Obwohl Belgien erst 1830 unabhängig wurde, avancierte sein König Leopold II schnell zu einem der brutalsten Kolonialherren. Während der belgischen Kolonialherrschaft hat sich die Bevölkerung des Kongos halbiert. Bilder von abgehackten Händen stehen heute symbolisch für Belgiens „Kongogreuel“. Ein Überblick.

Als der sogenannte „Wettlauf um Afrika“ Ende des 19. Jahrhunderts begann, war Belgien noch ein junger Staat und keineswegs mit imperialen Großmächten wie Großbritannien und dem deutschen Reiches vergleichbar. Dass Belgien erst 1830 unabhängig wurde, hielt dessen König Leopold I. aber nicht davon ab, sich nach potentiellen Kolonien umzusehen. Er gründete in den 1850er Jahren eigens dazu die „Compagnie belge de colonialisation“.

Später konkretisierte sein Nachfolger Leopold II diese Pläne und förderte gezielte Expeditionen nach Zentralafrika. Besonders interessierte ihn das noch recht unbekannte Kongogebiet, welches der britische Abenteurer Henry Morton Stanley für ihn erforschen sollte. Bei der Expedition schloss Stanley geheime Verträge mit den dortigen Häuptlingen ab, die Leopolds Afrika-Gesellschaft eine Fläche von rund 2.300.000 Quadratkilometern zusicherten.

Sein Vorhaben rechtfertigte der König, wie die meisten Kolonialmächte, mit philanthropischen Argumenten: Sein Ziel sei es, den arabischen Sklavenhandel zu bekämpfen und die „primitiven“ Einwohner zu zivilisieren und zu missionieren. Tatsächlich ging es vielmehr darum, den Kontinent für den europäischen Markt zu öffnen und möglichst billig an Rohstoffe wie Elfenbein und Kautschuk zu kommen.

Leopolds Kongofreistaat

Unter selbigem Vorwand rief der deutsche Reichskanzler Bismarck 1884 zur Kongokonferenz auf, bei der der „Kongofreistaat“, also Matadi und das gesamte Kongobecken, als Privatbesitz von Leopold II. bestätigt wurde. 1919 erhielt Belgien zudem das Mandat über Ruanda-Urundi (heute Ruanda und Burundi).

Leopolds Herrschaft über den Kongo ist insbesondere aufgrund des gewaltvollen Vorgehens der belgischen Beamten und Konzessionsgesellschaften ein Begriff. Schätzungen nach starben während Belgiens Herrschaft über den Kongo rund zehn Millionen Einheimische. Sklaverei wurde lediglich durch Zwangsarbeit ersetzt. Die „Force Publique“, eine von Europäern geführte Söldnertruppe afrikanischer Soldaten, sollte für die innere Ordnung sorgen. Faktisch war ihre Aufgabe aber, die Ausbeutung der Einheimischen zu unterstützen.

„Affaire des mains coupées“

Ab den 1880er Jahren mussten die Einheimischen eine gewisse pro-Kopf-Steuer in Naturalien leisten. Konkret mussten sie eine gewisse Quote an Elfenbein und später Kautschuk liefern. Taten sie das nicht oder wehrten sich, wurden ganze Dörfer niedergebrannt. Oft wurden Frauen und Kinder als Geiseln genommen, um sicherzustellen, dass die Männer ihre Lieferquoten erfüllten. Es kam zu systematischen Vergewaltigungen und Misshandlungen mithilfe der „Chicotte“, einer Peitsche aus Nilpferdhaut.

Heute wird der belgische Kongo vor allem mit Bildern von Einheimischen, oft Kindern, mit abgehackten Händen in Verbindung gebracht. Dem zu Grunde liegt, dass die „Force publique“ belegen musste, dass sie ihre Munition nicht zum Jagen nutzte oder Patronen zurückbehielt: Die Soldaten mussten jede abgefeuerte Kugel mit der abgehackten rechten Hand ihres Opfers belegen. Nutzten die Söldner ihre Munition aber für andere Zwecke, schnitten sie die Hände beliebiger Kongolesen ab.

Rückzug aus den Kolonien

Um die Jahrhundertwende wurden vor allem protestantische und ausländische Missionare auf die Grausamkeiten im Kongofreistaat aufmerksam. 1908 gründeten der britische Journalist Edmund Dene Morel und der Ire Roger Casement die „Congo Reform Association“, die die „Kongogräuel“ umfangreich dokumentierte, fotografierte und international gegen Leopolds Herrschaft protestierte. Auf öffentlichen Druck trat der König den Kongo 1908 an den belgischen Staat ab. Aus dem Freistaat wurde der belgische Kongo. Die Situation in den kolonisierten Gebieten verbesserte sich dadurch aber nur bedingt.

1960 erlangte der Kongo seine Unabhängigkeit. Das belgische Mandat über Ruanda-Urundi endete 1962, als auch die beiden getrennten Staaten Ruanda und Burundi unabhängig wurden. Welchen Einfluss die belgische Kolonialherrschaft bis heute hat, zeigt etwa das Beispiel Ruandas. Indem die belgische Kolonialverwaltung etwa die Trennung zwischen „Hutu“ und „Tutsi“ verfestigte und zur Machtkonsolidierung instrumentalisierte, schürte sie maßgeblich die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen, die 1994 im Genozid gegen die Tutsi gipfelten. Auch im Kongo übte Belgien noch lange nach dessen Unabhängigkeit politischen Einfluss aus, etwa über die Unterstützung des Diktators Mobutus, oder die indirekte Beteiligung am Mord des ersten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba.