Partnerschaft, Haus, Kind: Familienplanung ist oft Teil des Lebenstraums. Doch nicht immer geht er in Erfüllung. 15 bis 20 Prozent aller Schwangerschaften enden in den ersten drei Monaten. Viele erleben eine Fehlgeburt als großen Verlust – darüber gesprochen wird aber nur selten.

Lieber erst einmal nichts sagen. Stattdessen abwarten, bangen, hoffen. Viele Paare behalten eine Schwangerschaft erst einmal für sich. Zu groß ist die Angst, dass vielleicht etwas schiefgeht. Und über die eigene Fehlgeburt sprechen, will man nach dem Erlebten auch nicht.

Das weiß auch Monique Fey. Sie ist Mutter von drei Kindern, war aber fünf Mal schwanger. Ihr erstes Kind kam vor 20 Jahren auf die Welt und wurde nur ein paar Tage alt. Als sie danach mit Zwillingen schwanger wurde, erlebte sie eine Fehlgeburt. Doch sie wollte ihr Schicksal nicht ewig in sich hineinfressen. Lockerer Small Talk und die Frage, wie es ihr geht, wurden irgendwann unerträglich. „Wenn mich jemand fragte, konnte ich nicht einfach sagen, dass es mir gut geht. Denn mir ging es nicht gut“, sagt sie. „Und wer nicht wissen will, wie es mir geht, der soll auch nicht nachfragen.“

Fehlgeburten waren vor 20 Jahren ein Tabu und sind es heute immer noch. „Dabei würde es Frauen helfen, wenn die Gesellschaft das Thema endlich akzeptieren würde“, sagt Monique Fey. Betreuung gibt es in den unterschiedlichen Krankenhäusern. Dort kümmern sich Psychologen um die Betreuung der Frauen, wenn sie das wollen. Allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft – dann, wenn eine Ausschabung nicht mehr möglich ist und die Frau ihr Kind durch eine Geburt zur Welt bringen muss. Hilfe für alle Betroffenen gibt es auch bei externen Beratungsstellen wie Omega 90 oder „Eidel Ärm“ der „Initiative Liewensufank“. Dort arbeitet inzwischen auch Monique Fey. Im Jahr 2018 betreute sie persönlich etwa 15 Frauen, 20 hatten sich bei „Eidel Ärm“ für Beistand gemeldet.

Fehlgeburt – ein „normaler“ Prozess

Schätzungsweise 15 bis 20 Prozent aller Schwangerschaften enden in den ersten drei Monaten (bis zur 12. Woche) mit einer frühen Fehlgeburt. Hinzu kommen die Abgänge, die zu einem späteren Zeitpunkt in der Schwangerschaft stattfinden.

Demnach sind viele Frauen betroffen. „Es ist aber nicht leicht, ehrlich darüber zu sprechen, weil eine Fehlgeburt oft als etwas Normales abgetan wird“, erklärt Monique Fey. Die Frauen empfinden Trauer, wollen diese aber nicht nach außen tragen, weil Außenstehende ihre Gefühle häufig nicht nachvollziehen können. „Wenn der Verlust für die Frau schlimm ist, dann ist es auch so. Und dann gilt es, das zu respektieren, anstatt es kleinzureden.“

Beim Thema Fehlgeburten gibt es leider keine Gerechtigkeit. Da hat man keinen Einfluss drauf.“Dr. Robert Lemmer

Der Facharzt Dr. Robert Lemmer und ehemaliger Präsident des Verbands der Gynäkologen, sagt, dass eine frühe Fehlgeburt ein Zeichen der Natur sei, dass mit dem Embryo etwas nicht stimmt. Deshalb würde er vom Körper abgestoßen werden. „Die Natur schaut, welcher Embryo sich zu einem gesunden Baby entwickeln kann.“ Die Natur würde quasi für die Frau entscheiden.

Für ein frühes Ende der Schwangerschaft gibt es viele mögliche Gründe: Häufig sind es genetische Störungen oder fehlerhafte Zellteilungen, die eine Weiterentwicklung des Embryos nicht ermöglichen. Was aber ein normaler Vorgang des Körpers ist, ist meist für die Frauen eine schmerzliche Erfahrung. Sie wissen zwar um die Gefahr. Wenn man selbst betroffen ist, ist die Situation aber oft eine andere. „Dann beginnt man sich Fragen zu stellen, das Vertrauen in den eigenen Körper nimmt ab“, sagt Monique Fey.

