute nicht steigen. In der Theorie soll so ab 2020 pro Notaufnahme tagsüber nur halb so viel Personal im Dienst sein.

„Es ist grob vereinfacht zu meinen, dass wenn beide Krankenhäuser den Notdienst gleichzeitig anbieten, jedes davon nur noch halb so viele Patienten behandeln muss“, sagt der Chef-Koordinator der Notaufnahme der „Hôpitaux Robert Schuman“ (HRS) in Kirchberg, Dr. Emile Bock. Die der Reform zu Grunde liegende Schlussfolgerung, dass jede Notaufnahme dann nur noch die Hälfte des Personals bräuchte, sei « sehr realitätsfremd ».

Weniger Notärzte sind keine Option

Eine gleichmäßige Verteilung der Patienten auf die beiden Notaufnahmen, wie es das Szenario der CNS vorsieht, hält Dr. Bock für unwahrscheinlich. Und sogar dann wäre der Notdienst mit der Hälfte des Personals nicht zu bewältigen, mahnt er. „Jedes Krankenhaus braucht eine Mindestanzahl an Ärzten, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Gegenwärtig funktioniert unser Krankenhaus mit vier Notärzten am Tag und zwei in der Nacht. Man kann die Anzahl der Ärzte nicht einfach halbieren.“

Tagsüber sei ein Minimum von drei Ärzten nötig, so der Koordinator. Wird ein außergewöhnlicher Notfall eingeliefert, mit dem einer der Notärzte mehrere Stunden beschäftigt ist, könne der zweite Notarzt unmöglich alle weiteren Patienten allein behandeln. „Ich selbst habe nicht vor, die Zahl der Notärzte zu reduzieren“, unterstreicht Dr. Bock.

Unattraktiv für freiberufliche Ärzte

Wird die Anzahl des Personals nicht halbiert, ergibt sich daraus allerdings ein finanzielles Problem. Die Frage stellt sich einerseits für die Krankenschwestern – sie werden direkt über den Krankenhausbeitrag der CNS finanziert. Letzterer wird für 2020 eben nicht ansteigen, um den Notdiensten die Rekrutierung von zusätzlichem Personal zu ermöglichen.

Die Frage stellt sich aber auch für die freiberuflichen Ärzte. Sie erhalten kein festes Gehalt und werden pro Behandlung bezahlt. Nur noch die Hälfte der Patienten würde für diese Mediziner nur noch die Hälfte an Einnahmen bedeuten. Wird die Anzahl der Ärzte vor Ort nicht gleichermaßen reduziert, kann dieser Effekt nicht ausgeglichen werden.

Ungewisser Personalaufwand

Warum wurden für die ab nächstem Jahr geltende Reform nicht mehr finanzielle Mittel vorgesehen? Im Gesundheitsministerium erklärt man, dass der den Krankenhäusern zustehende Beitrag alle zwei Jahre verhandelt werde. Demnach sei die Summe für 2019 und 2020 bereits im Oktober 2018 entschieden worden. Damals habe man die erhöhte Anzahl der Notdienste ab 2020 schon mit eingerechnet, so eine Beraterin von Gesundheitsminister Etienne Schneider (LSAP).

Aus der „Direction des Soins“ des Hôpital Kirchberg verlautet, dass die CNS ihren Krankenhausbeitrag zwar bereits angehoben habe. Diese Erhöhung stehe aber nicht im Zusammenhang mit steigenden Anforderungen angesichts der zusätzlichen Notdienste. Sie sei nach einem Audit auf eine generelle Anpassung der Normen im Krankenhauswesen zurückzuführen. Demnach wurde der finanzielle Beitrag aller Krankenhäuser angepasst – auch die des CHEM in Esch/Alzette und des ChdN in Ettelbrück, die ab 2020 keinen zusätzlichen Notdienst leisten müssen.

Weder das Gesundheitsministerium noch das Ministerium für soziale Sicherheit oder die CNS konnten auf Anfrage beziffern, welcher Personalaufwand für den parallelen Notdienst veranschlagt wurde. « Wir können jetzt noch nicht sagen, welche reellen Anforderungen an Personal das mit sich bringt und welche zusätzlichen Kosten auf die Krankenversicherung zukommen. Das wird Ende 2020 für die Jahre 2021 und 2022 entschieden“, so die Pressesprecherin des Ministeriums für soziale Sicherheit. Vor 2021 seien keine Anpassungen vorgesehen, bestätigt man auch bei der CNS. Bis dahin werde analysiert, wie sich die Patientenzahl auf beide Krankenhäuser verteilt.

