Am 1. Januar treten neue Regeln in Kraft, die die Steuervermeidung von Konzernen verhindern sollen. Doch was bedeutet diese Umsetzung der sogenannten Atad-Richtlinie für die Luxemburger Wirtschaft und um was geht es genau? Zehn Fragen und Antworten.
Am 17. Dezember 2018 nahm das Parlament den Gesetzestext an, mit dem Luxemburg die Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (anti tax avoidance directive – kurz Atad) umsetzt. Die neuen Regeln sind eine „späte Antwort auf Luxleaks“, wie es der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot formulierte.
Um was geht es?
Die Atad-Richtlinie hat als Ziel, viel genutzte Schlupflöcher zur Steuervermeidung zu schließen. Kurz gesagt: Die neuen Regeln sollen sicherstellen, dass die Gewinne von Konzernen, die in mehreren Ländern tätig sind, auch tatsächlich besteuert werden. Dazu wird etwa eine generelle Anti-Missbrauchs-Regel eingeführt. Das heißt, dass alle Aktivitäten eines Unternehmens einen wirtschaftlichen Grund haben müssen und nicht ausschließlich dazu dienen dürfen, Steuern zu sparen. Diese Regel ist in Luxemburg nicht neu, wird aber jetzt wohl genauer beachtet. Eine weitere Maßnahme ist die sogenannte Zinsschranke. Kredite zwischen Tochterunternehmen werden oft genutzt, um Gewinne von einem Land in ein anderes zu verlagern und die Zinsen von den Steuern abzuhalten. Das wird nun begrenzt.
Warum braucht es neue Regeln?
Die Steuervermeidung hat ein enormes Ausmaß angenommen. Die EU-Länder verlieren dadurch fast ein Fünftel ihrer Einnahmen an Unternehmenssteuern, schätzen Forscher rund um den französischen Ökonomen Gabriel Zucman. 2015 flossen weltweit 40 Prozent der Gewinne von Konzernen in sogenannte Steuerparadiese – darunter auch Luxemburg. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 waren immer weniger Länder bereit, diesem Spiel tatenlos zuzuschauen.
Was hat das mit Luxleaks zu tun?
Die Veröffentlichung tausender Dokumente durch das Journalistenkonsortium ICIJ gab einen tiefen Einblick in die Steuerkonstrukte von Konzernen. Luxleaks war damit ein Lehrstück, wie weit verbreitet Steuervermeidung ist und welche Rolle Luxemburg dabei spielt. Außerdem erhöhte der Skandal den Druck auf die Politik, zu handeln. Allerdings zeigten die Luxleaks-Dokumente einen Zustand, der laut Luxemburger Experten bereits 2014 nicht mehr bestand. Die Rulings waren mehrere Jahre zuvor abgeschlossen worden, die Steuerverwaltung war aber inzwischen strenger geworden. Klar ist aber: Mit den neuen Regeln wären die in Luxleaks offengelegten Steuersparmodelle nicht mehr möglich.
Wie wirksam sind die neuen Regeln?
Das wird sich erst zeigen müssen. Experten gehen allerdings davon aus, dass die Konzerne sich werden anpassen müssen. Die ersten Anzeichen für Veränderungen in den Strukturen mancher Unternehmen zeigen sich bereits – ein deutlicher Hinweis, dass die Maßnahmen ernst genommen werden. Allerdings ist die Atad-Richtlinie ein komplexes Werk und es ist nicht ausgeschlossen, dass findige Steuerberater neue Schlupflöcher ausmachen. Da diese Vorgaben aber im ganzen OECD-Raum gelten, wird dies schwierig.
Welche Folgen hat das für Luxemburg?
Die Konsequenzen sind enorm. Denn auch wenn sie meist das Gegenteil behaupten, sind zahlreiche Konzerne vor allem aus steuerlichen Gründen in Luxemburg. Politische Stabilität, Sprachenvielfalt und das „Triple A“ sind sekundär. Es sind vor allem Argumente, um sich gegenüber Steuerverwaltungen anderer Länder zu rechtfertigen. Seit den 2000er Jahren verfolgten die wechselnden Regierungen die sogenannte „Headquarter“-Strategie: Konzerne sollten von Luxemburg aus ihr Europa-Geschäft organisieren. Steuern mussten sie nur minimal zahlen. Einkünfte für den Staat garantierte die üppige Beraterindustrie, die sich rund um diese Aktivität entwickelte. Dieses Ökosystem von tausenden Arbeitsplätzen und hohen Gewinnen steht langfristig auf dem Spiel.
Wie wirken sich die neuen Regeln auf den Staatshaushalt aus?
