Das Europäische Parlament sichert die demokratische Kontrolle der EU-Organe. Die Institution vernachlässigt selbst aber ihre Rechenschaftspflicht. Wie die Abgeordneten mit öffentlichen Geldern umgehen, wird kaum kontrolliert – das gilt auch für Luxemburgs Parlamentarier.
Ende September entschied der Europäische Gerichtshof über eine Sammelklage investigativer Journalisten. Sie forderten mehr Transparenz im Europäischen Parlament. Die Journalisten wollten wissen, wofür die Abgeordneten die allgemeine Kostenvergütung (GEA) ausgeben, die sie jeden Monat zur Verwaltung ihrer nationalen Büros erhalten. 2018 sind das 4.416 Euro monatlich – steuerfrei. Bei 751 Abgeordneten sind das rund 40 Millionen im Jahr.
Die 4.416 Euro erhalten die Abgeordneten zusätzlich zu Ihrem Gehalt (rund 8.500 Euro), Tagesspesen während der Sitzungszeit (300 Euro) und den etwa 24.000 Euro für Personalkosten.
Doch das Parlament weigerte sich, offen zu legen, wie die Abgeordneten diese Gelder einsetzen. Die 29 Journalisten des sogenannten „MEPs Project“ reichten daraufhin Klage ein. Im September kam das Urteil: Das Gericht stellte sich auf die Seite des Parlaments.
Dass die Journalisten keinen Zugang zu den Informationen erhalten, ist aber nur ein Teil des Problems. Viel schwerer wiegt, dass die Abgeordneten keine Rechenschaft über die monatlichen 4.416 Euro ablegen müssen.
Keine Kontrolle über öffentliche Gelder
Obwohl es sich bei den Vergünstigungen um öffentliche Gelder handelt, gibt es keine Kontrolle über deren Einsatz, erklärt Delphine Reuter. Die belgische Journalistin ist Teil des MEP-Projektes. Sie war mit den Recherchen zu den luxemburgischen Abgeordneten betraut. „Als das Parlament unsere Anfragen ablehnte, betonten die Zuständigen, dass der administrative Aufwand zu groß wäre. Der Knackpunkt ist aber: Das Parlament hat die Dokumente gar nicht“, so Reuter.
Nicht nur gibt es keine genauen Richtlinien, wofür die Pauschale verwendet werden soll. Die Abgeordneten brauchen nicht einmal Nachweise für den Einsatz der Vergünstigungen zu hinterlegen. Audits oder Kontrollen durch das Parlament gibt es nicht. Theoretisch können die Abgeordneten mit dem Geld machen, was sie wollen.
„Die jetzigen Regeln sind viel zu vage“, bedauert auch der Abgeordnete im EU-Parlament Charles Goerens (DP/ALDE) im Gespräch mit REPORTER. Er kritisiert, dass es keine Nomenklatur mit autorisierten Ausgaben gibt, nach der sich die Abgeordneten richten müssten. So hätten sie Klarheit darüber, was mit mit der GEA bezahlt werden darf und was nicht.
Nationale „Geisterbüros“
Dass es im jetzigen System zu Missbräuchen kommen kann, konnte das MEP-Projekt anhand der Abgeordnetenbüros zeigen. Das Parlament sieht vor, dass jeder Abgeordnete ein Büro in seinem Heimatland hat. Dies um den Kontakt mit den Bürgern zu pflegen. 2017 versuchten die Journalisten des Projektes diese Büros ausfindig zu machen.
Wie ihre Recherchen ergaben, haben viele Abgeordnete überhaupt kein Büro, nutzen jene ihrer Partei, oder sind selbst Besitzer der Räumlichkeiten. „Es gibt also Vergünstigungen für Büros, die gar nicht existieren. Oder die Abgeordneten zahlen Miete an ihre Partei“, erklärt Delphine Reuter.
