Viele Menschen verbinden Syrien nur noch mit Krieg. Während ein Bildband vom Vorkriegssyrien erzählt, planen andere bereits den Wiederaufbau von kriegserschütterten Städten wie Aleppo. Ein Rück- und Ausblick.

Das Syrien von vor 2011, als der Bürgerkrieg ausbrach, es erscheint fast schon wie ein ferner Traum. Jemand, der das Vorkriegssyrien nicht besucht, nie die syrische Gastfreundschaft genossen hat oder durch einen der altehrwürdigen Souqs geschlendert ist, weiß nichts von der Seele und Kultur des kriegsgebeutelten Landes. Für viele ist die Präsenz Syriens auf der Weltkarte überhaupt erst durch die nicht enden wollende Spirale an tragischen Nachrichten aus dem Land im Nahen Osten ins Bewusstsein gerückt.

Wenn ich heute Menschen von meiner sechswöchigen Syrienreise im Sommer 2009 erzähle, kann kaum jemand noch glauben, dass ich mich dort tatsächlich einmal wohlgefühlt haben kann. Ich erinnere mich, einen eindeutig rechtsgesinnten Kommentar auf Facebook im letzten Winter zu lesen: Die Syrer, so behauptete ein Nutzer, könnten froh sein, dass sie hier bei uns in Europa ihren Islam ausüben können, wobei doch die Christen in Syrien nicht einmal daran denken könnten, Weihnachten zu feiern.

„Ein Land ohne Krieg…“

Angesichts solch verbreiteter Ahnungslosigkeiten und Vorurteile scheint der im letzen Herbst vom Malik-Verlag herausgegebene Bildband „Syrien — ein Land ohne Krieg“ eine längst überfällige Lücke zu schließen. Das Buch verspricht „persönliche Einblicke in ein unversehrtes Land“ und zeigt dem hiesigen Publikum, dass es ein Syrien vor und jenseits des Krieges gegeben hat und gibt.

Die Buchidee erwuchs aus dem Bildarchiv des deutschen Fotografen und Islamwissenschaftlers Lutz Jäkel, der 1993 zum Erproben seiner Arabischkenntnisse zum ersten Mal nach Damaskus reiste. Syrien, das ging ihm bei seinen wiederholten Reisen auf, war für ihn schlichtweg „das spannendste, interessanteste und menschlich reichste Land im arabischen Raum“. Beim Blättern durch den Bildband fand auch ich mich erinnert an das Syrien, das ich im Jahr 2009 kennen gelernt hatte.

Die islamische Religionspädagogin und Publizistin Lamya Kaddor, Herausgeberin von „Syrien – ein Land ohne Krieg“, erinnert sich in ihrem Vorwort an die Sommerferienreisen ins Dorf ihrer Vorfahren an der syrisch-türkischen Grenze, an Tage zwischen Oliven- und Feigenbäumen. Auch in Kaddors Familie starben Menschen, haben sich zu den Kindheitserinnerungen nun die Bilder vom Elend des Bürgerkriegs gesellt. Und so ist auch immer eine Prise Nostalgie in den Texten der verschiedenen Autoren, die Jäkel und Kaddor für ihr Projekt gewinnen konnten. Die Deutsch-Syrer oder Deutsche, die es vor dem Krieg beruflich regelmäßig nach Syrien getrieben hat, erzählen von einem Syrien, das es so im Jahr 2018 nicht mehr gibt.

Lebensfreude, Kultur, Diktatur

Jäkels Fotos, mal farbig, mal in Schwarzweiß, zeigen das Beste vom syrischen Alltag, sind häufig geprägt von Ausgelassenheit und Lebensfreude: ein osmanisch kostümierter Wasserausschenker zwischen Einkaufenden im Basar von Damaskus, syrische Christen beim Gemüseschnippeln oder lässig gekleidete Jugendliche beim Flirten. Immer wieder führen die Fotos, im Einklang mit kurzen Erinnerungstexten, den Leser an Orte, die symbolisch für die syrische Kultur stehen.

Lutz Jäkel etwa erzählt von der martialischen, aber gekonnten Schrubb-Behandlung in syrischen Hammams, während die ehemalige Syrien-Korrespondentin Kirstin Helberg ein Loblied auf den Saftstand in ihrer Damaszener Nachbarschaft singt, deren Besitzer jeden Tag liebevoll seine ausgelegten Melonen zu polieren pflegte.

Andere Essays schlagen weniger vergnügliche Töne an, erinnern auch an die Allgegenwart des Assad-Regimes und die eiserne Präsenz des syrischen Geheimdiensts in der Gesellschaft, an die sich die meisten Syrer bereits gewohnt hatten — weil sie es nicht anders kannten.

