Die Regionalregierung spricht von der schlimmsten Flut seit 100 Jahren: Im südindischen Bundesstaat Kerala sind in diesem Monat rund 400 Menschen infolge des starken Monsunregens ums Leben gekommen. Nun wächst die Wut in der Bevölkerung.
Eigentlich wird der Monsunregen in Kerala Jahr für Jahr herbeigesehnt. Besonders die Bauern sind in diesem südindischen Bundestaat auf den Regen angewiesen: Er ist Garant für eine reiche Ernte, und garantiert das Gedeihen von Flora und Fauna in weiten Teilen der Region.
Doch die Monsunzeit bringt auch Gefahren mit sich: Bleiben die Regenfälle aus, droht eine Hungerkatastrophe. Kommen sie mit voller Wucht, kann es zu sintflutartigen Zuständen kommen.
Rund 400 Menschen sind den Fluten in den vergangenen Wochen zum Opfer gefallen. Außerdem mussten 1,3 Millionen Menschen ihre Häuser verlassen und verloren ihr Hab und Gut. Auf viele von ihnen warten bei ihrer Rückkehr nach indischen Medienberichten nun giftige Schlangen oder Skorpione, die in den menschlichen Behausungen Schutz vor den Fluten gesucht haben.
Indien ist besonders anfällig für den Klimawandel
Solch Ausschläge ins Extreme hat es in Indien schon immer gegeben, in Kerala zuletzt in den 1920er Jahren. Doch nicht in solchem Ausmaß und in solcher Häufigkeit, warnen nun immer mehr Stimmen. In indischen Medienberichten und in sozialen Netzwerken wird der Klimawandel dafür verantwortlich gemacht.
Experten zufolge führt die zunehmende Überhitzung der Landmasse in Zentral- und Südindien zu immer stärkeren Monsunniederschlägen. Die stark bevölkerten Entwicklungs- und Schwellenländer dieser Region sind besonders stark von Sturm-, Flut- und Dürrerisiko betroffen. Eine Studie der britischen Bank HSBC kam zum Schluss, dass Indien am anfälligsten für die Auswirkungen der globalen Erwärmung ist, gefolgt von Pakistan, den Philippinen und Bangladesch.
In Kerala wird die rezente Flut aber auch auf politische Versäumnisse zurückgeführt. Umweltexperten kritisieren, die Western Ghats, ein Gebirge entlang der indischen Westküste, sei nicht ausreichend vor Waldrodung und Umweltverschmutzung geschützt worden. Dabei sei schon seit Jahren bekannt, dass dies eine besonders sensible geographische Zone ist. Erdrutsche, die im Zuge der rezenten Fluten Dutzende Todesopfer verursachten, hätten durch einen besseren Schutz der Wälder verhindert werden können, so Experten.
Verlust der Hälfte der Wälder in vierzig Jahren
Während sich die Städte immer weiter ausdehnen, hat Kerala in den vergangenen vierzig Jahren fast die Hälfte seiner Waldfläche verloren. Durch fehlende Wälder wird weit weniger Niederschlag abgefangen. Mehr Wasser fließt somit in unkontrollierbar überströmende Flüsse ab.
Aus Facebook-Posts aus Kerala lässt sich nun viel Kritik an der eigentlich beliebten kommunistischen Regierung des Bundesstaats herauslesen. Neben dem Raubbau an dem sensiblen Ökosystem der Region, wird der Regierung auch ein Fehlmanagement der Wasserressourcen vorgeworfen. So heisst es, die Überflutungen seien weniger stark gewesen, wenn man im Vorfeld der Fluten vorausschauend stufenweise das Wasser aus den etwa dreißig Dämmen des Bundesstaates herausgelassen hätte. Auch das Katastrophenmanagement habe zum Teil an einen Skandal gegrenzt: Die Anwohner berichten, angeschwemmte Müllberge würden vielerorts einfach in unbevölkerte Landstriche verlagert werden.
Nach dem Abklingen der Regenfälle ist nun die Gefahr von Seuchen und Krankheiten in Kerala ein wichtiges Thema. Allerdings hat der Bundesstaat anderen Gegenden in Indien gegenüber auch einen Vorteil: Kerala besitzt nicht nur das effizienteste Gesundheitssystem auf dem indischen Subkontinent, auch die Alphabetisierungsrate liegt hier bei fast einhundert Prozent. Dank einem dichten Netz an Nichtregierungsorganisationen und einem hohen Maß an Solidarität im Volk konnten viele der Flutopfer gerettet und in Camps untergebracht werden.
Indiens Herausforderung mit dem Klimawandel beschränkt sich übrigens nicht auf den Bundesstaat Kerala. Deutlich wird dies im nationalen Vergleich: Während Kerala letzte Woche eine Jahrhundertflut erlebte, kämpfen etwa vierzig Prozent von Indiens Landkreisen in diesem Jahr mit einem Regendefizit.