Die NATO ist gespalten in der Frage, ob sie die Ukraine in das Bündnis aufnehmen soll. Vor allem die USA sind skeptisch – zumindest, solange der Krieg andauert. Dabei könnte eine Beitrittsperspektive zur Lösung des Konflikts mit Russland beitragen.
Joe Biden äußerte sich diesen Monat unverblümt zu den Chancen der Ukraine auf einen NATO-Beitritt. „Ich werde es nicht einfacher machen“, erklärte er. Trotz seines mutigen Kampfes gegen Russland müsse sich das Land noch beweisen: „Erfüllt es alle Anforderungen, die alle anderen Nationen in der NATO erfüllen?“ Der Beitritt zur Allianz erfolge „nicht automatisch“, betonte der US-Präsident.
Damit sind die USA in der von ihnen gegründeten und seit Langem dominierten transatlantischen Allianz ungewöhnlich isoliert. Sie sind der unverzichtbare Unterstützer der Ukraine im Krieg und stellen den Löwenanteil der Militärhilfe bereit. Dennoch sind sie derzeit der Verbündete, der am wenigsten geneigt ist, die Ukraine in die NATO aufzunehmen.
Im Vorfeld des Gipfeltreffens der Allianz kommenden Monat im litauischen Vilnius sind ihre Mitglieder entschlossen, die Einheit zu wahren. Sie werden zu zwei parallelen Fragen eine Einigung erzielen müssen. Die erste besteht darin, einen sprachlichen Kompromiss zu finden, der signalisiert, dass die Ukraine einer NATO-Mitgliedschaft näher kommt, und zwar ohne das Versprechen eines schnellen Beitritts. Bei der zweiten Frage handelt es sich um ein Geflecht nachhaltiger bilateraler und multilateraler Sicherheitsverpflichtungen, um Zusagen zu untermauern, wonach die Ukraine „so lange wie nötig” unterstützt werden soll.
Dieses zweite Angebot wird hinter der kollektiven Verteidigung zurückbleiben, wie sie in Artikel 5 des NATO-Vertrags verankert ist. Also jener Artikel, der besagt, dass ein Angriff auf einen Verbündeten einen Angriff auf alle darstellt. Vielmehr wird es darum gehen, die Ukraine in die Lage zu versetzen, sich jetzt und in Zukunft zu verteidigen.
Eine Frage der Sicherheitsgarantien
Der Westen bemüht sich, die Folgen zweier vergangener Misserfolge zu bewältigen: von Budapest 1994 und von Bukarest 2008. In Budapest boten die USA, Großbritannien und Russland der Ukraine in einem Memorandum „Sicherheitszusagen“ an, weil die Ukraine dem Abzug sowjetischer Atomwaffen aus ihrem Hoheitsgebiet zugestimmt hatte. Diese Zusagen erwiesen sich als leere Versprechungen.
Im Jahr 2008 waren die USA der Verfechter der NATO-Erweiterung und drangen auf die Aufnahme der Ukraine in den „Membership Action Plan“ (MAP), eine Vorstufe zum vollständigen Beitritt. Frankreich und Deutschland waren dagegen, weil sie befürchteten, Russland zu verärgern. Das Bündnis versprach unbestimmt, dass die Ukraine und Georgien „Mitglieder der NATO werden“, unternahm jedoch nichts, um dieses Versprechen einzulösen. Heute sind die Rollen vertauscht: Frankreich will einen klaren „Weg zur Mitgliedschaft“ und die USA weigern sich, feste Verpflichtungen einzugehen. Deutschland war die ganze Zeit zurückhaltend, versteckte sich 2008 hinter Frankreich und jetzt hinter den USA.
Warum dieser Sinneswandel? „Im Jahr 2008 schien die Idee eines Krieges zwischen der NATO und Russland absurd“, sagt Ivo Daalder, ein ehemaliger US-Botschafter bei der NATO. Heute sei das nicht mehr der Fall …
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