Ein verschwiegenes Mittagessen, eine abgesagte Pressekonferenz und ein meinungsstarker Xavier Bettel: Der Luxemburg-Besuch des britischen Premiers Boris Johnson sorgte für einige Aufregung im politisch-medialen Betrieb. Eine Rekonstruktion der denkwürdigen Ereignisse vom vergangenen Montag

Es sollte alles anders kommen als geplant. Der offizielle Besuch des britischen Premierministers Boris Johnson in Luxemburg stellte am Montag die halbe Hauptstadt auf den Kopf. Ankunft am Flughafen Findel, Arbeitsessen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier, Unterredung mit Premier Xavier Bettel: So lautete die offizielle, durchgetaktete Agenda der erst wenige Tage zuvor ausgemachten Visite.

Im Anschluss an das Treffen mit Xavier Bettel sollte Boris Johnson eigentlich gemeinsam mit seinem luxemburgischen Amtskollegen eine Pressekonferenz abhalten. Dazu kam es allerdings nicht, wie etliche luxemburgische und internationale Medien mittlerweile berichteten. Die Hintergründe dieses Eklats wurden hingegen nur zum Teil thematisiert.

Ausgangspunkt für das unplanmäßige Ende des Johnson-Besuchs waren die Demonstrationen vor dem Staatsministerium. Schon als der konservative Premier in der Altstadt zum Mittagessen mit Juncker und Barnier ankam, wurde er von einzelnen, in Luxemburg wohnenden Landsleuten mit Buhrufen begrüßt. Bei der Ankunft am Staatsministerium gegen 15.00 Uhr machten dann aber mehrere Dutzend britische « Expats » – darunter ein Einpeitscher mit Megafon – ihrem Unmut Luft.

Absprache zwischen Delegationen am Morgen

Die Demonstranten waren dabei keine Überraschung – weder für die luxemburgische noch für die britische Delegation. Wie es aus Bettels Mitarbeiterstab heißt, hätten Vertreter beider Delegationen bereits am frühen Morgen alle Eventualitäten des Besuchs durchgespielt. Die in unmittelbarer Nähe des Staatsministeriums angekündigte und genehmigte Anti-Brexit-Demo sei von keiner Seite als Problem angesehen worden – weder aus Sicherheits- noch aus sonstigen Gründen, heißt es.

Wir hatten es vor Ort mit viel Unruhe und Lärm zu tun. Das ist keine erfolgversprechende Voraussetzung, um eine Pressekonferenz abzuhalten. »John Marshall, britischer Botschafter in Luxemburg

Erst rund 20 Minuten vor der Ankunft von Boris Johnson kam dann die offizielle Anfrage der britischen Delegation, ob man die im Vorhof des Staatsministeriums (vor dem Gebäude des früheren Außenministeriums « Hôtel Saint-Maximin ») geplante Pressekonferenz an einen anderen Ort verlegen könnte. Konkret wurde ein von den Demonstrationen abgeschotteter Innenraum verlangt. So kurzfristig sei dies nicht möglich gewesen, sagt ein Sprecher des Staatsministers auf Nachfrage. Dies habe man den britischen Partnern auch so gesagt.

Premierminister Xavier Bettel hielt die angekündigte Pressekonferenz schließlich ohne seinen britischen Amtskollegen ab – und sparte nicht mit Kritik an dem gerade erst abgereisten Gast. (Foto: Matic Zorman)

Man habe zwar Räume zur Verfügung, um Pressekonferenzen abzuhalten, so der Sprecher weiter. Doch hätten diese für das mediale Interesse am Montag nicht ausgereicht. Für die Pressekonferenz waren laut Bettels Ministerium mehr als 130 Journalisten akkreditiert. Nur eine Auswahl der anwesenden Kamerateams und anderen Medienvertreter zu der Pressekonferenz zuzulassen, sei ebenso keine Option gewesen. Am Montagmorgen hätte man noch umdisponieren können. Doch eine kurzfristige Verlegung sei rein logistisch nicht möglich gewesen.

