Aung San Suu Kyi, einstige Freiheitsheldin aus Myanmar, sucht seit Neuestem die Nähe der europäischen Rechten. Mit Ungarns Premier Viktor Orban schürt sie heute gemeinsam die Angst vor muslimischer Immigration. Wie konnte es so weit kommen? Eine Analyse.
Wie man sich doch täuschen kann. Im Bestreben des Westens, Demokratiebewegungen in der Welt zu stützen und zu befördern, gibt es wohl kein größeres Missverständnis als dieses. Myanmars Regierungschefin Aung San Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin aus dem Jahre 1991, hat sich in den letzten Jahren als Beihelferin eines der größten Völkermorde des 21. Jahrhunderts entpuppt. Gleichzeitig sucht sie weltweit Verbündete im Kampf gegen die vermeintliche Gefahr, die global von einer „wachsenden muslimischen Bevölkerung“ ausgehe.
Dabei sah doch der Werdegang der „Dame“, wie sie im Westen bekannt war, lange sehr vielversprechend aus: Die heute 73-Jährige verbrachte zwischen 1989 und 2010 über 15 Jahre unter Hausarrest, verordnet durch ein Militärregime, das sich in seiner absoluten Macht bedroht sah. Aung San Suu Kyi wurde zum internationalen Symbol des gewaltlosen Widerstands im Angesicht einer unterdrückerischen Übermacht – fast eine Art südostasiatischer Gandhi.
Fünf Jahre nach ihrer Freilassung erzielte Aung San Suu Kyis Partei, die „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD), einen überwältigenden Sieg bei den ersten demokratischen Wahlen in Myanmar seit 25 Jahren. Heute trägt die Politikerin den offiziellen Titel „state counselor“, da sie nach der Verfassung ihres Landes als Mutter zweier ausländischer Staatsbürger nicht das Präsidentenamt bekleiden darf.
Systematische Diskriminierung von Muslimen
Doch das Leid der Rohingya, einer muslimischen Minderheit im westburmesischen Bundesstaat Rakhine, warf bereits im zweiten Jahr ihrer Amtszeit seinen Schatten voraus. Heute wird Aung San Suu Kyi vorgeworfen, dass sie eine Mitverantwortung an jenen Geschehnissen des Jahres 2017 habe, die die UNO als Völkermord einstuft.
Dass Aung San Suu Kyi zu all dem schwieg und den Militärs freie Hand ließ, ja sie sogar verteidigte, zerstörte für viele das Image der demokratischen Freiheitsheldin. Bei Amnesty International führte dies dazu, Aung San Suu Kyi die höchste Ehre der Organisation, den „Botschafter des Gewissens“-Preis zu entziehen, was Generalsekretär Kumi Naidoo mit deutlichen Worten begründete: „Heute sind wir zutiefst bestürzt, dass du kein Symbol der Hoffnung, des Muts und der unvergänglichen Verteidigung von Menschenrechten mehr bist.“
Im Zuge ihrer Passivität inmitten des Rohingya-Mordens zeigte sich Aung San Suu Kyi auch immer mehr als autokratische Machtpolitikerin. Sie ließ Kritik an sich abprallen und schickte in den letzten Jahren über drei Dutzend investigative Journalisten ins Gefängnis. Zwei davon waren Reuters-Reporter, die Polizeidokumente zu den Morden an den Rohingyas veröffentlicht hatten und anschließend beschuldigt wurden, die nationale Sicherheit in Gefahr zu bringen. Die Inhaftierung rief weltweite Empörung hervor. Seit Mai sind die Journalisten zwar wieder auf freiem Fuß, eine Änderung der pressefeindlichen Politik scheint dadurch jedoch nicht in Sicht.
Eigentümliche Allianzen mit Europas Rechten
Vor dem Hintergrund einer solchen Politik sollte nicht überraschen, dass nun auch eigentümliche Allianzen geschmiedet werden. Anfang Juni reiste Aung San Suu Kyi nach Budapest um jenen Mann zu treffen, der wie kein anderer die aufstrebende Rechte in Europa verkörpert: Viktor Orban, Premierminister Ungarns seit 2010, der sein Land in den letzten Jahren auf den Pfad eines faktischen Einparteienstaats geführt hat — so sehr kontrolliert seine Partei „Fidesz“ inzwischen den Staatsapparat sowie Wirtschaft und Medien.
2015, im selben Jahr als Aung San Suu Kyi die Geschicke Myanmars übernahm, rief Orban in seinem Land eine „Krisensituation aufgrund von Masseneinwanderung“ aus. Seitdem spielt der Ungar konsequent mit den Ängsten in der Bevölkerung und avancierte auch auf europäischer Ebene zum berüchtigten Populisten.

Die Erklärung der beiden Regierungschefs in Budapest hatte schließlich folgenden Wortlaut: „Die beiden Führer betonten, dass eine der größten Herausforderungen beider Länder und für die jeweiligen Regionen – Südostasien und Europa – Einwanderung ist. Sie bemerkten, dass beide Regionen das Aufkommen des Themas des Zusammenlebens mit beständig anwachsenden muslimischen Bevölkerungen ins Auge gefasst haben.“
Entfernung von den einstigen Idealen und Werten
Die Fakten zeigen jedoch, dass weder in Ungarn noch in Myanmar eine Invasion durch muslimische Einwanderer droht – im Gegenteil. Ungarn hat mit weniger als einem halben Prozent (Vergleich Deutschland: schätzungsweise sechs Prozent) eine verschwindend geringe muslimische Bevölkerung und hat sich seit der sogenannten Flüchtlingskrise vehement gegen neue Einwanderung gestemmt. In Myanmar wächst die muslimische Bevölkerung ebenfalls nicht, sondern tatsächlich mussten Hunderttausende Muslime das Land verlassen — gebrandmarkt als bangladeschische Immigranten, obwohl sie bereits seit Generationen burmesische Bürger sind.
Fraglich, welche Ziele die beiden Politiker mit einer Allianz zwischen den beiden sonst nicht gerade stark verbundenen Ländern bezwecken wollen. Für Aung San Suu Kyi war die Reise der Versuch, in Europa überhaupt noch Freunde zu finden — ein Empfang bei den einstigen wohlgesinnten Förderern in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien wäre schon länger nicht mehr denkbar. Dabei sehnt sich die einstige Demokratie-Ikone danach, wieder hofiert zu werden.
Wie es offiziell heißt, habe die burmesische Führerin mit ihrer Visite, die auch nach Tschechien führte, die Wirtschaftsbeziehungen ihres Landes in Mitteleuropa stärken wollen. Beim Rest Europas kam das Treffen mit Orban jedoch überhaupt nicht gut an. Durch ihren Schulterschluss mit dem auch innerhalb der EU zunehmend isolierten ungarischen Premier dürfte das Bild der einstigen Friedens- und Freiheitskämpferin vollends verblasst sein.