Bio verspricht Wachstum. Die Zeiten, in denen der Fachhandel die Zügel in der Hand hatte, sind längst vorbei. Von Aldi bis zum einheimischen Cactus sind alle darauf aus, sich Marktanteile zu sichern.

„Der Preisdruck war noch nie so groß“, sagt Patrick Kolbusch. Der Biofachhandel macht sich ernsthaft Sorgen vom Lebensmitteleinzelhandel einverleibt zu werden, so der Geschäftsführer von Biogros, dem luxemburgischen Großhändler für Bioprodukte. Dies zeige sich nicht zuletzt in der Entwicklung im Ausland. Aldi-Süd hat sich in Deutschland längst zum führenden Biohändler ausgerufen und nimmt jährlich um die 60 neue Produkte in die Regale. In den USA wurde die Biolebensmittelkette Whole Foods von Amazon aufgekauft.

Das Resultat dieser Konkurrenz durch die Discounter: Die Preise für Bioprodukte fallen. Der Großteil der Bioprodukte wurde vergangenes Jahr in Supermärkten und Drogeriemärkten verkauft, stellte der Arbeitskreis Biomarkt in Deutschland fest. Vom Gesamtumsatz, der erstmals 10 Milliarden Euro überstieg, wurden dort allein 5,9 Milliarden erwirtschaftet, mit einer Steigerung von 8,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Fachhandel, das heißt den Bioläden und Bioketten, ist der Umsatz mit 1,2 Milliarden Euro bzw. einem Anstieg von 5,5 Prozent viel geringer.

Für Luxemburg liegen keine solche Zahlen vor. Internen Branchenschätzungen zufolge ist der Unterschied hierzulande nicht so groß. Mit der Beteiligung von ausländischen Discountern wie Lidl oder Aldi am Biomarkt ist der Druck dennoch vorhanden.

Die Demokratisierung des Bio

Ein Argument für die niedrigen Preise ist die sogenannte Demokratisierung des Bio, nach dem Motto: Bio für alle!

Marc Hoffmann, Marketing-Direktor bei Cactus, spricht in diesem Zusammenhang von „erschwinglichem Bio“ („bio abordable“). Mit günstigeren Bioprodukten könnten neue Kunden gewonnen werden, sagt er. Dennoch sei nicht nur bei erschwinglichen Produkten, sondern im gesamten Biobereich ein zweistelliges Wachstum zu erwarten. Genaue Zahlen gebe es keine.

Es könnte sein, dass Alnatura wie eine Art Einstieg in die Welt des Bio für den Kunden wird.“Marc Hoffmann, Cactus

Momentan machen Bioprodukte bei Cactus insgesamt sieben bis acht Prozent des Umsatzes aus. Vor allem die Marke Alnatura ist dabei auf dem Vormarsch. Die Anzahl der Produkte dieser Marke wurde um die Hälfte auf 600 aufgestockt. Der Anteil wird wohl noch steigen. Das deutsche Biounternehmen Alnatura betreibt sowohl eigene Geschäfte als auch Kooperationen mit internationalen Partnern. In Luxemburg ist das exklusiv die Supermarktkette Cactus.

Cactus und der Einstieg in die Bio-Welt

Marc Hoffmann bezeichnet Alnatura auch klar als Ersatz für eine Eigenmarke. „Wir behandeln sie als Eigenmarke, da es vom Volumen her für das luxemburgische Unternehmen keinen Sinn macht, eine wirkliche Bioeigenmarke aufzubauen.“ Ausländische Supermärkte hätten durch ihre Größe ganz andere Absatzmöglichkeiten.

Welcher Stellenwert bleibt da noch für lokale Biohändler? Marc Hoffmann drückt sich vorsichtig aus: „Für das Preisbild von lokalen Bioprodukten ist es zwar schlecht. Alnatura erschließt aber neue Märkte. Es könnte sein, dass Alnatura wie eine Art Einstieg in die Welt des Bio für den Kunden wird.“

Cactus besteht ferner darauf, dass die Produkte der Luxemburger Marke Biog weiterhin Priorität hätten. Das scheint dem Wunsch des Kunden zu entsprechen, lokal einzukaufen. Wieviel Prozent aus dem Angebot aus lokaler Produktion stammen, kann Marc Hoffmann nicht sagen. „Das ist immer nur eine Momentaufnahme und saisonabhängig.“

Zudem hat Cactus das Privileg als fast einzige Supermarktkette Demeter-Fachhandel zertifiziert zu sein. Das heißt, dass die Supermarktkette Privilegien genießt, die eigentlich dem reinen Biohandel vorbehalten sind. Einige Demeter-Marken verkaufen zum Beispiel nur an den Fachhandel.

Cactus möchte daher nicht Partei ergreifen. Die Zusammenarbeit mit Biogros und Biog besteht seit über 20 Jahren. Bei den über 2.600 Bioartikeln gebe es aber auch einen neuen Trend, so Hoffmann: Große industrielle Lebensmittelhersteller wie Nestlé oder Heinz proben den Einstieg ins Biogeschäft.

Seit Ende Februar setzt Cactus mit der Vermarktung von Biorindfleisch zudem auf eine Fleischeigenmarke „Bio Green Beef“. Gutes Timing, denn das belgische Biofleisch, das bisher von Cactus verkauft wurde, kam aus dem skandalumwitterten Schlachthaus in Bastogne, das Anfang März teilweise geschlossen wurde.

