Vor sechs Jahren ging der Luxemburger Lebensversicherer Excell Life pleite. Seitdem streiten Kunden, EY und die Aufsichtsbehörde vor Gericht, wer daran Schuld trägt. Nun droht die zuständige Richterin wegen Befangenheit vom Fall abgezogen zu werden.

Kurz nach 9 Uhr, Cité judicaire, Raum 0.11: „Das kommt überhaupt nicht in Frage“, sagt die vorsitzende Richterin Michèle Hornick scharf. Der Gerichtssaal ist einer der wenigen Orte in postmodernen Gesellschaften, wo Autorität unwidersprochen gilt. Wo binnen Minuten über menschliche Schicksale oder – in diesem Fall – Millionenwerte entschieden wird.

So ist es auch an diesem 20. Dezember 2017. Die Richterin schmettert einen Einspruch der Anwälte François Moyse und Robert Wtterwulghe ab. Die beiden vertreten 80 Ex-Kunden von Excell Life. Nach der Pleite des Luxemburger Lebensversicherers klagten im Dezember 2012 die größtenteils belgischen Anleger gegen die Aufsichtsbehörde Commissariat aux Assurances (CAA) und die Buchprüfer von EY (früher Ernst & Young). Deren mangelhafte Kontrolle habe die Pleite erst möglich gemacht, so die Argumentation der Kläger. Sie fordern deshalb Schadensersatz vom Staat und EY in Höhe von knapp 12 Millionen Euro.

Die Salamitaktik von EY

Doch obwohl der Prozess nun fast sechs Jahre andauert, hat noch kein Richter über diese Frage der Verantwortung geurteilt. Es blieb bisher bei Prozedurfragen. EY verfolge eine Salamitaktik und wolle den Prozess möglichst in die Länge ziehen, sagte Wtterwulghe vor der 17. Kammer des Bezirksgerichts Luxemburg im Dezember. Seit dreieinhalb Jahren weigere sich der Anwalt von EY, Marc Kleyr, zur Rolle des Beratungsunternehmens Stellung zu beziehen. Kleyr beschäftige sich nur mit Verfahrensfragen.

Die beiden Fälle zu trennen, heißt die Affäre zu begraben.“Eric Wanet

Seine Klienten würden sich Fragen zum Ablauf des Verfahrens stellen, ja gar ob die Richterin parteiisch sei, meinte Robert Wtterwulghe. Der emiritierte Rechtsprofessor der Université catholique de Louvain zeigte sich in der Sitzung kampfeslustig. Stein des Anstoßes ist für die Kläger, dass die Richterin einen Monat zuvor beschlossen hatte, die Klagen gegen EY und das CAA getrennt zu behandeln. Das obwohl ihre Vorgängerin im April 2017 beide Affären gebündelt hatte.

Diese von Hornick gesprochene „disjonction“ ermögliche es jedoch den Angeklagten sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben und am Ende beide weißgewaschen zu werden, sagt der Sprecher der Kläger Eric Wanet im Gespräch mit REPORTER. „Die beiden Fälle zu trennen, heißt die Affäre zu begraben“, sagt er.

Doch Richterin Michèle Hornick ließ sich nicht von der akademischen Würde des belgischen Rechtsprofessors beeindrucken. Sie fragte, ob er überhaupt das Recht habe vor Gericht zu sprechen. Robert Wtterwulghe empfand diese Frage als Affront, denn tatsächlich ist er sowohl in Luxemburg als auch in Brüssel in der Anwaltskammer eingeschrieben.

Die Eskalation

Nach dem Eklat im Dezember wähnte sich der Anwalt von EY, Marc Kleyr, in der nächsten Sitzung am 7. Februar 2018 siegessicher. Maßgeschneideter Anzug, weißes Hemd mit Manschettenknöpfen: Kleyr stach zwischen den meist jungen Anwälten hervor, die zu diesen Sitzungen kommen. Er überreichte der Richterin einen Schriftsatz, in dem es um die Zulässigkeit der Klage ging. Ein Weg, um die Klage geräuschlos aus der Welt zu schaffen.

Doch die Gegenseite hatte inzwischen zum juristischen Äquivalent der Atombombe gegriffen: Zwei Tage zuvor hatte Anwalt François Moyse einen Antrag eingereicht, die Richterin Michèle Hornick vom Fall abzuziehen. Die Richterin habe EY und dessen Anwalt Marc Kleyr bevorzugt behandelt, lautet der Vorwurf der belgischen Excell-Life-Kunden. Kleyr lehnte ab, Fragen von REPORTER zu diesem Fall zu beantworten. Seit Jahrzehnten sei sein Prinzip, nicht mit der Presse zu sprechen, so Kleyr.

Der Hauptgrund für die „requête en récusation“ der Kläger: Die Prozedur sehe es nicht vor, die Bündelung von mehreren Fällen auf Wunsch einer der Parteien wieder aufzuheben. Diese Entscheidung und sehr kurze Fristsetzungen, um Schriftsätze einzureichen, würden eine klare Feindseligkeit der Richterin gegenüber den Klägern zeigen, erklärte Moyse in einer Anhörung am 28. März.

