Mit seinen Reformen in der Betreuung von Kleinkindern hat Bildungsminister Claude Meisch neue Qualitätsstandards gesetzt. Und nebenbei die privaten Kitas unter Kontrolle gebracht. Einblicke in einen explodierenden Markt.

Wie verbringt mein Kind die Stunden in der „Crèche“ und wie wird es gefördert? Wer sich als Elternteil diese Frage noch vor wenigen Jahren stellte, musste darauf vertrauen, dass die Erzieher in den Einrichtungen ihren Job gut machen. Denn bevor die Politik eine Qualitätsoffensive für die Kleinsten startete, waren die Anbieter von Staats wegen gerade einmal verpflichtet, einige Auflagen zu Sicherheit und Hygiene, Raumgrößen und Personal einzuhalten. Damit erhielten sie das „agrément“, eine Betriebserlaubnis.

Die Krippen, insbesondere die kommerziellen, waren auf dem Papier kaum mehr als eine sichere Verwahrungsstätte fürs Kind. Strengere Auflagen galten allein für jene Einrichtungen, die eine Konvention mit dem Ministerium eingingen, um öffentliche Fördergelder für Personal- und Betriebskosten zu erhalten – beispielsweise Tagesstätten in kommunaler oder gemeinnütziger Trägerschaft.

Doch hat sich in dieser Legislaturperiode und unter dem DP-Minister für Bildung und Kindheit so einiges verändert. Der angestrebte Qualitätsfortschritt ist allerdings zunächst nicht auf Claude Meisch zurückzuführen.

Alles fängt an im Mai 2008, als Premierminister Jean-Claude Juncker die Einführung der „Chèques-service“ in Aussicht stellt. Die Zahl der Krippenplätze war bereits in den Jahren zuvor gestiegen. „Mir brauche méi Betreiungsplazen“, erklärt Juncker. Im Jahr darauf löst die Regierung ihr Versprechen ein. Wer sein Kind in eine Einrichtung gibt, wird vom Staat bei den Betreuungskosten unterstützt. Seitdem explodiert der Markt. Neue Plätze werden geschaffen, zwar auch auf gemeinnütziger Ebene, doch vorwiegend von privaten Anbietern, oftmals gewinnorientiert.

Mehr als doppelt so viele Kitaplätze

Statistiken des Bildungsministeriums belegen diesen Boom. Während es 2009 24.600 Plätze für Kinder gibt, sind es 2017 bereits 56.400. Die Zahl der öffentlich geförderten Einrichtungen steigt nur leicht von 350 auf 410. Dahingegen schießen private Einrichtungen wie Pilze aus dem Boden. Ihre Anzahl vervierfacht sich in diesem Zeitraum fast – von 113 auf 416. Auch immer mehr Tageseltern kommen hinzu. „Das quantitative Wachstum der außerfamiliären Betreuungsstrukturen war so rasant, dass es dafür im internationalen Vergleich kein Vorbild gibt“, sagt Sascha Neumann, Professor für frühkindliche Bildung an der Universität Luxemburg.

Es hat sich dann aber schnell ein Unbehagen entwickelt, weil man nicht wusste, was in diesen Einrichtungen passiert.“ Prof. Sascha Neumann, Universität Luxemburg

Während die deutliche Mehrheit der Schulkinder nach dem Unterricht in kommunale „Maisons Relais“ geht, dominieren bei Kleinkindern bis vier Jahren die privaten Anbieter das Feld. Zwei Drittel aller Plätze für Kleinkinder werden heute von kommerziellen Einrichtungen gestellt. „Ohne den nicht-konventionierten Bereich wäre dieses Wachstum nicht möglich gewesen“, sagt Neumann. „Es hat sich dann aber schnell ein Unbehagen entwickelt, weil man nicht wusste, was in diesen Einrichtungen passiert.“

Als „Blackbox“ bezeichnete Neumanns Vorgänger, Prof. Michael-Sebastian Honig, den Sektor einst in einer Studie. Zugleich pumpte die Regierung Jahr für Jahr mehr Geld in das System. Flossen 2009 noch knapp 87 Millionen Euro an Steuergeldern in den Betreuungsbereich, waren es 2017 bereits 372 Millionen Euro.

Eine Öffnung zur Gratis-Kinderbetreuung

Qualitätskriterien für die Einrichtungen mussten her. 2012 brachte die damalige CSV-Familienministerin Marie-Josée Jacobs ein entsprechendes Gesetz auf den Weg, das bereits die Einführung eines nationalen Rahmenplans für die sogenannte „non-formale Bildung“, das Lernen außerhalb der Schule, vorsah ebenso wie ein individuelles Konzept für jede Einrichtung, das Führen eines Tagebuchs durch die Erzieher und staatliche Kontrollmöglichkeiten.

Auch wenn bereits wichtige Vorarbeiten in der Legislaturperiode zuvor geleistet worden waren, gilt die Reform in der Kleinkindbetreuung dennoch als eines der Hauptprojekte von Bildungsminister Claude Meisch. Erst im Februar 2016 verabschiedete das Parlament das Gesetz nach einigen Änderungen, zu denen auch die Öffnung der „Chèques-services“ für Grenzgänger gehört (siehe Kasten). In Meischs Amtszeit wurde zudem der nationale Rahmenplan – eine Art Leitlinie für die Tageseinrichtungen – mit Inhalt gefüllt. Die Idee: Das Kind erschließt sich im Spiel seine Welt selbst, der Erzieher unterstützt es dabei. Das Dokument legt eine Reihe Grundlagen pädagogischer Ziele fest.

