In Düdelingen will der Staat im großen Stil bezahlbaren Wohnraum schaffen. Doch die Kosten explodieren. Im Schnitt soll der Bau einer bezuschussten Wohnung des Projekts „Neischmelz“ den Staat bis zu einer halben Million Euro kosten.
Ein Euro für 40 Hektar: Das war der offizielle Preis, den der Staat für den Erwerb der Düdelinger Industriebrache auf den Tisch legen musste. Auf dem Gelände sollten anfangs bis zu 750 Wohnungen gebaut werden. Der Deal klingt zu gut, um wahr zu sein. Das ist er auch. Die 2004 eingefädelte und 2016 von der jetzigen Regierung besiegelte Transaktion hat tatsächlich einen finanziellen Haken.
Hinter verschlossenen Türen wurde der staatliche Erwerb des Geländes bereits Anfang der 2000er Jahre verhandelt. Die damalige Arcelor sollte das Grundstück günstig zur Verfügung stellen und im Gegenzug aus seiner Sanierungspflicht entlassen werden. Solche Deals sind mittlerweile üblich zwischen dem Staat und dem Stahlriesen. Im Rahmen des Personalabbaus finanzierte der Staat sogar die Vorruhestandsrenten jener Arcelor-Arbeiter, die einwilligten, den Stahlkonzern frühzeitig zu verlassen.
Für die heutige Regierung erweist sich der Handschlag von 2004 als vergiftetes Geschenk: Finanziell betrachtet ist das Projekt „Neischmelz“ ein Fiasko. Der von der Stahlproduktion mit Schadstoffen belastete Boden muss auf einem potenziellen Wohngelände viel tiefgreifender saniert werden als es die einstige Schätzung vorsah. So wurden die diesbezüglichen Kosten bei der Überarbeitung des Sanierungskonzepts 2016 bereits nach oben korrigiert. Laut aktuellem Stand belaufen sie sich auf insgesamt 27 Millionen Euro, die der Staat zu 100 Prozent übernehmen wird.
Die Milchmädchenrechnung, dass der Staat auf der Industriebrache günstig hunderte Sozialwohnungen bauen könne und die falsche Schätzung der Instandsetzungsarbeiten kennt heute mehrere Verlierer. Ausbaden müssen dies neben dem Steuerzahler der Fonds du logement, der als öffentlicher Bauträger mit der Geländerehabilitierung beauftragt wurde.
Herausforderung bezahlbarer Wohnraum
Der Standort der ehemaligen Industriebauten ist für die Planung des Wohnungsbaus alles andere als ideal. Die Erhaltung der historisch wertvollen Gebäude lässt die Planungs-, Bau- und Instandsetzungskosten steigen. Deshalb entpuppt sich das Projekt als Fass ohne Boden: Laut REPORTER-Informationen soll das Wohnungsbauministerium das Projekt „Neischmelz“ mit mindestens 150 Millionen Euro unterstützen. Zum Vergleich: Das ist fast halb so viel wie die gesamte erste Tramtrasse von der Luxexpo zum Hauptbahnhof (345 Millionen Euro).
Die Gesamtinvestitionen des Staates könnten noch weitaus höher ausfallen. Deshalb wird ein eigenständiges Finanzierungsgesetz unausweichlich sein. Dennoch sollen unterschiedliche staatliche Budgets angezapft werden, um die Kosten auf die verschiedenen Ministerien zu verteilen. Das Umweltministerium könnte möglicherweise die 27 Millionen Euro übernehmen, die für die Sanierungskosten anfallen. Ebenso involviert sind das Infrastruktur- und das Kulturministerium.
Im Schnitt soll der Bau einer bezuschussten 90-Quadratmeter-Wohnung den Staat bis zu 500.000 Euro kosten. Dabei handelt es sich wohlbemerkt um den virtuellen Preis, den der Staat pro Wohnung mitsamt Straßenbau investieren würde. Unter keinen Umständen würde dieser Preis dem späteren Käufer und Bezieher einer Wohnung verrechnet werden. Die Hälfte der mittlerweile 1.000 geplanten Wohnungen sollen nämlich an einkommensschwache Familien vermietet werden. Weitere 500 Wohnungen sollen hauptsächlich an Bezieher einer Wohnungsbauprämie zu einem bezahlbaren Endpreis verkauft werden.
Deshalb könnte das Stahlwerk weichen
Um die Preise zu senken, könnte das historische Stahlwerk weichen. Umstritten ist dies, weil somit ein Teil des Kulturerbes der Region verloren ginge, wie es die Düdelinger Sektion von Déi Gréng in der vergangenen Woche anprangerte. Laut Robert Garcia, Gemeinderat von Déi Gréng in Düdelingen, werde mittlerweile ein „Szenario B“ erwogen, in dem die beeindruckende Stahlkonstruktion einem Neubau weichen soll. Dies verneint der Düdelinger Bürgermeister, Dan Biancalana (LSAP), ausdrücklich.

Finanziell betrachtet wäre der Abriss allerdings eine vernünftige Lösung. Durch die Demolierung des Stahlwerks könnten zusätzliche Wohnungen auf dem Areal geplant werden, sodass der Wohnungsbau pro Quadratmeter wesentlich günstiger ausfallen würde. Die Kosten-Nutzen-Rechnung wäre somit für den Staat eine ganz andere.