Dabei spielt der Zeitpunkt der Fehlgeburt eigentlich keine Rolle. Wenn ein Paar lange versucht hat, schwanger zu werden, dann ist auch eine frühe Fehlgeburt mit viel Schmerz verbunden. Viele Paare sind dann froh, wenn sie noch niemandem von der Schwangerschaft erzählt haben. Für andere ist es wichtig, darüber zu sprechen, um das Erlebte zu verarbeiten. „Jeder Fall ist anders“, sagt Dr. Robert Lemmer. „Aber bei diesem Thema gibt es leider keine Gerechtigkeit. Da hat man keinen Einfluss.“

Je älter die Frau, desto höher das Risiko

Was aber einen Einfluss haben kann, ist das Alter der Frau. Heute werden Frauen später Mutter. In Luxemburg liegt der Altersdurchschnitt der Frau beim ersten Kind bei 32 Jahren (Jahr 2016).

„Die Karriere geht heute vor, danach wird eine Familie gegründet. Damit gibt es häufiger Risikoschwangerschaften, was natürlich schade ist“, sagt Dr. Robert Lemmer. Schwangerschaften sind heute oft lange geplant – umso größer die Enttäuschung, wenn es dann auf Anhieb nicht klappt. Und umso größer sind dann die Selbstzweifel. Hätte man es doch früher versuchen müssen? Ist die Eizellenproduktion vielleicht schon eingeschränkt? All das sei individuell, sagt Dr. Lemmer. Jeder Körper funktioniere unterschiedlich.

Wer nach Statistiken zu Fehlgeburten sucht, öffnet die Büchse der Pandora.

Je älter die Frau, desto schwieriger wird es aber schwanger zu werden. Die Zahl der künstlichen Befruchtungen in Luxemburg steigt stetig. Laut Bericht der „Surveillance Santé Périnatale au Luxembourg“ ist die Zahl von 339 im Jahr 2014 über 362 auf 374 künstliche Befruchtungen für 2016 gestiegen. In demselben Jahr lag der Altersdurchschnitt von Frauen, die sich künstlich befruchten ließen bei 34,9 Jahren, während Frauen, die auf natürlichem Weg schwanger wurden, im Schnitt 31,3 Jahre alt waren.

Zahlen und Statistiken sind verfälscht

„Wer aber nach Statistiken zu Fehlgeburten sucht, öffnet die Büchse der Pandora“, sagt Dr. Robert Lemmer. Die 15 bis 20 Prozent an frühen Fehlgeburten zeigen klar, dass sie kein Randphänomen sind. Das sind aber internationale Schätzungen, die Fehlgeburten-Raten, die im Bericht der „Surveillance de la Santé Perinatale au Luxembourg“ erwähnt sind, werden erst ab Schwangerschaftswoche 22 berechnet – also ab dem 6. Monat.

Der Wert liegt hier unter einem Prozent (0,627). Mit den Berechnungen ab Woche 22 halte man sich an Richtlinien der internationalen Gesundheitsorganisation, heißt es aus dem Gesundheitsministerium und dem Luxembourg Institute of Health, die den Bericht gemeinsam aufgestellt haben. Auch müsse man in Luxemburg Fehlgeburten nicht offiziell melden, weshalb es  schwierig sei, überhaupt konkrete Zahlen dazu zu finden. 

Der Großteil der Schwangerschaften wird gar nicht in Betracht gezogen, die Zahlen sind demnach verfälscht, wenn sie denn überhaupt repräsentativ sind. Das wissen auch die Ärzte.

Dr. Lemmer macht noch auf ein anderes Problem bei den Statistiken aufmerksam. Für die Behandlung bei Fehlgeburten (Ausschabungen oder medikamentöse Behandlungen) fehlt nämlich ein Code beziehungsweise ein Tarif bei der Gesundheitskasse CNS. Bei Ausschabungen nach Fehlgeburten gilt zwar der Akt 6A71, mit ihm werden aber auch Eingriffe bei gewollten Abtreibungen oder ungewollten Abbrüchen (beispielsweise wegen Komplikationen) abgerechnet. Wie viele Fehlgeburten sich tatsächlich unter dem Akt 6A71 befinden, ist demnach unmöglich festzustellen.

Für Lemmer ein No-Go. Er habe schon bei früheren Gesundheitsministern darauf gepocht, dass beides separat voneinander behandelt und berechnet wird. Nur so könne man Klarheit zu Fehlgeburten und Abtreibungen bekommen. Es sei aber nie etwas passiert.