Andere Abgeordnete, wie etwa der Pole Czesław Siekierski (EVP) haben bis zu 13 Büros. Auch Mariya Gabriel, inzwischen EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, verfügte in ihrer Zeit als Abgeordnete über ganze sieben Büros in Bulgarien. Anlässlich ihres Wechsels in die EU-Kommission musste sich Gabriel hierzu nicht rechtfertigen, kritisiert die Journalistin des MEP-Projektes.
Unterschiede bei den Luxemburger Abgeordneten
Die Luxemburger Abgeordneten gehen unterschiedlich mit der monatlichen Pauschale um. Mady Delvaux (LSAP) hat ihr Büro zum Beispiel in der LSAP-Fraktion in der Hauptstadt. Sie bestätigt gegenüber REPORTER, sich an den Kosten für das Büro auf dem „Krautmaart“ zu beteiligen. Auch Frank Engel (CSV) nutzt die Räumlichkeiten seiner Fraktion, mietet aber selbst ein Büro in der „Millebaach“. Dies für die lokale Assistentin des Abgeordneten.
Christophe Hansen (CSV), der für Viviane Reding ins Parlament nachrückte, hat noch kein Büro, will aber bald eins mieten. Tilly Metz, die ebenfalls erst vor kurzem ins Parlament einzog, nutzt ihrerseits ein Büro im Gebäude der Grünen Fraktion in der Heilig-Geiststraße. Georges Bach (CSV) hat sich bis zum Abschluss dieses Artikels nicht zu den Fragen geäußert.

Charles Goerens (DP) hingegen ist einer von den 19 EU-Abgeordneten, die ihr Büro bei sich zu Hause haben. Er betont im Gespräch mit REPORTER, das hieße aber noch lange nicht, dass er das Geld „in die eigene Tasche stecke“, wie ihm das MEP-Projekt vorwarf. „In Luxemburg braucht man kein Büro in der Hauptstadt. Und meine Assistenten arbeiten vorwiegend aus Brüssel und Straßburg.“ Goerens erklärt, er gebe das Geld insbesondere für seine Mitarbeiter aus. Etwa für Informatik, Diensthandys, Bustickets und Taxis, Hotels für Dienstreisen, Arbeitsessen oder etwa für die Spesen seiner Praktikanten. Die Ausgaben lässt er durch einen Treuhändler kontrollieren. „Ich habe rund 95% der Belege und könnte jederzeit alles offenlegen“, so der DP-Politiker.
Die Causa Goerens zeigt: Der Transparenzmangel des Parlaments kann auch den Abgeordneten selbst schaden.
Wenig Bereitschaft zu mehr Transparenz
Sogar wenn die Abgeordneten die GEA nicht nutzen oder nur einen Teil der Gelder ausgeben, bedeutet das nicht, dass sie die monatlichen 4.416 Euro zurückzahlen. „Die meisten behalten das Geld. Denn das Parlament hat nie entschieden, was damit geschehen soll“, erklärt Delphine Reuter. Zudem habe das Parlament keinen genauen Überblick darüber, welche Summe jährlich zurück überwiesen wird. Auch dazu gäbe es keine Unterlagen.
In manchen Fällen wird fraktionsintern entschieden, wie die Vergünstigungen eingesetzt werden. Die Grüne Fraktion sowie die liberale Allianz ALDE haben zum Beispiel eigene Transparenzregeln eingeführt. Bei den Grünen muss das Geld zum Beispiel auf ein separates Konto überwiesen werden und Restbeträge müssen am Ende des Mandates zurückbezahlt werden. Auch ist klar geregelt, welche Ausgaben in Frage kommen.
Wir haben es mit einem Parlament zu tun, das alles andere als transparent ist, aber andere Institutionen zu mehr Transparenz auffordert.“ Delphine Reuter, Journalistin „MEPs Project“
Die Europäische Volkspartei (EVP) der die Luxemburger CSV-Abgeordneten angehören, gibt seinen Abgeordneten mehr Freiraum. „Die EVP sieht die Kostenvergütung als Pauschale mit der die Abgeordneten frei umgehen können“, bestätigt Frank Engel gegenüber REPORTER. Das bedeutet aber nicht, dass alle EVP-Mitglieder mit dieser Haltung einverstanden sind. Der neugebackene Abgeordnete Christophe Hansen etwa sagt aus, er wolle sich für klarere Regeln einsetzen.
