Seit zehn Jahren ist die aktive Sterbehilfe in Luxemburg nicht mehr strafbar. Das Gesetz von 2009 war ein Meilenstein, in der Praxis wird es aber weiter restriktiv gehandhabt. Das geht so weit, dass sterbenskranken Menschen ihr letzter Wunsch verweigert wird.
„Je suis mortelle“, sagt die Frau ins Mikrofon. Als sie den Satz im Centre Barblé in Strassen vor Publikum ausspricht, wird aus einer Vermutung Gewissheit: Die Frau hat Krebs im Endstadium. Ihr Kopftuch und ihre aufgedunsene Haut haben es bereits angedeutet.
Sie will kein Mitleid. Sie will eine Euthanasie. Es ist sozusagen ihr letzter Wunsch. Und sie hat Glück, dass dieser ihr erfüllt wird. Die Belgierin hat vorgesorgt und sowohl in Belgien als auch in Luxemburg einen Arzt gefunden, der sie bei der aktiven Sterbehilfe unterstützt.
Dieses Beispiel ist jedoch außergewöhnlich. Denn obwohl Euthanasie in Luxemburg seit einem Jahrzehnt per Gesetz nicht mehr strafbar ist, ist es immer noch schwierig, Ärzte zu finden, die sie durchführen.
Nicht jede Person, die eine Euthanasie haben will, bekommt sie auch. Viele gehen deshalb in die Schweiz.“Dr. Carlo Bock, Kontrollausschuss zur Euthanasie
Dass vor allem Krankenhäuser den Patienten Euthanasie vorenthalten, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Das zeigen auch die Zahlen: Die meisten Euthanasien werden nämlich zu Hause durchgeführt. Laut dem alle zwei Jahre veröffentlichten Bericht der Kommission zur Kontrolle der Euthanasie und der Sterbehilfe gab es im Jahr 2017 neun Euthanasien, von denen acht zu Hause durchgeführt wurden. Für das Jahr 2018 waren es fünf von insgesamt sechs.
Das könnte natürlich daran liegen, dass die Menschen lieber zu Hause, als in einem Krankenhaus sterben. So ist es aber nicht. Die meisten sterben zu Hause, weil sie andernorts keine Möglichkeit haben. Das bestätigen auch Politiker hinter vorgehaltener Hand. Die Pro-Euthanasie-Vereinigung „Mai Welle, mai Wee“ hat sogar Klage gegen ein Luxemburger Krankenhaus beim Gesundheitsministerium eingereicht. Um welches es sich handelt, ist bis dato unklar.
Knapp an einer Verfassungskrise vorbei
Das Gute am zehnjährigen Jubiläum des Gesetzestextes: Es wird wieder mehr über die schwierige Umsetzung diskutiert. Eine Errungenschaft kann man das Gesetz von damals heute nicht mehr nennen.
Dabei war es in gewisser Weise ein Meilenstein. Luxemburg wurde neben den Niederlanden und Belgien das dritte Land weltweit, das die Tötung auf Verlangen entkriminalisierte. Liberale Regelungen, ein selbstbestimmter Patient im Mittelpunkt, endlich in Würde sterben – all das erhofften sich die Euthanasie-Befürworter damals. Bis heute bleiben diese Wünsche zum Großteil unerfüllt.
Dafür stürze das Gesetz Luxemburg Ende 2008 fast in eine Verfassungskrise. Nicht nur das „Collège Médical“ und viele praktizierende Ärzte standen der aktiven Sterbehilfe kritisch gegenüber. Es handelte sich um eine Gewissensfrage, die über Parteigrenzen hinweg unterschiedlich beantwortet wurde. Ende November 2008 stand zwar das Gesetz. Doch teilte Großherzog Henri den Vertretern der Parteien mit, dass er den Text nicht unterschreiben werde. Ohne seine Unterschrift konnte das Gesetz aber nicht in Kraft treten.
Schließlich wurde Artikel 34 der Verfassung geändert, sodass der Großherzog kein Gesetz mehr sanktionieren muss. Der damalige Premierminister Jean-Claude Juncker gab später zu, monatelang von Gewissenskonflikten des Großherzogs gewusst zu haben. Die Verfassung wurde geändert, das Gesetz am 18. Dezember 2008 mit 31 Ja-Stimmen zu 26 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen im Parlament angenommen. Am 16. März 2009 trat es in Kraft.