Es geht nicht um die Wartezeit

Die CNS bestreitet zudem, dass das Problem der Wartezeiten ausschließlich eine Frage des Personals sei. So hätten unterschiedliche Simulationen ergeben, dass eine Erhöhung des diensthabenden Personals nicht den gewünschten Effekt auf die Wartezeiten habe. Viel effizienter sei laut diesen Simulationen eine Entlastung der Infrastrukturen, die durch einen parallelen Notdienst an zwei Standorten ermöglicht würde.

(Foto: Eric Engel)

Aus den Gesprächen mit mehreren Ärzten geht zudem hervor, dass kürzere Wartezeiten ohnehin nicht das Hauptziel der Reform der Notaufnahme im Zentrum war. Ein dringenderes Problem sei die Entlastung der Räumlichkeiten. Die Krankenhäuser der Hauptstadt sind zu Spitzenzeiten derart überlastet, dass die räumlichen Kapazitäten immer wieder an ihr Limit stoßen. Die Rede ist von Patienten, die vorübergehend in Betten im Flur untergebracht werden.

„Wir haben festgestellt, dass sich auf einigen Schichten definitiv eine Sicherheitsfrage stellte“, offenbart José Balanzategui, erster Direktionsrat der CNS und Mitglied des Exekutivbüros, der die Tarif-Verhandlungen mit den Krankenhäusern leitet. Die festgestellten Probleme können laut der CNS mit den neuen Normen und der Entlastung der Infrastrukturen durch den parallelen Notdienst an zwei Standorten gelöst werden. So wird die insgesamt verfügbare Zahl an Betten während des Notdienstes erhöht.

Mehr Patienten befürchtet

Die Reduzierung der Wartezeiten wäre lediglich ein positiver Nebeneffekt, heißt es weiter. Der Generaldirektor des „Centre hospitalier de Luxembourg“ (CHL), Dr. Romain Nati, ist seinerseits überzeugt: „Wir werden mehr Platz haben und den Patientenfluss bei einer gleichmäßigen Aufteilung der Patienten verschnellern können.“

Doch auf Dauer scheint genau das eben unwahrscheinlich. Staus in der Notaufnahme sind auch künftig vorprogrammiert, weil Patienten schlicht nicht wissen werden, an welchem Standort sie zu einem gewissen Zeitpunkt schneller behandelt werden. So ist nicht garantiert, dass genau die Hälfte der Patienten in ein Krankenhaus gehen und die andere Hälfte das andere Krankenhaus aufsuchen wird. Experten wittern außerdem die Gefahr, dass Patienten aus dem Norden oder Süden sich statt zu ihrem nächstgelegenen Krankenhaus lieber in die Hauptstadt begeben. Damit würde dann die dort zu behandelnde Patientenzahl weiterhin erhöht.

Die Attraktivität einer schnellen Behandlung könnte zudem einen Anstieg jener Patienten mit weniger dringenden Krankheiten oder Verletzungen fördern, die den Weg in den Wartesaal heute aufgrund der langen Wartezeiten scheuen.

Kein Problem für das CHL

Das „Centre hospitalier de Luxembourg“ sieht die Neuregelung der Notdienste seinerseits nicht als Problem an. „Die Patienten werden sich über die beiden Krankenhäuser verteilen. Das bedeutet nicht, dass wir insgesamt im Zentrum mehr Patienten behandeln werden“, so Dr. Romain Nati.

Auch ein Finanzierungsproblem sieht Romain Nati, der für die LSAP im Staatsrat sitzt, nicht. Die jüngsten Reformen und Anpassungen des Krankenhausbeitrags der CNS haben bereits erlaubt, „unser Personal in den vergangenen Jahren deutlich zu erhöhen ». Somit sei auch nicht vorgesehen, das Personal für 2020 weiter aufzustocken.

Laut Nati sind die Bedenken der HRS-Gruppe unberechtigt. Als wolle er dies beweisen, will das CHL die tägliche Öffnung seiner Notaufnahme bereits in einigen Wochen einläuten. Die Zuversicht des CHL erklärt sich womöglich dadurch, dass CHL-Angestellte ein festes Gehalt beziehen und im Gegensatz zu den Freiberuflern in Kirchberg keine finanziellen Einbußen befürchten müssen, wenn die Zahl seiner Patienten zurückgeht.

Dass die ab dem 1. Januar 2020 geltende Reform sich wesentlich positiv auf die Wartezeiten in den Notaufnahmen auswirken wird – dafür würden die wenigsten der Gesprächspartner die Hand ins Feuer legen. „Wir hoffen natürlich, dass diese Anpassung auch einen Einfluss auf die Wartezeiten haben wird“, formuliert es José Balanzategui von der CNS.


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