Die Eisenbahner haben in Frankreich ihre dreimonatige Streikphase eingeläutet und das Land damit in ein Verkehrschaos gestürzt. Eine erste entscheidende Kraftprobe für die Regierung von Präsident Emmanuel Macron.

In der Eingangshalle des Gare de Lyon dösen die Menschen vor sich hin. Dicht gedrängt sitzen sie auf den Wartebänken, Reisetaschen auf dem Schoß, die Koffer neben sich abgestellt. Viele blicken verschlafen auf die Anzeigetafel vor den Bahngleisen, in der Hoffnung, dass sich dort noch was tut. Doch vergebens. Abfahrt des nächsten Zuges: 11 Uhr 53, signalisiert die Leuchtschrift unbarmherzig. Gerade ist es 9 Uhr 30.

In roten Westen stehen Mitarbeiter der französischen Staatsbahn SNCF bereit und geben den verlorenen Fahrgästen Auskunft. « Bitte entschuldigen Sie, aber durch den Streik ist der Zugverkehr nun mal schwer behindert », erklären sie betont freundlich einem amerikanischen Paar, was für die meisten hier offenkundig ist. Verdutzt sehen sich die beiden Amerikaner an. « Typically french », sagt die Frau zu ihrem Begleiter und schüttelt den Kopf.

Frankreich macht seinem Ruf als Streiknation tatsächlich gerade wieder alle Ehre. 48 Stunden lang haben die Eisenbahner am 3. und 4. April die Arbeit nieder- und damit einen Großteil des Zugverkehrs im Land – und damit auch in der französisch-luxemburgischen Grenzregion – lahmgelegt. Damit protestieren sie gegen das Vorhaben von Präsident Emmanuel Macron, das staatliche Bahnunternehmen zu reformieren.

Zwei Tage pro Woche Streik bis Ende Juni

Besonders im Großraum von Paris mit seinen zwölf Millionen Einwohnern bekamen Millionen Pendler die Folgen zu spüren. Im Nahverkehr fuhr nur jeder fünfte Zug, bei den TGV-Fernzügen sogar nur jeder siebte bis achte. Viele Franzosen mussten auf Alternativen zurückgreifen, ihre Reise stornieren oder stundenlang am Bahnhof warten.

« Ich sitze bis 17 Uhr hier fest », seufzt ein junger Mann im Trainingsanzug. Er wollte seine Mutter in Auxerre, südöstlich von Paris, zum Geburtstag besuchen. « Bis ich dort ankomme ist der aber quasi vorbei », sagt er enttäuscht. Übel nehme er den Lokführern den Streik jedoch nicht. « Aber ich hoffe er bringt sie voran, denn für uns Bürger ist das echt anstrengend », fährt er fort.

Vorerst müssen sich die Franzose wohl oder übel an die Verkehrsbehinderungen gewöhnen. Die vergangenen Tage leiteten eine Streikbewegung ein, die drei Monate dauern soll. Bis Ende Juni wollen die Eisenbahner regelmäßig drei Tage arbeiten und zwei Tage die Arbeit niederlegen.

Reformpläne zwischen Sanierung und Privatisierung

Macrons Reform sieht vor, die mit fast 50 Milliarden verschuldete SNCF zu sanieren, indem Privilegien abgebaut werden. Der vorteilhafte Eisenbahner-Status, der unter anderem eine Frühpension und Beschäftigungsgarantie zusagt, soll Neuankömmlingen im Betrieb verwehrt bleiben. Außerdem will die Regierung den Bahnverkehr wie von der EU gefordert bis 2020 für ausländische Anbieter öffnen.

Die Bahngewerkschaften befürchten, die Maßnahmen könnten zu einer Privatisierung der SNCF führen. Am 3. April folgten knapp 34 % der Eisenbahner ihrem Aufruf zum Streik, tags darauf knapp 30 %, darunter über 70 % der Fahrer. « Eine große Mobilisierung », zeigt sich Bruno Poncet von der Gewerkschaft Sud Rail zufrieden.

Die Gewerkschaften versammelten am 3. April auch hunderte Menschen in den Straßen. Neben Knallkörpern und Sirenen tönten Slogans wie « Cheminots en colère, on va pas se laisser faire ». Der Vorsitzende der Linkspartei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon schloss sich ebenfalls dem Protest an. Auch Studenten, Beamte  und Angestellte aus anderen Sektoren waren unter den Demonstranten. Sollte der Bahner-Status fallen, habe die Regierung freie Hand für weitere Reformen, so ihr Bedenken.

Emmanuel Macron trifft mit dem Streik erstmals auf großen Widerstand in der Bevölkerung gegen sein ehrgeiziges Reformprogramm und steht damit vor einer entscheidenden Kraftprobe. Mit einem Sieg kann er seine selbsterklärte Rolle als Reformer festigen, eine Niederlage könnte ihn allerdings seiner Reformkraft und seiner Glaubwürdigkeit berauben.

Regierung will vorerst hart bleiben

Die ersten Streiktage scheinen an der Position der Regierung jedenfalls nicht gerüttelt zu haben. Der Status quo der Bahnbetriebe sei « nicht akzeptabel » und könne nicht fortgeführt werden, betonte Premierminister Edouard Philippe am Dienstag erneut. Man solle zuerst an die Bürger denken, die unter der Arbeitsniederlegung leiden würden, bekräftigte Frankreichs Verkehrsministerin Elisabeth Borne. « Ein Versuch, die Franzosen gegen uns Bahner aufzuwiegeln », findet Bruno Poncet. Laut einer Meinungsumfrage des Instituts IFOP vom 1. April befürworten derzeit 46% der Franzosen den Streik.

« Wir versuchen zu kommunizieren und unser Anliegen deutlich zu machen, aber solche Streiks sind für die Bevölkerung natürlich immer schwierig », gibt Poncet zu.

Fraglich ist auch, ob die Bewegung ihren Elan über die kommenden Streiktage halten kann. Laut Poncet büßen die Eisenbahner für jeden Tag, an dem sie ihre Arbeit niederlegen ein Dreißigstel ihres Gehalts, also rund 50 Euro ein. Die Arbeitnehmervertretung arbeite daher besonders vor dem 17. April auf eine maximale Mobilisierung hin. Dann soll die Reform zur Abstimmung im Parlament vorliegen.

Sollte sich die Regierung zu Verhandlungen bereit zeigen, könnte der Streik schon früher zu Ende gehen, erklärte der stellvertretende Generalsekretär der Gewerkschaft CGT-Cheminots am Mittwoch dem Sender Franceinfo. Bis dahin allerdings gehen die Verkehrsblockaden weiter. Mit der nächsten Runde am 8. und 9. April.