Kein Recht auf Euthanasie
Doch das Gesetz ist weit von dem entfernt, wo es heute eigentlich sein könnte. Die traurige Wahrheit, die sich dahinter verbirgt: Ja, Euthanasie ist in Luxemburg möglich. Doch der Patient hat kein Recht darauf. Er kann sie zwar beantragen, ob er sie aber auch bekommt, ist eine andere Sache. Denn lehnt ein Arzt seine Anfrage ab, muss der Patient sich selbst um einen anderen Arzt kümmern. Wer aber schwer krank ist, dem fehlt vielleicht die Kraft dafür – oder die Zeit.
Hinzu kommt, dass die Namen der Ärzte, die Euthanasien durchführen, vertraulich sind – aus Angst, dass man ihnen einen Stempel aufdrückt. Auch das erschwert die Suche nach Unterstützung.
„Nicht jede Person, die eine Euthanasie haben will, bekommt sie auch“, sagt Dr. Carlo Bock während der Konferenz der Vereinigung „Mai Welle, mai Wee“ vor einigen Wochen. Die teure Alternative? „Viele gehen deshalb in die Schweiz“, so der Mediziner.
Oder noch drastischer: Sie nehmen sich selbst das Leben. Das „Service Information et Prévention de la Ligue“ hat erst kürzlich ein Schreiben veröffentlicht, laut dem ein Viertel der Selbstmorde von Über-65-Jährigen begangen werden.
Selbstbestimmter Tod oder Tötung?
Doch auch heute scheint – zumindest teilweise – immer noch das zu gelten, was LSAP-Politiker Alex Bodry 2008 während den Debatten zum Gesetz gesagt hatte: „Fast jeder von uns kennt doch Beispiele aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis, die zeigen, dass es Euthanasie gibt und gegeben hat.“ Damals war es illegal, heute wird die aktive Sterbehilfe immer noch ausgebremst.
Das liegt daran, dass viele Menschen – auch Ärzte – Euthanasie als Tötung und deshalb als unnatürlichen, statt als selbstbestimmten Tod wahrnehmen. Damit werden von der Gesellschaft aber nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Ärzte selbst stigmatisiert.
Dabei ist es doch eigentlich der größte Vertrauensbeweis, wenn er seinen Arzt darum bittet, diesen letzten Schritt mit ihm gemeinsam zu gehen.“Dr. Philippe Lebecq
Im Juli dieses Jahres wurde dann ein Gesetzentwurf eingereicht, der Euthanasie nicht mehr als Suizid, sondern als natürlichen Tod definiert. Das nimmt einen Teil der Stigmatisierung. Doch die Begriffsbestimmung ändert natürlich nicht alles.
Zwischen Fürsorgepflicht und Menschenwürde
Die medizinische Hilfe hat definitiv ihre Grenzen. Am Lebensende sind Medikamente und Therapien oft keine Heil-, sondern lediglich noch Hilfsmittel, um die Zeit bis zum Tod nur irgendwie erträglich zu machen. Patienten wünschen sich in solchen Situationen oft, auch als Menschen wahrgenommen zu werden – vor allem dann, wenn eine Heilung durch die Medizin nicht mehr möglich ist.
Die Fürsorgepflicht der Ärzte kann dann im Widerspruch zur Autonomie des Patienten stehen. Denn schon im Code de Déontologie heißt es: „Le médecin, au service de l’individu et de la santé publique, exerce sa mission dans le respect de la personne et de la dignité de celle-ci.“
Der Mediziner wünscht sich seinerseits sicherlich, dass der Patient ihm und seiner Arbeit vertraut. „Dabei ist es doch eigentlich der größte Vertrauensbeweis, wenn er seinen Arzt darum bittet, diesen letzten Schritt mit ihm gemeinsam zu gehen“, sagt der belgische Arzt Dr. Philippe Lebecq, während eines Vortrags in Luxemburg.
Wenn sich aber komplette Krankenhaus-Verwaltungen dem widersetzen, setzen sich diese öffentlich finanzierten Häuser über den Wunsch des Einzelnen hinweg. Diese Praxis ist nicht im Sinne des Gesetzes.
Die Frau, die in Strassen ans Mikrofon getreten ist, ist eine der wenigen, die selbst über ihr Schicksal entscheiden konnte.