„Ich weiß, dass der Fonds du logement die Anzahl der Wohnungen erhöhen möchte. Wir wehren uns allerdings vehement gegen einen möglichen Abriss des Walzwerkes“, unterstreicht Bürgermeister Dan Biancalana. „Auch der Abriss des Stahlwerks steht für uns nicht zu Debatte. Es ist weiterhin geplant, dass dort die Filmindustrie unterkommen soll.“ Die Zustimmung des Teilbebauungsplans (PAP), den der Bauträger Fonds du logement noch vor dem Sommer einreichen will, ist bekanntlich Gemeindekompetenz. Dasselbe gilt für eine potenzielle Demolierung.
Minister will „Kostenstruktur analysieren“
Noch ist bei der Frage des Abrisses des Stahlwerks nichts entschieden. „Es ist klar, dass uns das Projekt viel Geld kosten wird. In dem Zusammenhang sind wir dabei, die Kostenstruktur zu analysieren“, erklärt der Wohnungsbauminister Marc Hansen (DP). Auf das genaue Budget, das im Raum steht, will er auf Nachfrage nicht eingehen.
Wie ernst die Situation ist, zeigt der Fakt, dass Diane Dupont als erste Amtshandlung im Vorsitz des Fonds du logement eine Kosten-Nutzen-Analyse anordnete. „Wir prüfen mehrere Pisten, um das Projekt rentabel zu machen und durchzurechnen, inwiefern eine Einsparung oder eine effizientere Gestaltung möglich sind“, sagt die Fonds-Präsidentin, die seit Dezember 2017 im Amt ist. Ihre Haltung ist klar: „Wir müssen das Bestmögliche aus diesen Grundstücken herausholen.“ Dabei betont Dupont, dass der Erhalt des Stahlwerks weiterhin als Priorität angesehen werde. Sie führt ferner bereits Alternativmöglichkeiten an. So werde etwa geprüft, ob sich private Akteure am Wohnungsbauprojekt beteiligen könnten.
Im Raum steht die Frage, inwiefern sich der Staat zu Beginn des Projekts 2004 verrechnet hat. Arcelor hatte der Vereinbarung damals verhältnismäßig schnell zugestimmt. Dies bestätigen mehrere verhandlungsnahe Quellen. Im Rückblick deutet dies darauf hin, dass Arcelor einen ziemlich guten Deal gemacht haben muss. Bei einem Verkauf des Geländes an einen Privatinvestoren hätte der Stahlriese die gesamte finanzielle Last für die Sanierung übernehmen müssen.
Unterschiedliche Deutungen des Deals
Michel Wurth der damals als Finanzchef von Arcelor an den Verhandlungen beteiligt war, bezeichnet die Abmachung keineswegs als „guten Deal“. „Ich war damals für die Immobilien zuständig und hätte das Grundstück am liebsten behalten. Dort hätte man ein ähnliches Konzept wie in Belval aufbauen und so eine bedeutende Wertsteigerung erzielen können“, unterstreicht er. Der Wert des Geländes sei mitten in Düdelingen nicht zu unterschätzen. Doch, so Wurth: „Juncker wollte die Grundstücke unbedingt haben.“
Dass Arcelor dem Deal zugestimmt hat, sei im Kontext der damaligen krisenhaften Stimmung im Sektor und des diesbezüglichen Personalabbaus zu sehen. „Unser Personal und die ihm angebotenen Sozialleistungen waren uns damals wichtiger“, beteuert der Präsident von ArcelorMittal Luxemburg mit Bezug auf die Bestandteile der Vereinbarung. Dabei betont Wurth: Die finanzielle Übernahme der Vorruhestandsrenten durch den Staat und der Verkaufspreis des Grundstücks seien nie Teil gemeinsamer Verhandlungen gewesen. Bestenfalls könne der Grundstücksverkauf für einen symbolischen Euro als Entgegenkommen nach denen vom Staat angebotenen Sozialleistungen verstanden werden.
Was die Intention der Regierung betrifft, gibt es unterschiedliche Darstellungen. Neben der potenziellen Nutzung zum Wohnungsbau spielte laut politischen Kreisen auch die frühe Sorge um die Zukunft des Arcelor-Standortes in Luxemburg eine Rolle. „ArcelorMittal hat den Deal in den folgenden Jahre immer als große selbstlose Geste verkauft und sich als Wohltäter inszeniert“, sagt Alex Bodry (LSAP). Es sei zudem kein Zufall, dass weitaus weniger belastete Grundstücke von Arcelor in der Abmachung von 2004 zunächst nicht inbegriffen waren, so der ehemalige Bürgermeister von Düdelingen.
Weitere Projekte bereits in Planung
Die Geschichte ist damit längst nicht beendet. Die Sanierungsarbeiten für „Neischmelz“ sollen frühestens 2019 beginnen. Die Baudauer liegt bei bis zu 15 Jahren.
Weitere Absprachen zwischen dem Staat und ArcelorMittal gab es jüngst im Rahmen des Aufkaufs jenes Grundstücks, auf dem der Konzern seinen neuen Hauptsitz baut. ArcelorMittal bezahlte für das Stück Land entlang der Avenue J.F. Kennedy in Kirchberg den vergünstigten Preis von 92 Millionen Euro. Im Austausch dafür überließ man dem Staat drei Industriebrachen, darunter eine in Schifflingen. Die Umnutzung des Grundstücks ist bereits in Planung. Über die Details und die Kosten der voraussehbaren Sanierungsarbeiten ist noch nichts bekannt.