Die Affäre um die sogenannten „Chamberleaks“ geht in die nächste Runde. Nach der angeordneten Hausdurchsuchung bei „Radio 100,7“ wurden nun mit Jean-Claude Franck und Claude Biver zwei Journalisten von der Kriminalpolizei vorgeladen und verhört – als Verdächtige.
Die Hausdurchsuchung bei „Radio 100,7“ vor rund zwei Wochen sollte nicht die letzte Etappe der Untersuchung der sogenannten „Chamberleaks“-Affäre sein. Laut REPORTER-Informationen wurden diese Woche 100,7-Chefredakteur Jean-Claude Franck und 100,7-Journalist Claude Biver von der Kriminalpolizei verhört. Und zwar nicht als Zeugen. Sie gelten in der Untersuchung der Staatsanwaltschaft offiziell als Verdächtige. Dies bestätigte eine Justizsprecherin auf Nachfrage von REPORTER.
Die Vernehmungen wurden von der für neue Technologien zuständigen Abteilung der Kriminalpolizei geleitet. Schon am 15. Mai waren Beamte der Abteilung beim öffentlich-rechtlichen Radiosender vorstellig geworden, um eine von einem Untersuchungsrichter angeordnete Hausdurchsuchung durchzuführen. Wie es „Radio 100,7“ selbst dokumentierte, sei es aber weder zu einer formalen Durchsuchung noch zu einer Beschlagnahmung gekommen. Chefredakteur Jean-Claude Franck sagte den Beamten, dass alle Dokumente bereits gelöscht worden seien. In Justizkreisen ist demnach von einer „Hausdurchsuchung, die keine war“ die Rede.
Die Geschichte eines folgenreichen Leaks
Der Hintergrund: „Radio 100,7“ hatte Anfang März eine weitreichende Sicherheitslücke auf der Webseite der Abgeordnetenkammer enthüllt. Eine Reihe von nur für den internen Gebrauch des Parlaments bestimmten Dokumenten waren über die Internetadresse der Chamber frei zugänglich – darunter vertrauliche Protokolle des Chamber-Bureau und des Geheimdienstkontrollausschusses sowie persönliche Daten von Bewerbern auf ausgeschriebene Posten.
Um das Leck offen zu legen, nahmen die Journalisten einen sogenannten Download-Manager zu Hilfe, mit dem sie alle frei zugänglichen Dokumente bzw. Dateien automatisiert herunterladen konnten. Mehr sei nicht nötig gewesen, beteuerten Jean-Claude Franck und Claude Biver seitdem mehrmals. Von einem „Eindringen“ („intrusion“) in das informatische System des Parlaments, wie es vonseiten der Abgeordnetenkammer formuliert wurde, könne keine Rede sein.
Auf das Leck wurden die Journalisten laut eigener Aussage zudem nicht von sich aus aufmerksam, sondern durch einen Tweet eines Dritten, der ein nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Dokument über die Finanzierung des luxemburgischen Geheimdienstes SRE enthielt. Da nicht auszuschließen ist, dass noch weitere Personen Zugang zu den verfügbaren Dokumenten hatten, richtet sich die Anzeige des Parlaments neben den beiden Journalisten auch gegen Unbekannt.
Letztlich informierten Franck und Biver vor der Enthüllung am 7. März auch den Parlamentspräsidenten Mars Di Bartolomeo (LSAP) über die Angelegenheit. Die beiden Journalisten haben ihre Vorgehensweise selbst im Detail dokumentiert.
Verantwortung des Parlaments kein Thema
Das Parlament war demnach ebenso wie andere staatliche Stellen bereits vor der journalistischen Enthüllung im Bilde. So informierte der Informatik-Notdienst GovCERT bereits nach dem Auftauchen des besagten Tweets am 6. März die Geheimdienstchefin Doris Woltz, die wiederum mit Parlamentsmitarbeitern in Kontakt trat. Die Information reichte dem Vernehmen nach aber nicht bis an die Spitze der Parlamentsverwaltung, denn als der Chamber-Präsident am Tag darauf von den Journalisten auf das Leck aufmerksam gemacht wurde, zeigte sich dieser überrascht.
