Das Leben von Matthieu und Cyril hat sich im Mai 2017 grundlegend verändert: Die beiden wurden Väter. Damit sind sie das erste homosexuelle Paar in Luxemburg, das ein Kind adoptiert hat. Möglich gemacht hat das ein Gesetz aus dem Jahr 2015.

Frédéric steht bereit und hält kurz inne, bevor er sich von Matthieu und Cyril in die Luft schwingen lässt. Kaum wieder mit seinen kleinen Füßen auf dem Boden gelandet, will er gleich wieder hochgehoben werden. Die beiden Männer spielen geduldig mit, ziehen den Jungen an den Händen in die Höhe. Einmal, zweimal, dreimal, viermal.

Frédéric, Cyril und Matthieu haben bereits viel zusammen erlebt. Dabei ist er gerade einmal zweieinhalb Jahre alt. Geboren wurde er in Südafrika. Die Mutter verließ kurz nach der Geburt das Krankenhaus, bis heute fehlt jede Spur von ihr. Frédéric, der damals noch Emson hieß, kam daraufhin in ein Kinderheim in Johannisburg. Dort lernte er im Mai 2017 schließlich Matthieu und Cyril kennen. Seine beiden Väter.

Als Familie in Luxemburg angekommen

Matthieu Lemaire und Cyril Geldreich haben im Jahr 2015 geheiratet und sind in Luxemburg das erste homosexuelle Paar, das ein Kind adoptiert hat.

Frédéric ist ein absolutes Wunschkind. Dennoch können die Männer die erste Begegnung mit ihrem Sohn nur schwer in Worte fassen. Wohl auch deshalb, weil sie von einem Moment auf den nächsten Eltern geworden sind. „Es war emotional und gleichzeitig ungewohnt – wir mussten uns gegenseitig erst einmal kennenlernen“, schildert Cyril den Moment.

Einen Monat lang verbringen Cyril und Matthieu in Südafrika und durchlaufen etliche Verfahren, um Frédéric am Ende mit nach Hause nehmen zu können. Vom Gerichtstermin, der die Adoption offiziell macht, über eine Pass- und Visumsanfrage, ist die Reise mit Formalitäten gefüllt.

Wir wussten, dass wir es geschafft hatten und mit unserem Kind zu Hause angekommen sind. Uns wurde klar, dass wir ab jetzt zu dritt sein werden.“Cyril Geldreich

Eine aufregende Zeit – aber auch stressig und irgendwie „surreal“, wie Matthieu sagt. Zu Vätern wurden sie erst, als sie in Luxemburg gelandet sind – wo Familie und Freunde auf sie warteten. „Dieser Moment hat etwas verändert. Wir wussten, dass wir es geschafft hatten und mit unserem Kind zu Hause angekommen sind. Uns wurde klar, dass wir ab jetzt zu dritt sein werden“, so Cyril.

Volladoption für alle ermöglichen

Dass Matthieu und Cyril ihren Sohn überhaupt adoptieren konnten, haben sie einem Gesetz zu verdanken, das im Juni 2014 vom Parlament angenommen wurde und im Januar 2015 in Kraft trat. Damals wurde die Ehe für alle in Luxemburg eingeführt – und damit auch ihr Adoptionsrecht. Der Gesetzentwurf stammt noch aus der Feder von Ex-Justizminister François Biltgen (CSV), beschlossen wurde der Text aber erst unter seinem Nachfolger Felix Braz (Déi Gréng).

Der Umsetzungsprozess geriet ins Stocken, weil die CSV die Frage nach der Volladoption, die an das Ehegesetz gekoppelt war, für Homosexuelle ausschließen wollte. Sie wollte lediglich die Option einer einfachen Adoption bieten. Der Staatsrat sprach sich im Jahr 2013 gegen diesen Punkt im Gesetzentwurf aus. Er würde gegen das Gleichheitsprinzip des Artikels 10bis in der Verfassung sowie gegen den Artikel 14 der europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, hieß es damals.

Volladoption und einfache Adoption – was sind die Unterschiede?

Volladoption: Nur für Ehepaare möglich (bei luxemburgischer Staatsangehörigkeit). Das zu adoptierende Kind muss jünger als 16 und die Eltern mindestens 25 und 21 Jahre alt sein. Außerdem müssen sie mindestens 15 Jahre älter als das Kind sein. Eine Volladoption ist unwiderruflich und ersetzt die ursprüngliche Abstammung. Kindern, die durch eine Volladoption aufgenommen werden, stehen die gleichen Rechte und Pflichten zu, wie leiblichen Kindern.

Einfache Adoption: Anders als bei der Volladoption bleibt hier die ursprüngliche Abstammung bestehen. Das adoptierte Kind erhält die gleichen Erbansprüche wie das leibliche Kind. Eine einfache Adoption kann von jeder Person über 25 Jahre beantragt werden. Anders als eine Volladoption kann eine einfache Adoption widerrufen werden.

