Der Tierschutz wird in den politischen Programmen quer durch Europa zusehends prominenter. Insbesondere populistische Parteien inszenieren sich als liebevolle Tierschützer – und nutzen Hund und Katz gekonnt aus, um Wähler zu ködern. Eine Ursachenforschung.
Spätestens mit den Europawahlen schaffte der « Mupp » den Sprung in die politische Arena. Mit wachem Blick und seidenem Fell schaute er an Straßenecken von übergroßen Plakaten auf potenzielle Wähler hinab. Auf einmal gab man als Bürger seine Stimme nicht einer Partei, nicht einer abstrakten Idee. Man gab sie seinem vierbeinigen Familienmitglied, seinem Haustier.
« Eng Stëmm fir d’Piraten ass eng Stëmm fir d’Déieren »: Mit diesem Wahlspruch, und Daniel Frères als selbst ernanntem « Kandidaten für die Tiere », zog die Piratenpartei in den Wahlkampf. Aus jener Partei, die sich einst für Computernerds und Netztransparenz stark machte, wurde auf einmal eine penetrante Tierschutzpartei.
Doch die Piraten sind nicht die einzigen, die den Tierschutz zum Politikum machen. Auch die ADR profilierte sich im Zuge ihrer letzten Wahlkampagnen als Partei mit « Häerz fir Déieren ». 2018 plädierte sie etwa dafür, dass die Würde von Mupp und Co. in der Verfassung verankert wird. Mit der Landwirtin Tessy Brisbois zog auch die ADR mit einer « Kandidatin der Tiere » in die Europawahlen.
Tierliebhaber als neue Wählerschaft
Der Trend hin zum Tier als Wählerköder ist kein luxemburgisches Randphänomen. In den Nachbarländern lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten. Wie es der liberale Abgeordnete Loïc Dombreval der französischen Partei « La République en Marche » jüngst ausdrückte: « Les animaux ne votent pas, mais beaucoup de gens votent pour eux. » Die französische Tierschutzpartei « Parti animaliste » wirbt nicht nur mit der gleichen grellen Boulevard-Ästhetik wie die Piraten, sie benutzt auch fast genau den gleichen Wahlspruch: « Les animaux comptent, votre voix aussi. »
Im populistischen Diskurs dient das Tier als Mittel, um an die Emotionen der Menschen zu appellieren. »
Dabei fällt auf, dass der Tierschutz nicht etwa von den Grünen vereinnahmt wird, die sich traditionell für Natur-und Artenschutz einsetzen. Es sind vorwiegend populistische Parteien am rechten Rand, die sich das Heimtier zu eigen machen, um ihre politischen Botschaften zu vermitteln.
Das Gesicht der französischen Rechtsextremen, Marine Le Pen lässt sich bevorzugt mit Hund, Katz und Pferd fotografieren. Sie inszeniert sich als Tierschützerin, in deren Politik das Wohl der Tiere einen zentralen Platz einnimmt. In Deutschland profiliert sich die « Alternative für Deutschland » (AFD) regelmäßig als Partei zum Schutze der Tiere.
Pour la défense des animaux, je m’engage ! 🐱#AuNomDuPeuple #Marine2017 pic.twitter.com/0r6wQr5cNM
— Marine Le Pen (@MLP_officiel) March 1, 2017
Während die Grünen den Planeten retten, beschützen populistische Parteien jene Tiere, die dem Menschen am nächsten stehen. Ihren Hund, ihre Katze und das Nutzvieh ums Eck. Sie wollen ihren Wählern keine Verbote und Einschränkungen auferlegen. Im populistischen Diskurs dient das Tier als Mittel, um an die Emotionen der Menschen zu appellieren.
Die Liebe zum « Mupp » als Mittel zum Zweck
Unabhängig von ihrem Alter, dem sozialen Status oder Berufsstand: Ein Großteil der Menschen kann sich mit seinem Hund, seiner Katze oder des Bauers Kalb identifizieren. Sie haben Mitleid oder verfallen in kollektives Entsetzen, wenn sie mit dessen Leid oder Folter konfrontiert werden. Das Tier wird zum idealen Mittel, um die Menschen hinter einer gemeinsamen Idee zu vereinen.
Manche Forscher gehen gar so weit und sehen das Haustier inmitten einer zunehmend chaotischen und fremden Welt als eine letzte Konstante: Der « Mupp » wird zum Symbol einer verlorenen Idylle, die es zu verteidigen gilt. Wie die Politologen Amanda Machin und Oliver Wagener in ihrem Beitrag « The Nature of Green Populism » beschreiben, lässt sich das Haustier so beliebig als « Gegenstand unserer Fürsorge konstruieren », welches wir vor äußeren Gefahren schützen müssen.

Tierschutz als Teil des populistischen Diskurses
Die Bedrohungen, denen die geschundenen Tiere und ihre Beschützer ausgesetzt sind, lassen sich beliebig an den politischen Kontext anpassen. Mal ist es das politische Establishment, mal sind es die Migranten, mal ist es die Religion.
Der Pirat Daniel Frères erklärte im Europawahlkampf etwa die Europäische Union zum Feind des heimischen Tiers. « Ich bin extrem traurig, weil Tiere in Europa leiden und unsere demokratisch gewählten Instanzen nichts dagegen unternehmen », sagte der Präsident der Tierschutzorganisation « Give us a Voice » in seinen Werbespots. Berichte über gequälte Hunde in Rumänien und über das Leiden der Tiere bei Transporten quer durch Europa seien Symbole für das Scheitern der etablierten Parteien.