Eigenmarke und ausländische Konkurrenz

Die ausländische Konkurrenz wie die belgische Supermarktkette Delhaize hat seit langem schon hauseigene Biomarken. Die belgische Eigenmarke heißt schlicht „Bio delhaize“ und ist durch ihr Logo gut sichtbar in den Filialen. In Belgien und Luxemburg umfasst das Biosortiment rund 1.300 Produkte aus biologischem Anbau, davon sind 700 Eigenmarkenprodukte.

Am Ende leidet der Produzent am meisten unter dem Preisdruck.“Aender Schanck, Oikopolis

Laut der zuständigen Pressesprecherin ist auch bei Delhaize ein Wachstum von mehr als zehn Prozent in Luxemburg möglich. Von 2017 auf 2018 verzeichnete man bereits ein Plus von elf Prozent beim Umsatz und von 19 Prozent beim Angebot. Besonders die lokalen und biologischen Lebensmittel seien bei den Kunden sehr beliebt, dennoch stammt nur ein kleiner Anteil von 200 Produkten aus lokaler Erzeugung. Dazu zählen rund 80 Biogprodukte, die nicht immer alle im Regal zu finden sind, sowie vereinzelte Produkte wie die von Salaisons Meyer oder Eier von Arovo.

Die meisten dieser Produkte bringt Delhaize, das 2016 mit der Albert Heijn B.V., der größten Supermarktkette in den Niederlanden fusionierte, mit in die luxemburgischen Supermärkte. Das lokal produzierte Bio kommt den Kundenwünschen entgegen, der hauptsächliche Umsatz wird aber mit der Eigenmarke gemacht.

Produzenten leiden unter Preisdruck

Da der Druck zunimmt, muss die traditionelle Biobranche enger zusammenarbeiten. Die bestehenden Abhängigkeiten betreffen vor allem die Produzenten, die kleineren Hersteller und Geschäfte und weniger den Lebensmitteleinzelhandel, sprich die Supermärkte. „Am Ende leidet der Produzent am meisten unter dem Preisdruck.“, sagt Aender Schanck von Oikopolis. „Der Produzent ist das verletzlichste Glied in der Wertschöpfungskette, in der momentanen Logik wird der Biobauer abhängig von großen Strukturen“, so der Mitgründer des Dachunternehmens von Biog, Biogros und Naturata.

Oikopolis in Zahlen

Die Oikopolisgruppe (Biogros und Naturata) ist in den vergangenen Jahren in der Regel zweistellig gewachsen. Das Jahr 2017 bilde dabei eine Ausnahme mit einem Wachstum von nur 5 Prozent, so Aender Schanck. Naturata läge mit einem Umsatz von 32 Millionen Euro über den 5 Prozent und Biogros könne im Vergleich mit dem Vorjahr mit 28 Millionen die 5 Prozent nicht ganz erreichen. Mit ihren 340 Mitarbeitern habe die Gruppe somit einen Umsatz von 50 Millionen Euro im letzten Jahr zu verzeichnen, wobei die lokalen Produkte knapp 10 Prozent davon ausmachen würden.

Genau diese Wertschöpfungskette möchte Aender Schanck durchbrechen und mehr Solidarität schaffen: „Die Entwicklung, dass kleine Unternehmen aus der Biobranche von größeren integriert werden, ist systeminhärent.“ Hier könne nur eine grundlegende Veränderung der Wertschöpfungskette zu einem Wertschöpfungsring Abhilfe schaffen.

Damit meint der Unternehmer, der selbst aus einer Bauernfamilie stammt, dass sich der Produzent mit den anderen Akteuren als vollwertiger Partner mit an den Tisch setzen müsse und mit Blick auf seine Interessen an der Festsetzung der Preise beteiligt ist. Dies würde dem Produzenten mehr Einfluss und Spielraum bei der Verhandlung geben.

‚Ich bin gegen Nestlé‘: Diesen Satz kann ich nicht mehr hören.“Aender Schanck, Oikopolis

Die Biobranche funktioniert heute aber nach denselben Prinzipien wie der konventionelle Handel. Je mehr ein Handelsunternehmen bei einem Hersteller bestellt, je mehr Rabatt bekommt es auf dem Einkaufspreis. Diese Tatsache bietet natürlich Spielraum für den Verkaufspreis, der Supermarkt kann den Endpreis drücken.

„Immer und alles“ im Angebot

Aender Schanck hat aus diesem Grund die üblichen Prozeduren in Frage gestellt. „Bei Biogros gibt es keinen umsatzgebundenen Preisnachlass, denn da profitieren nur die großen Strukturen“. Er ist der Meinung, dass sich die Gesetzmäßigkeiten ändern müssten. Nur gegen etwas zu sein, erscheint dem Unternehmer sinnlos: „’Ich bin gegen Nestlé‘: Diesen Satz kann ich nicht mehr hören.“

Auch Marianne Goergen, Mitinhaberin des kleinen Biofachgeschäfts „Mullebutz“ in Bonneweg, bemerkt den Druck in der Branche. Vor allem beim Umsatz, der seit gut drei Jahren stagniert. Die Kunden seien gewohnt, anderswo die gesuchten Produkte immer vorzufinden. Für kleine Unternehmen seien die Mindestmengen für die Bestellungen nicht so leicht zu erreichen. „Im Supermarkt gibt es inzwischen viel Bio im Angebot und man bekommt immer alles“. An dieser Tatsache ändert auch nicht, dass diese Händler Bio wegen der hohen Nachfrage und nicht aus Überzeugung anbieten.

„Kunden werden auch in Zukunft Bio kaufen“, davon ist Marianne Goergen überzeugt. Fraglich bleibt nur: wo?