Unbezahlte Unterhaltsleistungen tragen zur Armutsgefährdung von Alleinerzieher-Familien bei. Dabei könnte es einfacher gehen: Eine zwischengeschaltete Behörde könnte automatisch die festgelegten Ansprüche auszahlen und auch wieder einfordern.
Anna Fischer* ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Der Vater ihres fünfjährigen Sohnes zahlt keinen Unterhalt. Er hat das Kind nie anerkannt, offiziell hat er nichts mit dem Kind zu tun. Der Vater ihrer zweijährigen Tochter hingegen zahlt jeden Monat 250 Euro, das haben beide Elternteile unter sich so abgemacht.
Zufrieden ist die Mutter mit dieser Situation nicht. Der Vater verdiene 2.000 Euro mehr als sie und habe sogar angedroht, ab Herbst die Zahlungen ganz einzustellen. Wenn es so weit kommt, möchte die alleinerziehende Mutter den Unterhalt gerichtlich einfordern.
So wie Anna geht es auch anderen Müttern und Vätern. Sie bekommen keine Unterhaltsleistungen vom Ex-Partner, obwohl sie den Großteil der Erziehung und somit auch der Kosten übernommen haben. „Wir haben immer wieder Fälle von ausstehenden Unterhaltsleistungen“, sagt Martine Bretz von „Femmes en détresse“.
Armutsrisiko steigt weiter an
Wie viele es genau sind, ist schwer festzustellen. Statistiken gibt es nicht. In Frankreich geht man von einer Zahl zwischen 20 und 40 Prozent aus. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Dunkelziffer in Luxemburg auch relativ hoch ist“, sagt der Ombudsman für die Rechte der Kinder, René Schlechter. Der Fonds National de Solidarité (FNS) fängt zwar theoretisch die Fälle auf, die ihre Forderungen gerichtlich nicht durchsetzen konnten und sich in einer schwierigen ökonomischen Situation befinden. Aber auch mit dieser Maßnahme werden längst nicht alle Betroffenen erreicht.
Die Lage für viele Alleinerziehenden ist und bleibt prekär: Das Armutsrisiko ist erneut um einen Prozentpunkt gestiegen. 46 Prozent sind laut dem neusten Sozialpanorama der Arbeitnehmerkammer von 2018 dem Armutsrisiko ausgesetzt. Alleinerziehende bleiben unbestritten die am stärksten von Armut gefährdete Familienform. Die Kinder aus diesen Haushalten haben ein dreieinhalb Mal höheres Risiko, Benachteiligungen zu erleben.
Konfliktreiche Trennung als Bremse
„Einige Frauen finden sich damit ab oder es arrangiert sie, dass der ehemalige Partner keinen Unterhalt zahlt. Sie wollen einfach keinen Kontakt mehr“, sagt Martine Bretz, Verantwortliche beim Centre pour femmes, familles et familles monoparentales (CFFM). Der Vater soll sich somit auch nicht in das Leben des Nachwuchses einmischen. Dabei warnt René Schlechter davor, Unterhaltszahlungen mit dem Sorge- oder Erziehungsrecht zu verwechseln.
Nur zwischen zwölf und 20 von insgesamt 710 Empfängern von Vorauszahlungen, sind Väter.“Patrick Bissener, Fonds National de Solidarité
Mit dem neuen Gesetz von 2018 und dem damit eingeführten Prinzip der gemeinsamen Erziehungsberechtigung, täten die Elternteile besser daran, ihr Anrecht auf Alimente anzufordern. „Denn Kontakt müssen sie bei wichtigen Entscheidungen sowieso aufnehmen“, sagt die Familienrichterin Alexandra Huberty.
Zuständig für die Erziehung sind momentan größtenteils immer noch Mütter. „Nur zwischen zwölf und 20 von insgesamt 710 Empfängern von Vorauszahlungen, sind Väter“, sagt Patrick Bissener vom Fonds National de Solidarité. Will der Ex-Partner nicht zahlen, stehen etliche administrative Schritte an, bevor der Solidaritätsfonds einspringt.
Administrative Hürden
War das nun getrennte Paar nicht verheiratet, muss nämlich bereits die Forderung nach Unterhalt über das neue Familiengericht festgelegt werden. Aber allein diesen Schritt wagen einige nicht. Oder können ihn nicht wagen, weil der Vater das Kind nie anerkannt hat.
So wie im Falle des Erstgeborenen von Anna Fischer. Der Vater will keinen Kontakt zum Kind. Falls der Vater ihrer Zweijährigen nicht mehr zahlt, kann die junge Mutter einen Brief an das Familiengericht schicken und dieses bestellt dann die Eltern ein, um einen Betrag festzulegen. Zahlt der Vater nicht, muss Anna Fischer den Unterhalt über das Friedensgericht pfänden lassen.
Es stört uns, dass die Bittsteller die ganzen Anstrengungen leisten müssen, indes bleibt das Nichtzahlen ohne Konsequenzen.“Martine Bretz, „Femmes en détresse“
Eigentlich soll das Verfahren sehr einfach sein: kurze Bearbeitungsfristen und die Möglichkeit, ohne Anwalt auszukommen. An diesem Punkt kann es aber bereits scheitern: Einen Brief an das Gericht aufzustellen – allein das ist für viele Betroffene ein Kraftakt.
