„Du muss et wëssen …“, sagte seine Mutter, als Jean-Michel Neser beschloss, den elterlichen Betrieb auf Bio umzustellen. Doch zu der Skepsis von Eltern und Freunden kommen auch finanzielle Hürden. Die Geschichte eines Jungbauern, der es dennoch wagte.

Die Äcker und Weiden sind von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Hunde bellen. Der vermutbare Geruch von Mist wird von einer kühlen Brise verschleiert. Ein junger Landwirt, die zweijährige Tochter auf den Schultern, ist dabei den Stall nach dem Putzen wieder zu öffnen. Die Kühe und Rinder mussten für kurze Zeit mit weniger Raum vorliebnehmen. Der vordere Teil der Stallungen wurde vom Mist befreit und mit frischem Stroh überschüttet, das Vieh im hinteren Teil kurzzeitig eingepfercht.

Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass hier ein Bauernbetrieb von Grund auf neu aufgestellt wird. Beim näheren Hinschauen fällt einem vielleicht die besondere Beschaffenheit des Stalles auf und die großzügig bemessene Fläche für jedes Tier. Jean-Michel Neser hat den neuen Stall am Rande des Öslinger Dorfes Stockem, nahe Clervaux, nach seinen eigenen Vorstellungen gebaut. Als feststand, dass er den Betrieb des Vaters übernehmen würde, wusste er schon, was er will. Auch wenn die Umstände nicht günstig waren: Neser wollte einen Biohof aufbauen.

Berufskrankheit des Vaters als Auslöser

Dieser Wunsch kam nicht aus dem Blauen. Mehrere Erfahrungen führten zu diesem Entschluss, erzählt Jean-Michel Neser. An ein Erlebnis erinnert sich der junge Landwirt noch besonders gut. Die Setzkartoffeln standen in der Blüte und er hatte gerade das Pflanzenschutzmittel mit dem harmlosen Namen Biscaya auf dem Acker ausgebracht. In der guten Absicht weder den Bienen noch sonst jemandem zu schaden. Denn das Insektizid wird vom Hersteller Bayer mit dem ausdrücklichen Vermerk vertrieben, es sei für Bienen ungefährlich.

Doch ausgerechnet am gleichen Abend lief eine Reportage im Fernsehen, die anhand von neuen Studien aufzeigte, dass die Bienen zwar nicht sofort an Biscaya sterben, sondern langsam an dem angeblich bienenfreundlichen Mittel zu Grunde gehen. Der ohnehin für die Thematik sensibilisierte Neser wurde aufmerksam. „Das viele Spritzen hat mir nicht mehr gefallen. Man kann so gut arbeiten wie man viel, man hat immer irgendwo Spritzmittel. Entweder kleckert man beim Umfülllen oder der Wind weht alles in die Traktorkabine hinein.“

Die schwere Erkrankung des Vaters weckte weitere Zweifel beim ausgebildeten Agraringenieur. Neser Senior leidet an Parkinson, einer Krankheit, die durch den Kontakt mit Herbiziden und Insektiziden ausgelöst werden kann. In Frankreich ist das Leiden als landwirtschaftliche Berufskrankheit anerkannt.

 

„Wenn deine Flächen nachher voller Unkraut sind, verpachte ich sie jemand anderem.“Jean-Michel Nesers Vater

Zudem ließ seine Frau Ina nicht locker und verwickelte ihren Mann immer wieder in Diskussionen über das Für und Wider der Biolandwirtschaft und einer eventuellen Umstellung. Ina Neser war bereits vor ihrem Mann überzeugt, dass Bio der richtige Weg ist. Und auch die Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen hat ihren Anteil an der Entscheidung zum Umschwung: Familie Neser erhält im Mai zum zweiten Mal Nachwuchs.

Entscheidung für eine andere Landwirtschaft

Die Umstellung ist offiziell erst im vergangenen August angelaufen, obwohl der Wechsel zum Bio Neser schon länger beschäftigt. Bereits davor hat er sich den besonderen Kuhstall ausgedacht, der an den Seiten und oben in einem breiten Spalt geöffnet ist. Dies biete viele Vorteile, erklärt der Landwirt. Das Vieh ist deutlich seltener krank. Grippenimpfungen der insgesamt 84 Tiere, trächtige Mutterkühe, Mutterkühe mit Kälbern, Rinder und Deckstiere, sind seitdem kein Thema mehr.

Die Entscheidung für eine andere Landwirtschaft hat nicht jedem in Nesers Umfeld gefallen. Kritische Bemerkungen aus der Familie blieben nicht aus. Dennoch war für den jungen Bauern der nächste Schritt bereits klar: die Umstellung auf eine zertifizierte biologische Landwirtschaft.

Jean-Michel Neser (hier mit seiner zweijährigen Tochter) stellt seinen landwirtschaftlichen Betrieb am Rande des Öslinger Dorfes Stockem, nahe Clervaux, von Grund auf um.

So war das keineswegs vorprogrammiert. Jean-Michel Nesers Laufbahn begann ganz klassisch in der Ackerbauschule in Ettelbrück. Von Bio war damals in den Lehrstunden kaum die Rede, erzählt er.