Finanzminister Pierre Gramegna hat darauf keine Antwort. Er versprach den Abgeordneten, dass die Steuerverwaltung prüfen werde, ob eine Schätzung möglich ist. Die Experten des „Comité économique et financier“ schätzen das Risiko hoch ein und gehen von weitreichenden Folgen aus. Ein Grund ist, dass 2017 lediglich 0,84 Prozent der Unternehmen rund drei Viertel der Körperschaftssteuer zahlten. Verliert Luxemburg nur einige von ihnen, schmerzt das. Auf der Gegenseite zahlen die Unternehmen, die bleiben, mehr Steuern. Ob sich beide Tendenzen ausgleichen, ist die entscheidende Frage.
Warum hat die Regierung sich nicht gewehrt?
Ab 2013 war Luxemburg regelmäßig in der Kritik wegen mangelhafter Transparenz in Steuerfragen. Im November 2013 setzte ein OECD-Gremium Luxemburg auf eine „schwarze Liste“ von Ländern, die die Regeln nicht respektierten. Der Druck auf die damals frisch gewählte blau-rot-grüne Regierung war enorm. Es ging um die Abschaffung des Steuergeheimnisses, aber gleichzeitig stimmte die Regierung dem Kampf gegen Steuervermeidung von Konzernen zu. Die EU-Regeln haben das Beps-Projekt der OECD zur Grundlage. Die Abkürzung Beps steht für Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), also die Aushöhlung steuerlicher Bemessungsgrundlagen und das grenzüberschreitende Verschieben von Gewinnen durch multinationale Konzerne. Luxemburg war an den Verhandlungen zu Beps beteiligt. Spätestens nach dem Luxleaks-Skandal im November 2014 hatte das Großherzogtum kaum eine andere Wahl als den Vorschlägen der EU-Kommission zuzustimmen. Der Trostpreis ist, dass die Regeln in allen entwickelten Industrieländern gleich sein werden. Das war und ist eine wichtige Voraussetzung für Luxemburg – das berühmte level playing field.
Was sagen die Unternehmen?
Ihre Begeisterung hält sich gelinde gesagt in Grenzen. Das ist nicht überraschend, denn den internationalen Unternehmen droht eine deutlich höhere Rechnung vom Steueramt. Dass die Konstrukte zur Steuervermeidung aus dem Ruder gelaufen waren, sehen viele Wirtschaftsvertreter ein. Gerade in den Verbänden glauben allerdings manche, Atad sei eine Verschwörung großer Länder gegen Luxemburg. Die Experten stört jedoch vor allem, dass niemand weiß, wie die neuen Regeln im Detail umgesetzt werden. Sie einzuhalten, ist sehr kompliziert. Die Maßnahmen wurden in das bestehende Steuerrecht eingeschoben, ohne dass sich um die Kohärenz der Gesetzestexte gekümmert wurde. Das kritisiert etwa die Handelskammer.
Wie wichtig ist das Steuerargument für Unternehmen, die Luxemburg anziehen will?
Auf diese Frage gibt es sehr unterschiedliche Antworten. Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) sagt, ihm werde die Frage nach Steuervorteilen fast nie gestellt. Tatsächlich ist das etwa für Industriebetriebe nicht relevant. Da sie selten hohe Gewinne einfahren und viel investieren, zahlen sie kaum Steuern. Anders ist die Lage bei Konzernen, die in Luxemburg ihren europäischen Hauptsitz haben. Die neuen Regeln machen es schwieriger und teurer, die Gewinne aus anderen Ländern hier zu sammeln. Sie müssten möglicherweise deutlich mehr Steuern in Luxemburg zahlen. Das Risiko besteht demnach, dass sie sich entscheiden, das Land zu verlassen. Das Gegenargument: Die Bedingungen sind anderswo die gleichen, bis auf den Steuersatz.
Könnte man nicht den Steuersatz senken, um attraktiv zu bleiben?
Genau das fordern die Wirtschaftsvertreter. Luxemburg hat seit Jahren einen vergleichsweise hohen Steuersatz für Unternehmen. Doch bisher gab es zahlreiche Steuernischen, die dazu führten, dass die Firmen am Ende deutlich weniger zahlten. Da diese Schlupflöcher nun verschwinden, verlagert sich die Konkurrenz auf den „taux d’affichage“. Luxemburg hat bereits die Besteuerung von 29 auf 26 Prozent gesenkt, 2019 sollen es schließlich 25 Prozent werden. Im Koalitionsabkommen verspricht Blau-Rot-Grün, die Steuern weiter zu senken, sollten die neuen Regeln dazu führen, dass Unternehmen deutlich mehr zahlen müssten. Allerdings wird das auch davon abhängen, wie viele Konzerne Luxemburg verlassen und wie sich die Einnahmen entwickeln. Sprich: Ob sich die Regierung eine weitere Steuerreform wird leisten können.