Daraufhin hat die parlamentarische Justizkommission den Punkt schließlich aus dem Entwurf gestrichen. „Juristisch gesehen, hatten wir keine andere Möglichkeit“, sagte Paul-Henri Meyers (CSV) 2014 im Parlament.

Viele Prozeduren, lange Wartezeiten

Kaum war das Gesetz verabschiedet, begannen Matthieu und Cyril sich über Adoptionsmöglichkeiten zu informieren. Noch im Januar 2015 nahmen sie am „Kurs zur Vorbereitung auf die Adoption“ teil. Dieser wird vom Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend organisiert und ist für alle obligatorisch, die sich für eine Adoption interessieren. Bei einem zweiten Kurs waren auch die drei in Luxemburg zugelassenen Adoptionsstellen vertreten: der Verein Amicale Internationale d’Aide à l’Enfance(AIAE) (für Vermittlungen von Kindern aus Südkorea, Indien und Vietnam), die Adoptionsstelle des Roten Kreuzes (für Bulgarien, Burkina Faso, Portugal, Slowakei und Luxemburg) sowie die Naledi asbl (für Südafrika). Zurückbehalten wurde ihr Dossier schließlich bei Naledi.

In Luxemburg können homosexuelle Paare zur Zeit nur Kinder aus Südafrika adoptieren – weil dort die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ebenfalls legal ist.“Suzette Nies

Es folgen Gespräche mit Psychologen und Sozialarbeitern, medizinische Gutachten wurden erstellt, Auszüge aus dem Strafregister eingereicht, eine gerichtliche Bescheinigung zur Adoptionsfähigkeit angefragt.

Viele Prozeduren, lange Wartezeiten – bei einer Adoption führt kein Weg daran vorbei. Auch Matthieu und Cyril haben sich rund zwei Jahre gedulden müssen, bis sie Frédéric in den Armen halten konnten. Ansonsten sei aber alles reibungslos verlaufen, sagen die beiden.

(Foto: Matic Zorman)

Das Adoptionsverfahren ist für jedes Paar gleich – egal ob homo- oder heterosexuell. Die Abläufe richten sich nach dem Haager Abkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption. Es wurde im Jahr 1993 beschlossen und ist seit 2002 auch in Luxemburg rechtsgültig.

Das Abkommen will sicherstellen, dass Adoptionen zum Wohl des Kindes stattfinden und dass Adoptiveltern die nötigen Qualifikationen aufweisen. „Es vereint sozusagen die Basisregeln von internationalen Adoptionen“, sagt Suzette Nies vom Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend. Sie erklärt weiter, dass Adoptionen nur in den Ländern möglich sind, in denen das gleiche Recht gilt, wie in Luxemburg. Das Großherzogtum muss sich dabei immer an die Regeln halten, die im Herkunftsland gelten.

Luxemburg hat gegenwärtig mit weniger als zehn Ländern Übereinkommen unterschrieben – die luxemburgischen Vermittlungsstellen dürfen legal ausschließlich Kinder aus diesen Herkunftsländern vermitteln. „Deshalb können homosexuelle Paare in Luxemburg zur Zeit nur Kinder Südafrika adoptieren – weil dort die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ebenfalls legal ist“, erklärt Nies. Einzige weitere Möglichkeit wäre für sie, ein Kind aus dem Großherzogtum aufzunehmen. Hierzulande beträgt die Wartezeit bei Adoptionen allerdings vier bis fünf Jahre.

„Wir werden mit Anfragen überhäuft“

Die Zahl der Adoptionen ist in den vergangenen Jahren in Luxemburg leicht gestiegen. Im Jahr 2015 waren es laut Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend insgesamt 25 und im Jahr 2016 22. Zum Vergleich: In den Jahren 2014 und 2013 lag die Zahl bei 15 beziehungsweise 19.

Den Trend hin zu mehr Adoptionen bestätigt auch Diane Heck-Thill von Naledi. „Weltweit steigt die Zahl. Auch wir werden mit Anfragen überhäuft“, sagt sie. Dadurch werden auch Wartelisten und -zeiten automatisch länger. „Bei uns dauert die Prozedur etwa zwei Jahre – was im internationalen Vergleich wirklich kurz ist. Mittlerweile gibt es aber auch Wartezeiten für Paare, die eine Prozedur starten wollen – das war vor ein paar Jahren noch nicht der Fall“, so Heck-Thill.

Aktuell befinden sich in der Agentur zwölf Familien in einem Adoptionsverfahren. Darunter auch ein gleichgeschlechtliches Paar. Dessen Dossier ist bereits zur Bearbeitung in Südafrika.