Verfahren zu Befangenheit läuft

Solche Anschuldigungen zur Befangenheit sind sehr selten. In den vergangenen drei bis vier Jahren gab es lediglich drei Fälle, heißt es vom Justizsprecher Henri Eippers auf Nachfrage. Dieses Verfahren sei selten, weil Richter sich aus eigenen Stücken zurückziehen, falls ihnen ein Motiv von Befangenheit bekannt ist, erklärt Assisstenzprofessorin Séverine Menetrey, die an der Uni Luxemburg die Zivilprozessordnung unterrichtet.

Es geht um das Vertrauen der Bürger, dass man gegen die Big Four juristisch vorgehen kann.“François Moyse

Wenn Richter von Fällen abgezogen werden, dann stört das die Organisation der Gerichte und deshalb müssen Missbräuche verhindert werden, so Séverine Menetrey weiter. Entsprechend kompliziert ist die Prozedur.

Der Antrag der Kläger hat nun die erste Etappe überstanden: Richter befanden Ende April, dass alle Vorbedindungen erfüllt seien. Nun habe die Richterin die Möglichkeit Stellung zu beziehen. Erst danach fällt das Urteil, ob sie vom Fall abgezogen wird oder nicht, erklärt der Justizsprecher.

Toxische Versicherungen

„Es geht um das Vertrauen der Bürger, dass man gegen die Big Four juristisch vorgehen kann“, sagte Moyse bei der ersten Anhörung im März.

Es geht auch um die Frage, ob Justiz und Behörden fähig und gewillt sind, für Recht und Ordnung am Finanzplatz zu sorgen. Der Fall Excell Life ist dabei exemplarisch. Es ist eine Affäre, an die man sich hierzulande ungern erinnert. Die erste Pleite überhaupt eines Luxemburger Lebensversicherers zieht so weite Kreise, dass der Fall eine eigene Rubrik auf der Webseite der Aufsichtsbehörde CAA hat.

Die Klage gegen das CAA und EY ist für die 80 Anleger ein letzter Strohhalm, um doch noch ihr Geld zurückzubekommen. Scheitert der Antrag, die Richterin vom Fall abzuziehen, dann sind die Investments der Excell-Life-Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit verloren. Die Kläger hatten jeweils zwischen knapp 30.000 bis zu 1,7 Millionen Euro investiert. Doch nicht alle Betroffenen haben geklagt. Knapp 200 Belgier haben insgesamt 20 Millionen Euro in die besonders toxischen Versicherungsprodukte von Excell Life investiert, berichtete „Le Soir“ 2013.

Die Kläger investierten zwischen 2006 und 2012 in Lebensversicherungen von Excell Life, die in Belgien als „branche 23“ verkauft werden. Dieses Produkt ähnelt den Sicavs, die Banken vertreiben. Das angelegte Geld fließt in Investmentsfonds und deren Gewinne kommen den Kunden zugute. Soweit die Theorie. Excell Life investierte allerdings die Versicherungsprämien in zwei hochspekulative Fonds – Elix und Orelius Golden Invest -, die aufgrund des Risikos professionellen Anlegern vorbehalten waren.

Hauptaktionär auf der Flucht

Aus der gerichtlichen Liquidation von Excell Life dürften sich die Anleger nicht allzu viel erwarten. Die Insolvenzverwalter Evelyne Korn und Paul Laplume teilten 2014 mit, dass sie die Vermögenswerte hinter dem „Orelius Golden Invest“-Fonds nicht bewerten, geschweige denn an die Gläubiger auszahlen könnten.

Außerdem ließ die spanische Justiz 2016 über ein Rechsthilfeverfahren das Vermögen von Excell Life in Luxemburg teilweise sicherstellen, berichtete die Onlinezeitung „El Independiente“.

Der Grund dafür ist ein Verfahren gegen den früheren Hauptaktionär von Excell Life, den Spanier Eduardo Pascual Arxé. Dabei geht es um den Konkurs der Eurobank del Mediterráneo, die Pascual kontrollierte. Excell Life verfüge noch über acht Millionen Euro, so „El Independiente“. Die Insolvenzverwalterin Evelyne Korn will sich auf Nachfrage hin dazu nicht äußern. Sie sei nur dem Handelsgericht zur Auskunft verpflichtet.

Pascual ist währenddessen auf der Flucht. Im Juli 2015 flüchtete er aus Spanien und lebte seit 2016 im Burkina Faso. Einem Auslieferungsverfahren nach Spanien entzog er sich, indem er ins benachbarte Benin floh. Die spanische Justiz sucht ihn nicht nur wegen der Eurobank-Affäre, sondern auch wegen eines Systems von illegal finanzierten Frührenten in Andalusien, an dem er beteiligt war. In dieser Affäre stehen gerade 20 frühere hohe Beamte der Regionalregierung vor Gericht.