Helberg umreißt die Historie der traditionsreichen Aleppiner Olivenseife und schildert, wie syrische Flüchtlinge einmal im Libanon von europäischen Helfern gefragt wurden ob sie denn auch wüssten, wie man eine Seife benutzt — dabei hätten Syrer doch zivilisationshistorisch bereits seit 1.200 Jahren Kontakt mit Seife.

Das Schicksal von Aleppo

Natürlich ist der Krieg nicht ganz wegzudenken aus dem Buch. Besonders die Fotos aus Aleppos traumhaft schöner Altstadt erinnern schmerzlich daran, dass davon heute nur noch ein kümmerlicher Trümmerhaufen übrig ist.

Aleppos Schicksal hat besonders all jene zutiefst bewegt, die die Stadt einmal vor dem Krieg besucht haben. Bereits zu einer Zeit, während der in der Stadt der Bürgerkrieg tobte, machten sich etwa in Deutschland schon Menschen Gedanken zum Wiederaufbau der nordsyrischen Metropole. Der deutsche Verein „Freunde der Altstadt von Aleppo“ aus Stuttgart engagiert sich seit den neunziger Jahren für die Instandhaltung und Restaurierung der Aleppiner Altstadt.

Die Große Moschee von Aleppo, vor dem Krieg noch Wahrzeichen der Stadt, ist heute vollständig zerstört. (Foto: Marian Brehmer)

Mit dem syrischen Bürgerkrieg hat die Organisation nun eine ganz neue Aufgabe bekommen: Die im Jahr 2016 gegründete Arbeitsgruppe „Rebuilding Aleppo“ entwickelt unter Anleitung von Mamoun Fansa, einem syrischen Prähistoriker und ehemaligen Museumsdirektor, Strategien für die Wiederauferstehung des Kulturerbes von Aleppo.

Auch vor Ort gibt es bereits ähnliche Bestrebungen: So berichtete die BBC etwa von einem Wiederaufbaukomittee, das es sich in Aleppo zum Ziel gesetzt hat, ein mittelalterliches Stadttor wieder zu errichten. Während es dem syrischen Regime an Mitteln und höchstwahrscheinlich auch an Willen fehlt, die zerstörten Kulturerbelandschaft von Aleppo zusammenzufügen, sind es nun Überlebende, einfache Bürger, die das Schicksal ihrer Stadt selbst in die Hand nehmen wollen.

Hoffnung auf bessere Zeiten

Andere wiederum halten das Gespräch über den Wiederaufbau von Syrien für verfrüht, so wie etwa Philipp Ackermann, ein Regionalbeauftragter im Auswärtigen Amt, der in einem Interview mit „Vorwärts“ über die Reparatur von Kriegsschäden sprach. Als Grund nannte er die mangelnde Gesprächsbereitschaft der syrischen Regierung, um gemeinsam an einem nachhaltigen Frieden zu arbeiten.

Fest jedoch steht, dass durch die Präsenz von Hunderttausenden syrischen Flüchtlingen das Schicksal Europas, und gerade Europas, mit dem des syrischen Volkes untrennbar verquickt worden ist. Umso wichtiger sind jene Aufnahmen im Buch „Syrien – ein Land ohne Krieg“, die gerade auch christliches Leben in Syrien zeigen. Vieles von dem, was Jäkel uns dort vorführt, ist uns weniger fremd als viele es hierzulande wohl denken würden. Oder wie ein syrisches Sprichwort besagt: „Jeder Mensch hat zwei Heimaten. Seine eigene und Syrien.“

Ein Motiv etwa zeigt einander ähnelnde christliche und islamische Amulette, wie sie in einem Souvenirladen in Damaskus vertrieben werden. So wie die Amulette Seite an Seite vom Ständer baumeln, so ist auch das interreligiöse Leben der Syrer seit Jahrhunderten von Respekt und Harmonie geprägt. Macht nicht gerade diese lange Geschichte des friedlichen Zusammenlebens Hoffnung darauf, dass die besseren Zeiten einmal zurückkehren werden?

Lamya Kaddor jedenfalls beschreibt ihre Reaktion beim Anschauen von Jäkels Syrienbildern so: „Plötzlich sah ich die Vergangenheit in der Gegenwart und wusste, das wird auch die Zukunft dieses Landes sein. Syrien ist nicht tot.“ Die Überzeugung, dass es mit Syrien weitergehen wird, spricht von jeder Seite des Bildbandes. Man möchte und sollte glauben, dass die Autoren damit Recht haben. Und man wünscht jenen, die schon jetzt voller Elan an einem neuen Syrien und einem erneut in altem Glanz erstrahlten Aleppo arbeiten, viel Kraft und einen langen Atmen.