Bisher haben sich bei Naledi, neben heterosexuellen Paaren, nur männliche Paare für eine Adoption gemeldet. Die Erklärung dafür liegt für Diane Heck-Thill auf der Hand: „Frauen haben einfach ganz andere Möglichkeiten, um Kinder zu bekommen als Männer.“

Männer würden immer etwas ungläubig an den Informationsveranstaltungen teilnehmen. „Sie können immer noch nicht richtig glauben, dass sie jetzt Kinder bekommen können“, so Heck-Thill. Ihr bestes Beispiel, dass es tatsächlich klappt: Frédéric.

Ein Alltag, der manchmal anders ist

(Foto: Matic Zorman)

Seit Mai 2017 meistern Cyril und Matthieu alle Höhen und Tiefen des Alltags, so wie alle anderen Eltern auch. Alles ist neu, vieles ist ungewohnt. „Ich habe Frédéric seine erste Windel prompt falsch herum angezogen“, erinnert sich Matthieu. Es wurde sich herangetastet, kennengelernt und informiert. „Vieles konnten wir vor der Adoption auch gar nicht wissen“, so der 34-Jährige. „Frédéric hat beispielsweise eine ganz andere Haarstruktur und eine viel trockenere Haut als andere Kinder. Das mussten wir erst einmal alles lernen.“

Dass ihre Familie anders ist, bemerken Matthieu und Cyril vor allem an den Reaktionen anderer. „Erst einmal sehen die Menschen ein schwarzes Kind im Kinderwagen. Dann, dass dieser Kinderwagen von zwei Männern geschoben wird. Und spätestens in dem Moment fangen sie an zu überlegen“, sagt Cyril. Manchmal sehe man förmlich wie es „rattert“, erzählt der 33-Jährige. Negative Kommentare oder Reaktionen blieben bisher aber aus. Manche würden Fragen stellen, aber auch das sei eher die Ausnahme.

Dass Fragen aber kommen, dessen sind sie sich bewusst. Fragen von anderen Erwachsenen, von anderen Kindern – und irgendwann von Frédéric selbst. Deshalb versuchen beide so ehrlich wie möglich zu sein. „So wie alle anderen, hat auch Frédéric das Recht zu erfahren, dass er adoptiert worden ist. Auch er soll verstehen, wie unsere Familie funktioniert“, so Cyril.

Mehr als eine gute Tat

Auch vor der Adoption von Frédéric haben Cyril und Matthieu keinen Hehl aus ihrem Vorhaben gemacht. „Wir haben allen Bescheid gesagt, als wir uns sicher waren, dass es klappt“, so Cyril. Bevor dem Paar Frédéric vorgeschlagen wurde, waren sie vorsichtiger. Dafür waren die Zweifel dann doch zu groß. „Das geht niemals durch“, sei oft ihr Gedanke gewesen, so Matthieu. Nach den regelmäßigen Termin bei der Agentur wurde die Adoption aber wahrscheinlicher – und die Hoffnung immer größer.

Nicht nur für die beiden als Paar, sondern für die gesamte Familie. „Als die Adoption konkret wurde, war es natürlich auch ein wichtiger Moment für unsere Eltern – immerhin würden sie Großeltern werden“, so Cyril. „Beim Thema Adoption wird oft gedacht, dass es eine gute Tat ist, einem Kind ein zu Hause zu geben“, sagt er. Dabei sei es viel mehr. Man würde dem Kind nicht nur eine Familie geben, man würde zu einer zusammenwachsen.

Die Familie wächst weiter

Dabei hatte vor allem Matthieu längst mit der Idee einer eigenen Familie abgeschlossen. „Ich hatte meinen Trauerprozess hinter mir. Dass ich doch noch Vater werden würde, hätte ich mir nie träumen lassen“, sagt er. In seinen Augen entdeckt man eine Mischung aus Glück und Fassungslosigkeit.

Und dann war unser kleiner Knopf plötzlich doch da. Er war das Beste, was uns passieren konnte.“ Matthieu Lemaire

Für ihn waren die ersten zwei Wochen zu Hause dann auch besonders schwer – und das wortwörtlich. „Ich fühlte mich, als würde ich ein Gewicht auf meinen Schultern tragen“, beschreibt er die Tage. Die gesamte Adoption, das Warten, Hoffen, Bangen und die vielen Prozeduren, die zu durchlaufen waren – all das machte sich erst bemerkbar, als der Prozess abgeschlossen war.

Zu Hause angekommen, konnte Matthieu doch noch die Vaterrolle übernehmen. Eine Rolle, die er sich zwar gewünscht hat,von der er aber überzeugt war, dass sie nicht für ihn vorgesehen war. „Plötzlich war unser kleiner Knopf da. Und er ist das Beste, was uns passieren konnte“, sagt er.

Und dieses Glück wird sich bald verdoppeln. Denn das Paar wird ein zweites Kind adoptieren. Dieses Mal ist die Prozedur leichter, weil die Verwantwortlichen Matthieu und Cyril bereits kennen und erste Treffen mit Psychologen und Sozialarbeitern haben sie bereits hinter sich. Jetzt heißt es dann wieder: Abwarten.