Der väterliche Betrieb wurde über 40 Jahre konventionell betrieben. Der Vater kann die Entscheidung seines mittleren Sprosses bis heute nicht wirklich nachvollziehen. „Wenn deine Flächen nachher voller Unkraut sind, verpachte ich sie jemand anderem“, zitiert der junge Landwirt seinen Vater. Beweisen müsse er sich auf jeden Fall, so Jean-Michel Neser. Das „Du muss et wëssen …“ der Mutter war einer der harmloseren Kommentare. Andere sind krasser in ihrer Einstellung. „Es gibt jene, für die Bio keine richtige Landwirtschaft ist“, so Jean-Michel Neser.

Befreundete Bauern und die Familie würden jetzt ganz genau hinschauen, wie er eben mit dem Unkraut umgehe, und ob er weiterhin finanziell über die Runden komme. Es gebe aber auch Bekannte, die seine Entscheidung insgeheim unterstützten. Selbst würden sie sich aber nicht trauen, diesen Weg einzuschlagen. Auch wenn seine Familie und Freunde Jean-Michel Nesers Bioprojekt belächelten, so war dies nicht der Grund für sein anfängliches Zögern.

Das größte Hindernis ist die finanzielle Unsicherheit. Der junge Bauer verkauft seine Fleischerzeugnisse bisher über die Zuchtgenossenschaft  Convis an Cactus, was ihm eine gewisse finanzielle Sicherheit gewährt. Erst vor drei Jahren hat er Stall und Wohnhaus neu gebaut. „Ich habe nicht die beste Vorausetzung für Bio. Ich produziere Fleisch und Setzkartoffeln. Beim Fleisch ist der Markt nicht so groß und in Luxemburg nicht richtig entwickelt.“

Das finanzielle Risiko im Hinterkopf

Wie es nach der Umstellung weitergeht, ist ungewiss. Zwei Jahre dauert die Zwischenphase und während dieser Zeit darf Jean-Michel Neser seine Fleischerzeugnisse noch nicht unter dem Bio-Label verkaufen. Die Produktion aber wird schrumpfen: Im Biolandbau benötigen die Kühe mehr Weide- und Stallfläche. Bei gleichbleibender Fläche dürfen also weniger Kühe gehalten und es können weniger Rinder geschlachtet werden.

In der konventionellen Viehhaltung zur Fleischproduktion ist es üblich, die Kälber bereits mit acht Monaten von der Mutterkuh zu trennen und sie auf ein Gewicht von etwa 400 bis 800 Kilo in einem separaten Stall zu mästen. Die Richtlinien der Biolandwirtschaft sehen andere Bedingungen vor. Dort sollen die Kälber länger bei der Mutterkuh bleiben, sie dürfen nicht mit Kraftfutter gemästet werden. Das heißt, es gibt beim Schlachten weniger Fleisch. Hinzu kommt: Die Unkosten des Saatguts für den Futteranbau sind höher.

Überhaupt werden die Kosten steigen. Auch die Zertifizierung als Biohof durch die Kontrollstelle muss Neser mitfinanzieren. Das ist so in den Verordnungen vorgesehen. Bis heute hat er 3.000 Euro dafür ausgegeben.

Dabei hilft die Umstellungsprämie des Staates zwar, ist für Bauern wie Neser aber keine Kompensation für den wirklichen Aufwand und die Mehrkosten. Die Bioprämie beträgt 270 Euro pro Hektar Grünland, nach der Übergangsphase von zwei Jahren sinkt die Summe auf 220 Euro. Das Ackerland wird mit 300 Euro pro Hektar subventioniert, nach der Umstellung bleiben noch 250 Euro übrig.

„Dann kann man nichts mehr machen“

Die höheren Biopreise für seine Produkte bekommt Jean-Michel Neser zudem erst nach der Umstellung. Der junge Landwirt hofft, dass er das Fleisch weiterhin über den gleichen Weg absetzen kann. Wenn nicht, kommt für ihn lediglich die Selbstvermarktung in Frage. Und die bedeutet wiederum einen vermehrten Arbeitsaufwand. Eine zusätzliche Arbeit, die nicht der eigentlichen landwirtschaftlichen Tätigkeit zu Gute kommt.

Trotzdem sind die Vorraussetzungen nicht die schlechtesten für den jungen Landwirt: Die Hälfte seines Landes ist Grünland und kommt nur für die Zucht in Frage. Somit ist Jean-Michel Neser ein geeigneter Kandidat für eine unkomplizierte Umstellung, „bei den meist hoch technologisierten Milchkuh-Betrieben ist das schwieriger“, so Daniela Noesen, Direktorin von Bio-Lëtzebuerg.

Seit Jean-Michel Neser nach den Bio-Regeln wirtschaftet, muss er vorausschauender handeln. „Die konventionelle Landwirtschaft ermöglicht es, Korrekturen vorzunehmen. Das ist in der Biolandwirtschaft nicht möglich. Sind die Pflanzen am Wachsen kann man nichts mehr machen“, erklärt er. Dazu kommt: „Wenn das Wetter schlecht ist, ist das eben so.“ Fest steht ebenso: Die kritischen Blicke seiner Eltern und Bekannten werden bleiben.