Parce que je me bats tous les jours pour le bien-être animal ! 🐎 #EUCare4MyHorse pic.twitter.com/tTARyOy2IK
— Dominique Bilde (@DominiqueBilde) October 15, 2018
Mit seiner Botschaft war der Immobilienmakler keineswegs alleine. Die Stimme der Tiere will auch die französische EU-Abgeordnete Dominique Bilde (Rassembement National) sein. Sie hat den Sprung nach Brüssel geschafft und wirft der EU in regelmäßigen Abständen Tierquälerei und Untätigkeit in Tierschutzfragen vor.
In Großbritannien machte die offizielle « Vote Leave » Kampagne mit Bildern gequälter, blutender Stiere und eingepferchter Schafe die Stimmung gegen die EU. Die Botschaft: Großbritannien muss die EU verlassen, den Tieren zuliebe. Denn, so sollten es die Plakate unmissverständlich klarstellen: Brüssel fördert Tierquälerei.
Das Tier als Medium für EU-skeptische Parteien
Dabei steht der Tierschutz keineswegs immer im Zentrum solcher Botschaften. Viel mehr wird dieser zum Medium, um nationalistische und eurokritische Botschaften zu übermitteln. Sprechen « Rassemblement National » und Co. von den geschundenen Kreaturen, die unter großen Qualen quer durch Europa transportiert werden, so geht es ihnen implizit um die Förderung der nationalen Landwirtschaft und den Schutz der eigenen Bauern, deren Existenz durch Billigimporte aus dem Osten bedroht wird. Aus Empörung über Tierleid wird ein Aufruf zum Schutz des Heimischen.
Auch die hiesige ADR spielt mit solchen Assoziationen, wenn sie sich einerseits gegen Tiertransporte stark macht und gleichzeitig eine Landwirtin als « Kandidatin der Tiere » in die Wahlen schickt. Indem die Partei eine Brücke zwischen Tierliebe und Landwirtschaft schlägt, kann sie gleich zwei Wählergruppen hinter sich vereinen. Sie bedient gleichermaßen Tierfreunde und (konventionelle) Landwirte, die sich als Sündenböcke in der Klimadebatte verstehen sowie all jene, die sich um den Verlust ihrer Heimat und Identität sorgen.
Tierschutz als Vorstufe zur Fremdenfeindlichkeit
Doch birgt die Vereinnahmung der Tierliebe für politische Ziele durchaus Gefahren. Rechtspopulistische Parteien nutzen den Tierschutz geschickt, um radikalere Botschaften zu transportieren. « Grenzschutz ist auch Tierschutz », argumentiert etwa der AFD-Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg Udo Stein, während er sich gegen den illegalen Handel mit Hundewelpen stark macht. Die Übergänge zwischen Tierschutz und Fremdenfeindlichkeit können fließend sein.
Hier meine gestrige Rede zur aktuellen Debatte « Weiß Herr Minister Hauk, dass er auch für Verbraucherschutz und Tierschutz zuständig ist »! https://t.co/86DVVp8ZRv Dazu auch noch meine diesbezügliche PM! #AfD #LandtagBW pic.twitter.com/3sdh91af6E
— Udo Stein (@udostein_mdl) April 13, 2018
Es dürfte demnach kaum überraschen, dass sich rechtspopulistische Parteien jeglicher Nationen in einer Frage einig sind: Sie verurteilen das rituelle Schächten von Tieren. 2019 mussten sich etwa Mitglieder der flämischen Partei « Vlaams Belang » vor Gericht verantworten, weil sie Kinder beim Halal-Barbecue angegriffen hatten. Im Zuge ihrer Wahlkampagnen hat die rechtspopulistische Partei wiederholt die Fenster von Halal-Bäckereien mit « Stopp-Islamisierung »-Postern zugeklebt.
Indem sich die Parteien als Tierschützer inszenieren, können sie also implizit Muslime und Juden als Tierquäler anprangern. Mit Erfolg: Anlässlich der letzten Parlamentswahlen schloss sich der « Vlaams Belang » mit der Tierpartei « Party for the Animals – Flanders » zusammen und brachte die potenzielle ideologische Symbiose zwischen Tierschutz-Aktivismus und Populismus zur Vollendung.
Luxemburg keineswegs immun
Obwohl der Tierschutz in Luxemburg eher als opportunistisches Mittel dient, um möglichst viele Wähler anzulocken, ist demnach keineswegs sicher, dass diese Taktik nicht ausartet. Auch hier sind die Grenzen zwischen Tierschutz und Fremdenfeindlichkeit nicht undurchlässig.
Der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser etwa setzt sich ebenfalls gegen die Schächtung von Tieren für religiöse Zwecke ein, gleichwohl diese Praxis in Luxemburg verboten, und lediglich der Verkauf von Halal-Fleisch erlaubt ist. Und der Piraten-Politiker und Präsident der Tierschutzorganisation « Give us a Voice » Daniel Frères fiel in der Vergangenheit bereits wegen Handgreiflichkeiten gegen bettelnde Roma auf und warf ihnen die Misshandlung und Sedierung ihrer Hunde vor.

Und auch die ADR machte bereits wiederholt auf diese Tatsache aufmerksam. Während das geschundene Tier als schützenswert erklärt wird, hält dessen Besitzer als Feindbild her.
Es ist also nicht ausgeschlossen, dass der « Mupp » dem politischen Diskurs auch in Zukunft erhalten bleibt.