„Chèques-service“ auch für Grenzgänger-Kinder

Seit der Rentrée 2016 erhalten auch Grenzgänger Zugang zu den „Chèques-service“, wenn sie ihre Kinder in einer Einrichtung in Luxemburg betreuen lassen. Im Juli 2018 besuchten nach Angaben des Bildungsministeriums 1.763 Kinder im Alter bis 12 Jahre Kindertageseinrichtungen im Großherzogtum. Damit bleiben die Zahlen deutlich unter den Erwartungen des Bildungsministeriums, das vor der Einführung von rund 5.500 Kindern aus dem nahen Ausland ausgegangen war. Die Gutscheine wären auch in Strukturen im Grenzgebiet gültig, wenn sie die luxemburgischen Qualitätsvorgaben einhielten. Solche Kindertagesstätten bestehen bislang allerdings nicht.

Claude Meisch brachte zudem im Herbst 2017 ein obligatorisches mehrsprachiges Programm an den Start. Das heißt: Jede Einrichtung muss sicherstellen, dass mindestens je ein Mitarbeiter Luxemburgisch und Französisch auf hohem Niveau spricht. Zugleich führte die blau-rot-grüne Regierung 20 Stunden kostenloser Kinderbetreuung ein – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die mehrsprachige Betreuung muss die Tagesstätte anbieten, damit ihre Kunden die „Chèques-services“ inklusive der Gratisbetreuung in Anspruch nehmen können.

Wenngleich das Ministerium den Strukturen finanziell bei der multilingualen Bildung unter die Arme greift, ist die Personalsuche dennoch eine Herausforderung – insbesondere für die kommerziellen Einrichtungen. Die Jobs sind hier oft finanziell unattraktiver. Während die konventionierten Strukturen den Tariflohn zahlen, ist dieser bei den privaten keine Pflicht.

Wie strikt können Kontrollen ausfallen?

Auch Kontrollen wurden mit den neuen Qualitätsmaßnahmen eingeführt. 24 Regionalbeauftragte des „Service national de la jeunesse“ (SNJ) überwachen rund 1.500 Einrichtungen für Klein- und Schulkinder. Sie überprüfen vor Ort, ob das Personal nötige Weiterbildungsmaßnahmen absolviert hat und die Tagebücher mit dem Konzept übereinstimmen. Dass die Regionalagenten die Erzieher tagelang in ihrer Arbeit beobachten, dürfen Eltern allerdings nicht erwarten. Die Berichte der Mitarbeiter gehen an das Bildungsministerium, das den Zugang zum System der „Chèques-service“ entziehen kann. Somit müssten Eltern selbst für die Betreuung dort aufkommen – ein klarer Nachteil.

Es werden Fragen bleiben: Was bedeutet es für Kinder, wenn sie lange außer Haus sind? Wie ist es um ihr Wohlbefinden bestellt? Ordnet man alles der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter?“Prof. Sascha Neumann, Universität Luxemburg

Allein als „Kontrolle“ will SNJ-Direktor Georges Metz die Arbeit seiner Beauftragten nicht verstanden wissen, denn sie seien auch beratend tätig. „Es geht uns um die Qualitätsentwicklung“, sagt er. Nur in wenigen Einzelfällen fielen die erstellten Konzepte von Einrichtungen durch. Nach Angaben des Ministeriums wurde bisher noch keiner Tagesstätte die Möglichkeit, über die Dienstleistungsschecks abzurechnen, entzogen.

Das erste Fazit von Georges Metz fällt positiv aus, die Kitas hätten den Sinn hinter den Qualitätsmaßnahmen verstanden: „Sie sagen uns, dass sie es richtig finden, weil ihre Arbeit dadurch aufgewertet wird.“ Wie die Vereinigung Felsea, in der sich rund 75 private Kindertagesstätten zusammengeschlossen haben, die Veränderungen sieht, war bis Veröffentlichung des Beitrags nicht zu erfahren.

Umdenken in der Gesellschaft

Klar ist auch: Der Staat ist auf die Mitwirkung der Privaten angewiesen. Würden sie nicht kooperieren, könnte das Ministerium nur schwer hart durchgreifen, meint Sascha Neumann. „Die Strukturen werden benötigt, um den Bedarf zu decken.“ Er kann sich dennoch vorstellen, dass sich der Markt in den nächsten Jahren bereinigen wird. Denn die Anforderungen, auch hinsichtlich der Mehrsprachigkeit, werde nicht jede Einrichtung erfüllen können: „Das ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Einige kämpfen bereits ums Überleben.“ Ob sich die Leistungen durch das mehrsprachige Konzept für die Ein- bis Vierjährigen später in der Schule verbessern werden und mehr Chancengleichheit bestehen wird, bleibt abzuwarten.

Für Sascha Neumann ist es noch zu früh, die Reformen unter Claude Meisch und ihre Wirksamkeit zu bewerten. Er wird mit seinem Team untersuchen, wie der heterogene Sektor, in dem verschiedene Erziehungstraditionen vorherrschten, das einheitliche Bildungskonzept in der Praxis umsetzt. Generell sieht er aber ein Umdenken, was die starke außerfamiliäre Betreuung in Luxemburg anbelangt. Sie ist mit Öffnungszeiten, die in manchen Einrichtungen von 5 bis 23 Uhr reichen, sehr flexibel. Für Sascha Neumann bleiben Fragen offen: „Was bedeutet es für Kinder, wenn sie lange außer Haus sind? Wie ist es um ihr Wohlbefinden bestellt? Ordnet man alles der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter?“