Wer es dennoch bis ins Sitzungszimmer der Familienrichter schafft, kann zumindest mit der Festlegung eines Betrages rechnen. Der Unterhaltsanspruch wird nach verschiedenen Parametern und mit einer Dreisatzrechnung festgelegt: dem Gehalt der beiden Elternteile. Oberste Priorität haben allerdings die Bedürfnisse des Kindes. Diese werden in der Regel um die 700 Euro (Kindergeld einbezogen) beziffert, so die Familienrichterin.
Keine Sanktionen für Nichtzahler
Ausstehende Unterhaltszahlungen müssen über das zuständige Friedensgericht eingefordert werden. Ein Schritt, der angesichts der oft komplizierten Trennungen nicht zu unterschätzen ist. Anschließend erst ist ein Antrag beim Solidaritätsfonds möglich.
Bei Nichtzahlen können die vom Gericht festgelegten Leistungen über eine Pfändung an die Bittsteller gelangen. 396 neue Fälle gab es 2018 in den luxemburgischen Friedensgerichten. Pfändungen sind aber nur möglich, wenn der oder die zu Pfändenden auch einen Lohn beziehen. Freiberufler gehören nicht in diese Kategorie. „Es stört uns, dass die Bittsteller die ganzen Anstrengungen leisten müssen, indessen bleibt das Nichtzahlen ohne Konsequenzen“, sagt Martine Bretz.
Zahlt der Ex-Partner trotz Gerichtsentscheid immer noch keinen Unterhalt, liegen meist zwei Ursachen vor: Entweder ist nichts vorhanden, das man pfänden könnte. Oder der ehemalige Partner hält sich mittlerweile im Ausland auf. Letzteres sei des Öfteren der Fall, sagt Patrick Bissener vom Fonds National de Solidarité.
Der Fonds National de Solidarité als Puffer
Die Geschichte von Anna Fischer könnte so weiter gehen: Der Vater ihrer Tochter ist ins Ausland umgezogen und die Pfändung greift trotz europäischem Abkommen nicht. Dann bleibt der Alleinerzieherin immer noch die Option, den Unterhalt über den Fonds National de Solidarité zu beziehen, aber nur wenn das Gesamteinkommen 6.500 Euro nicht übersteigt.
Der FNS streckt die Unterhaltsansprüche, die von einem Familiengericht festgelegt wurden in seiner ganzen Höhe vor, vorausgesetzt die Gesamtsumme erstreckt sich nicht über den REVIS-Betrag und der potentielle Empfänger erfüllt die Bedingungen. Anschließend klagt der FNS die vorgestreckte Summer beim Ex-Partner ein.
Die Streitigkeiten um den Unterhalt vergiften viele Beziehungen.“René Schlechter, Ombudsman für die Rechte der Kinder
Ende 2018 gab es 710 Vorauszahlungen. 2008 waren es nur um die 350. Dabei ist nicht klar, ob tatsächlich weniger Alimente gezahlt werden oder ob sich die Betroffenen vermehrt beim FNS melden. Hinzu kommen für 2018 142 Fälle, die vom FNS nicht zurückbehalten wurden. Und 99, die noch in der Untersuchungsphase sind. Sei es, weil das Dossier nicht komplett war oder weil verschiedene Bedingungen nicht erfüllt waren.
Das Beispiel Québec: Garantie auf Unterhalt
Dabei hat das luxemburgische System die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft: In der kanadischen Region Québec zahlt eine Behörde die Unterhaltszahlungen aus und sorgt dann selber für deren Eintreibung. Ähnlich wie es in Luxemburg der FNS macht – mit dem Unterschied, dass dies dort automatisch erfolgt, also im Regelfall über die Behörde läuft. Ohne vorherige juristische Schritte und ohne administrative Behördengänge. Außerdem drohen den Nichtzahlenden empfindliche Sanktionen.
Für ein solches System spricht auch die Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern: „Die Streitigkeiten um den Unterhalt vergiften viele Beziehungen“, sagt René Schlechter, der sich als Ombudsman für Kinderrechte vor allem um das Wohlergehen der Kinder sorgt. Eine zwischengeschaltete Autorität mache in seinen Augen durchaus Sinn.
Immer noch keine Tabelle
Unbezahlte Beiträge sind in den Augen der Beratungsstelle von Femme en détresse jedoch nicht das einzige Problem. Eine Tabelle mit festgelegten Summen könnte dazu führen, dass ohne Gericht verhandelte Unterhaltszahlungen höher ausfallen. Und vor allem, dass das Thema in der Öffentlichkeit diskutiert würde. Dies sei dringend notwendig, heißt es seitens der Beratungsstelle.
In Deutschland sorgt die „Düsseldorfer Tabelle“ seit 50 Jahren für Orientierungshilfe. Die Beträge haben zwar keine gesetzliche Gültigkeit, dennoch bieten sie sowohl den Gerichten als auch den Betroffenen selbst eine gewisse Transparenz.
Statt einem Beitrag von 250 Euro müsste der Vater von Anna Fischers Tochter bei einem Gehalt um die 5.000 Euro für ein Kind unter fünf Jahren in Deutschland laut Tabelle 539 Euro zahlen. Bei Gehältern bis zu 1.900 Euro netto würde das Minimum von 354 Euro fällig. Von dieser Summe wird aber wiederum die Hälfte des Kindergeldes abgezogen.
Ein angemessener Unterhalt wäre für Anna Fischers Familie ein Anfang. Im Kampf gegen die anhaltende Prekarität von Alleinerziehern wäre er zudem ein wichtiger Schritt.
*Der Name wurde vun der Redaktion geändert.