Allerdings wusste das Staatsministerium freilich schon vor Montag über die hohe Anzahl an Akkreditierungen von Journalisten Bescheid. Ebenso hätte man im Voraus ahnen können, dass eine Pressekonferenz im Freien, wenige Meter von einer Demonstration auf der « Place Clairefontaine », mit einem Regierungschef, der auch in seiner Heimat mit Protest gegen seine Politik konfrontiert wird, zu Problemen führen könnte.

Xavier Bettel bot sich als Friedensstifter an

Laut einem Beteiligten des Treffens hinter verschlossenen Türen bot sich Xavier Bettel zudem als Vermittler an. Johnson könne ruhig an der Pressekonferenz im Hof teilnehmen, denn er werde die « friedlichen Demonstranten » schon beruhigen können, so die Idee des luxemburgischen Premiers. Doch auch dies sollte die britische Delegation nicht überzeugen. Boris Johnson verließ später unter dem gleichen Buhruf- und Pfeifkonzert wie bei seiner Ankunft das Gebäude und stieg in seine Limousine.

Man habe sich demnach keine Planungs- oder Organisationsfehler vorzuwerfen, heißt es aus dem Staatsministerium. Auch habe man Johnson nicht gezielt in eine Falle gelockt, wie manche britische Medien am Montag mutmaßten. Vielmehr liege die Verantwortung beim Mitarbeiterstab des britischen Regierungschefs, der das Ausmaß und die potenzielle Wirkung der Demonstranten wohl unterschätzt habe, sagt ein hochrangiges Mitglied der luxemburgischen Delegation, das namentlich nicht genannt werden will.

Es gibt in der Öffentlichkeit kein wirkliches Bewusstsein darüber, auf welcher sehr detaillierten Ebene die britische Regierung mit der EU über eine Einigung in den strittigen Fragen verhandelt. »John Marshall, britischer Botschafter in Luxemburg

Auf diese Spekulationen will sich die britische Delegation ihrerseits jedoch nicht einlassen. « Wir hatten es vor Ort mit viel Unruhe und Lärm zu tun. Das ist keine erfolgversprechende Voraussetzung, um eine Pressekonferenz abzuhalten », sagt der britische Botschafter in Luxemburg, John Marshall, im Gespräch mit REPORTER. Man habe dann beantragt, einen alternativen Ort zu suchen. Doch die luxemburgische Seite habe dies mit den besagten Argumenten abgelehnt. Demnach hatte Johnson letztlich die Wahl zwischen der peinlichen Absage einer Pressekonferenz und den womöglich noch unvorteilhafteren Bildern eines Premiers, der vor den Augen der Weltpresse von den eigenen Landsleuten niedergebrüllt wird.

Inhaltliche Fragen gehen weitgehend unter

Inhaltlich sei das Gespräch zwischen Johnson und Bettel jedoch gut verlaufen, sagt John Marshall. « Wir wollten unseren luxemburgischen Partnern klar machen, wie wichtig uns eine Einigung zum Austritt aus der EU ist », so der Diplomat. Zudem habe man Luxemburgs Premier über den Verlauf der Verhandlungen zwischen London und Brüssel in Kenntnis gesetzt. « Es gibt in der Öffentlichkeit kein wirkliches Bewusstsein darüber, auf welcher sehr detaillierten Ebene die britische Regierung mit der EU über eine Einigung in den strittigen Fragen verhandelt », sagt John Marshall.

So gehe es in den Gesprächen auf politischer und hoher Beamtenebene unter anderem um mögliche Ausnahmen zur umstrittenen « Backstop »-Klausel. Die Klausel besagt, dass Großbritannien auch nach dem Brexit so lange faktisch Teil des EU-Binnenmarktes bleibt, bis man eine für alle gangbare Lösung für die irische Grenze gefunden hat.

Wie es aus luxemburgischen Regierungskreisen heißt, würden Johnsons Berater in der strittigen Frage des « Backstop » mittlerweile Entgegenkommen andeuten. Ursprünglich hätte man auch erwarten können, dass diese Punkte der Verhandlungen in der EU in Bettels Ausführungen nach dem Treffen im Vordergrund stehen würden. Über eine mögliche Kompromisslösung hatte auch der « Guardian » berichtet.

In der ganzen Aufregung um die Demonstrationen und die einseitig abgesagte Teilnahme am Pressetermin gingen die inhaltlichen Fragen des Brexit-Dossiers weitgehend unter. (Foto: Matic Zorman)

Allerdings spielten die inhaltlichen Fragen am Rande von Johnsons Besuch in Luxemburg kaum eine Rolle. Dafür dürfte neben der Absage der Pressekonferenz durch den britischen Premier auch Luxemburgs Regierungschef einen Teil der Verantwortung tragen. Genug geredet, es sei Zeit, zu handeln, sagte Xavier Bettel am Montag in seiner leidenschaftlichen Brandrede vor der Presse. Solange kein schriftlicher Vorschlag seitens der Briten auf dem Tisch liege, könne er sich jedoch zu möglichen Kompromissen nicht äußern.

Zwischen « Effekthascherei » und Verhandlungen

Doch Bettel trug auch selbst zur Verschärfung der Lage bei, wie in den vergangenen Tagen nicht nur britische Medien kommentierten. Anstatt sich mit den inhaltlichen Herausforderungen der Brexit-Debatte auseinanderzusetzen, erteilte Luxemburgs Premier « Lektionen », betrieb « Effekthascherei » und bediente das Brexit-kritische Publikum, schrieb etwa « Politico ». « Dem Prozess, einen No-Deal zu vermeiden, hilft es nicht », zitierte am Dienstag die « Süddeutsche Zeitung » einen EU-Diplomaten.

Auch ein Teil der luxemburgischen Presse, wie das « Tageblatt » oder « Radio 100,7 », sowie der ehemalige CSV-Fraktionschef Claude Wiseler kritisierten Bettels Anteil am diplomatischen Eklat. Kritik kommt mittlerweile auch von Europapolitikern unterschiedlicher Parteien. Gleichzeitig erhielt der Premier aber auch Zuspruch für seine Aussagen von vielen Kommentatoren in den sozialen Medien – darunter CSV-Parteipräsident Frank Engel, der Bettel eine « gute Darbietung » attestierte. Der Premier habe am Montag « alles richtig gemacht », so der nicht unbedingt für seine Unterstützung der aktuellen Regierung bekannte Oppositionspolitiker.

Unabhängig von den Vorkommnissen in Luxemburg gehen die Verhandlungen um einen neuen Deal vor dem Stichdatum des 31. Oktober weiter. Boris Johnson werde weiter das Gespräch mit europäischen Regierungschefs suchen, sagt der britische Botschafter John Marshall. Vor allem würden aber die Treffen auf der Minister- und Berater-Ebene zwischen London und Brüssel intensiviert werden. Darauf hätten sich beide Seiten in den vergangenen Tagen verständigt.

Ob Luxemburgs Premier Xavier Bettel vor dem für Ende Oktober angesetzten nächsten EU-Gipfeltreffen noch Einfluss auf die Verhandlungen nehmen kann, ist angesichts des unverhofften Verlaufs des Treffens vom Montag zweifelhaft. Ob Luxemburg je noch einmal Schauplatz der Brexit-Show werden wird, ist noch unwahrscheinlicher. Denn wie es aus Kreisen der luxemburgischen Delegation heißt, habe das Treffen zwischen Johnson, Juncker und Barnier nur deshalb im Großherzogtum stattgefunden, weil dies den kürzlich erkrankten Noch-Kommissionchef Juncker arrangiert habe. Zu einem Treffen zwischen Johnson und Bettel wäre es andernfalls erst gar nicht gekommen.