Auch behauptete die Parlamentsverwaltung, dass es die gleiche Sicherheitslücke bereits im Jahre 2015 gegeben habe, womit sich die Frage stellt, warum das Problem seitdem nicht behoben werden konnte. Wie es aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, verweigerte sich die Parlamentsverwaltung schon in der Vergangenheit einer Kooperation mit den auf Informationssicherheit spezialisierten staatlichen Diensten. Ob seit dem „Leak“ zudem alles unternommen wurde, um das Problem dauerhaft zu beheben bzw. den informatischen Dienst der Chamber neu aufzustellen, darf laut internen Quellen im Parlament auch bezweifelt werden.
Überhaupt steht die Verantwortung und eine eventuelle Fahrlässigkeit des Parlaments bisher weniger im Fokus der „Affäre“. Ein Verstoß gegen die Gesetzgebung zum Datenschutz steht allerdings im Raum. Wie „Radio 100,7“ berichtete, hat die nationale Datenschutzkommission in dieser Sache bereits eine Untersuchung wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Recht auf Privatsphäre eingeleitet.
Fest steht: Erst durch die Berichterstattung in den Medien wurde das Parlament dieses Mal überhaupt tätig. Neben der Behebung des technischen Problems gingen die Verantwortlichen aber auch prompt öffentlich gegen die Journalisten vor. Zunächst mit einem wenig subtilen Appell an deren Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit den Dokumenten und den journalistischen „Verhaltenskodex“. Bald darauf mit dem unmissverständlichen Hinweis, dass es sich um eine „bewusste und gezielte Manipulation“ gehandelt habe, um sich „nicht-autorisierten Zugang zu internen Dokumenten“ zu verschaffen. Und schließlich mittels Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.
Einschüchterung und angedrohte Strafen
Die juristische Untersuchung soll nun klären, um was es sich beim „Leak“ letztlich handelte. Zudem soll festgestellt werden, ob und welche Dokumente des parlamentarischen Betriebs öffentlich wurden, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Dies ist denn auch mittlerweile die offizielle Argumentation der vier großen Parteien im Parlament (CSV, LSAP, DP und Déi Gréng), deren Fraktionsvorsitzende sich einstimmig für die entsprechende Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ausgesprochen hatten.
Jean-Claude Franck sprach bereits vor dieser Phase der juristischen Untersuchung von einem „sehr schlimmen“ Vorgang. Die Vorgehensweise des Parlaments verstehe er „ganz klar als Einschüchterung“ seines Mediums und seiner journalistischen Arbeit, so der Chefredakteur von „Radio 100,7“. Ebenso pocht Franck seit der Enthüllung vom März darauf, dass es ihm um die Aufdeckung der Sicherheitslücke an sich gegangen sei. Seine Redaktion sei mit den aufgefundenen Dokumenten stets verantwortungsvoll umgegangen. Bisher sind denn auch noch keine wirklich brisanten Details aus dem parlamentarischen Betrieb veröffentlicht worden.
Für die Präsidentin des Luxemburger Presserats, Ines Kurschat, ist das Verhör der beiden Journalisten in der juristischen Logik der laufenden Untersuchung zwar nachvollziehbar. Gleichzeitig bezeichnet sie die Tatsache, dass die Justiz einseitig gegen die Journalisten ermittelt als „bedenklich“. Von der Untersuchung erwarte sie sich demnach auch Klarheit bezüglich eines eventuellen Fehlverhaltens des Parlaments. Die aufgedeckte Sicherheitslücke sei jedenfalls keine Kleinigkeit, es gehe schließlich um den Schutz der Privatsphäre und womöglich auch um die Sicherheit von Staatsgeheimnissen, so die Journalistin im Gespräch mit REPORTER.
Was haben die verdächtigten Journalisten zu befürchten? Über Details und den Fortgang der laufenden Untersuchung könne man zum aktuellen Zeitpunkt keine weiteren Aussagen machen, sagt eine Justizsprecherin auf Nachfrage von REPORTER. Ebenso bleibt hier die Frage nach einer möglichen Untersuchung gegen das Parlament unbeantwortet.
Den beiden Journalisten wird übrigens Betrug („fraude informatique“) und Datendiebstahl („vol de données électroniques“) vorgeworfen. Die für die Tatbestände angedrohten Strafen belaufen sich laut Strafgesetzbuch in Luxemburg auf bis zu zwei Jahre Haft bzw. bis zu 25.000 Euro Geldstrafe.