Lange Liste an Unregelmässigkeiten bei Excell Life

Mit den Problemen rund um Eurobank begannen auch die Unregelmässigkeiten bei Excell Life. Pascual versuchte über die Versicherungsgesellschaft seine Bank zu retten. Der damalige Chef des Commissariat aux Assurances, Victor Rod, sagte im September 2003 dem „Jeudi“, dass die Aufsichtsbehörde darauf achte, dass Excell Life alle Regeln einhalte.

Doch die Klageschrift gegen das CAA, die REPORTER einsehen konnte, legt dar, dass Excell Life ab 2003 mehrmals faktisch pleite war. Die Solvabilitätsanforderungen einer Versicherung erfüllte das Unternehmen offenbar nicht. Dazu kommen die Produkte, die auf den toxischen Fonds Elix und Orelius Golden Invest beruhten. Deren Vertrieb hatte das CAA nie wirklich genehmigt.

Unregelmässige Kapitalerhöhungen, unvollständige Bilanzen, unzulässige Investitionen in toxische Fonds: All diese Vorkommnisse hätte EY als Buchprüfer („réviseur“) von Excell Life dem CAA melden müssen, argumentieren die Kläger. Das sei aber nicht passiert und deshalb sei EY mit verantwortlich für den Schaden, den die Kläger erlitten haben.

Trotz der zahlreichen Probleme dauerte es bis 2010, ehe das CAA begann, Excell Life strenger zu kontrollieren und Maßnahmen zu ergreifen. Fast alle Kläger haben zwischen 2003 und 2008 in eine Lebensversicherung von Excel Life investiert, sagt der Sprecher der Kläger Eric Wanet.

Erst im Juni 2012 zog der damalige Finanzminister Luc Frieden einen Schlussstrich und entzog Excell Life die Genehmigung als Versicherungsgesellschaft. Das war wenige Wochen, nachdem France 2 eine Ausgabe von „Cash Investigation“ ausstrahlte, in der zum ersten Mal die Rulings vorgestellt wurden. Aus den Dokumenten von Antoine Deltour wurde später der Luxleaks-Skandal. Im Juni 2012 reichte PwC Klage gegen Unbekannt ein. Zum Vergleich: Der Luxleaks-Prozess hat heute bereits mehrere Instanzen durchlaufen.

Ein Vabanquespiel der Kläger

Es war eine bewusste Strategie der 80 Kläger und ihres Beraters Robert Wtterwulghe nicht gegen Excell Life zu klagen, sondern gegen die Behörde CAA und den Buchprüfer EY, sagt deren Sprecher Wanet. Die Idee: Bei Excell Life ist so oder so nichts mehr zu holen.

Doch dieses Vorgehen ist umstritten. Eine der Versicherungsgesellschaften, die Produkte des Elix-Fonds ebenfalls anboten, kritisierte 2013 im „Soir“ das Vorgehen von Wtterwulghe. Durch die Klage gegen CAA und EY verschleppe er die juristische Aufarbeitung und mindere so die Chancen aus dem Elix-Fonds noch Geld zu retten und an die Ex-Kunden verteilen zu können.

Das Commissariat aux Assurances will vor allem aus der Affäre rauskommen.“Patrick Kinsch

Auch der Antrag, die Richterin Michèle Hornick vom Fall abzuziehen ist äußerst riskant. Zwar hat der Anwalt François Moyse alle Filter durchlaufen, die diese Prozedur vor Missbrauch schützen und somit bewiesen, dass seine Argumente durchaus Substanz haben. Doch Motive der Befangenheit sind meist subjektiv und deshalb schwer zu beweisen, sagt die Juristin Séverine Menetrey. Auch entscheide ein Richter am Bezirksgericht nicht alleine, betont sie. Jede Kammer besteht aus einem Kollegium von drei Richtern.

Zwei Klagen, zwei unterschiedliche Strategien

Die Entscheidung, die Klagen gegen CAA und EY wieder zu trennen, sei illegal, argumentiert Moyse. Doch davon sind nicht alle überzeugt. Man könne nicht den Richter austauschen, weil er eine Entscheidung treffe, die einem nicht gefällt, sagte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft im März. Auch Séverine Menetrey sieht eine solche Entscheidung als reine Verwaltungsmaßnahme, die eine Richterin nicht begründen müsse. Dazu kommt, dass der Fall seit 2012 dahin plätschert.

Es gebe einen triftigen Grund, um beide Dossiers zu trennen, meint der Anwalt Patrick Kinsch, der das CAA vertritt. In der Frage der Verantwortung der Aufsichtsbehörde sei der Fall so weit fortgeschritten, dass er kurz vor dem Abschluss steht, so Kinsch. Der Schriftsatz von EY sei nicht fertig, weil Marc Kleyr Verfahrensprobleme aufgeworfen habe. Ob die Fälle gemeinsam oder getrennt behandelt werden, sei nicht von großer Bedeutung, meint Kinsch. „Das Commissariat aux Assurances will vor allem aus der Affäre rauskommen“, so der Anwalt. EY war bis Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Bis die Richter über die Befangenheit urteilen, liegen die beiden Verfahren jedoch auf Eis. Es wird demnach noch dauern, bis die Frage der Verantwortung geklärt wird – anders als im Fall Luxleaks.