Geht es nach dem Parlament, soll sich an diesem Status Quo aber nichts ändern. Im Juli stimmte das Büro des Parlaments nämlich gegen eine Verschärfung der Transparenzregeln bezüglich der allgemeinen Kostenvergütung. Der Berichterstatter für Transparenz des EU-Parlamentes Sven Giegold (Grüne) kritisierte die Entscheidung scharf.
Auch Charles Goerens bedauert die Entscheidung. „Es macht mich wütend, dass das Parlament keine geschlossene Haltung einnimmt. Wir brauchen einheitliche Regeln, Verfahren und Kriterien, an die sich jeder halten muss.“
Schwerer Zugang zu Informationen
Während die Klage des MEP-Projektes auf die vagen Transparenzregeln aufmerksam macht, zeigt das Urteil, dass auch die Gesetzgebung zum Informationszugang Schwächen hat.
Dass der Europäische Gerichtshof sich in seinem Urteil vom 25. September auf die Seite des Parlamentes stellen konnte, liegt am Artikel 8b der Verordnung zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (45/2001). Dort steht, dass derjenige der Informationen anfragt, die „Notwendigkeit der Datenübermittlung“ nachweisen muss, da es sich um personenbezogene Daten handelt.
„Die aktuellen Regeln töten den Zugang zu jeglichen Informationen“, bedauert die Anwältin des MEP-Projektes Nataša Pirc Musar. Die Slowenin hat die Journalisten vor dem Europäischen Gerichtshof vertreten. Als ehemalige Informationskommissarin beim Parlament kennt sie dessen Transparenzproblem und kritisiert auch die aktuellen Regeln zum Informationszugang.
Behinderung der journalistischen Arbeit
„Wir haben etliche Gründe dafür angegeben, wieso die Journalisten Zugang zu den Daten brauchen, doch sie reichten dem Gericht nicht.“ Die Anwältin kritisiert aber auch die Auslegung der Verordnung. „Argumentiert man auf diese Weise, dann ist sogar der Name eine personenbezogene Information. Dann könnten wir gar kein Parlament wählen, denn dazu müsste man die Namen der Kandidaten preisgeben.“
Diese Gesetzesauslegung verhindere, dass Journalisten ihre Arbeit machen könnten, so Musar. Es sei abwegig, dass sie erst genaue Gründe nachweisen müssen, bevor sie überhaupt an geforderte Informationen kommen. Schließlich brauchen sie die Dokumente um Unregelmäßigkeiten aufzuzeigen – wenn es denn welche gibt. „Journalisten sind die Wachhunde der Demokratie. Doch um dieser Rolle gerecht zu werden, brauchen sie Zugang zu Informationen.“
Abgeordnete sollen Druck machen
Wie es nach dem Urteil weitergeht ist unklar. Vom Parlamentspräsidenten Antonio Tajani ist vorerst kein Eingreifen zu erwarten – das zeigt nicht zuletzt die Abstimmung des Parlamentsbüros vom letzten Juli. Nataša Musar ist sich nicht einmal sicher, ob es sich lohnt in Berufung zu gehen. Sie erwartet sich kein Einlenken vom Europäischen Gerichtshof.
Delphine Reuter sieht vor allem die Abgeordneten selbst in der Pflicht. Nur wenn sie Druck auf das Parlamentsbüro machen, könne sich etwas ändern. „Wir haben es mit einem Parlament zu tun, das alles andere als transparent ist, aber andere Institutionen zu mehr Transparenz auffordert. Das ist doch paradox“, beanstandet die Journalistin des MEP-Projektes.
In Zeiten in denen die europäischen Institutionen immer mehr in Frage gestellt werden und sich euroskeptische Parteien bei den nächsten Parlamentswahlen große Chancen ausrechnen, wäre ein Schritt zu mehr Transparenz jedenfalls ein wichtiges Zeichen.