Überall im Land machen traditionelle Dorfkneipen dicht. In Steinfort ist das anders. Dort sperrt eine 90-Jährige ihr Café fast täglich auf. Nicht, um das große Geld zu machen – sondern, weil sie es so will.
Marguerite Leyen packt aus. Sie greift in einen Glasschrank, nimmt ein paar Schwarz-Weiß-Fotos heraus. Gut gelaunte Gäste und ein paar Musiker sind darauf zu sehen. Die Leute amüsieren sich, ausgelassene Stimmung im Café „An Demessen“.
Das war 1983. Damals feierte die Traditionskneipe ihr 100-jähriges Bestehen. „In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hier eigentlich nicht viel verändert“, sagt die Kneipenbesitzerin ohne den Blick von den Fotos zu lösen.
Und tatsächlich: Die dunkle Holztäfelung an den Wänden, der massive Tresen, vor den Fenstern Spitzengardinen – im „An Demessen“ scheint die Zeit irgendwann stehen geblieben zu sein.
Ich könnte weder mir, geschweige denn einer Bedienung, ein Gehalt auszahlen.“
Marguerite Leyen ist selbst 90 Jahre alt. Ihr Alter zieht sich in einigen feinen Linien über das Gesicht, ein paar Altersflecken sammeln sich unter den Augen – mehr nicht. Im „An Demessen“ hat sie als Wirtin angefangen und hier wird sie auch aufhören.
Ein Stück Erinnerung
Profit macht Marguerite Leyen mit ihrem Café schon lange keinen mehr. Darum geht es ihr aber auch nicht. „Ich könnte weder mir, geschweige denn einer Bedienung, ein Gehalt auszahlen. Das ist mir auch nicht wichtig. Dafür brauche ich aber das hier alles um mich herum.“
„Das hier“, ist ihre Kneipe. Und die ist mittlerweile zu einer Art Erinnerung geworden. „An Demessen“ gehörte bereits den Schwiegereltern von Marguerite Leyen. Ihren Mann Jos lernte sie vor rund 65 Jahren kennen. Nach der Heirat kümmerte sie sich um das Café, er um den Bauernhof der Familie. Die Kneipe hat ihren Namen „An Demessen“, weil ihr Schwiegervater Dominique hieß. Marguerites Mann ist vor zehn Jahren gestorben. Seitdem schmeißt sie den Laden alleine.

„Wenn man mich mit 15 oder 16 Jahren gefragt hätte, ob ich mal in ein Café gehen würde, hätte ich ‚Nie im Leben‘ geantwortet“, erzählt sie. Damals sei die Wirtschaft vor allem für Männer gewesen. Frauen seien, wenn überhaupt, nur in Begleitung ihres Ehemannes dorthin gegangen.
Seit Jahren der gleiche Preis
Heute kann Marguerite Leyen sich ein Leben ohne Café gar nicht mehr vorstellen. Fast täglich steht sie hinter dem Tresen, nur mittwochs ist Ruhetag. Müde macht die Arbeit sie aber nicht. Nur wenn es zu laut wird, wird sie „im Kopf durcheinander“.
Im Vergleich zu anderen Betreibern hat Marguerite Leyen einen klaren Vorteil. Sie kann es sich noch leisten, weiterzumachen – vor allem deshalb, weil sie eine treue Stammkundschaft hat und weil sie nicht auf große Einnahmen angewiesen ist.
Denn auch ihre Ausgaben halten sich in Grenzen. Ein bisschen Strom und Wasser muss sie zahlen – und natürlich die Getränke. Mehr nicht. „Und die Getränke bezahlen ja dann wiederum die Gäste“, sagt sie.
Drei Euro fragt die ältere Dame für ein Bier. Der Preis pro Flasche ist seit Jahren der gleiche – und wird sich auch nicht ändern.
Dorfcafés gehen, Restaurants kommen
In vielen Dörfern ist der Kampf der klassischen Cafés bereits verloren. Verändertes Gästeverhalten, demografischer Wandel, verstärkte Verbote und Kontrollen: All das wirke sich auf die Kneipen aus, meint Marguerite Leyen. Sie sagt, dass Steinfort in der Vergangenheit 17 Cafés wie ihres hatte. Heute sind es noch drei. Dass dieser Wandel so gut wie überall im Land stattfindet, belegen die Statistiken.
Die aktuellsten Zahlen des Dachverbands des Hotels- und Gastgewerbes Horesca beziehen sich auf das Jahr 2013. Damals gab es 1.095 Cafés, während es 2000 noch 1.401 und 1985 1.641 waren.
Auf dem Land macht ein Betrieb nach dem anderen zu.“François Koepp, Horesca
Horesca-Generalsekretär François Koepp sagt im Gespräch mit REPORTER, dass es aktuell noch etwa 960 Bars und Kneipen hierzulande gibt. Und, dass alleine in den vergangenen zwei Jahren etwa hundert geschlossen worden sind. Und tatsächlich: Das Statistikinstitut Statec führt aktuell 935 Cafés in seiner Datenbank.
Ganz anders sieht die Lage aber bei den Restaurants aus: Ihre Zahl steigt. 1985 waren es 417, im Jahr 2000 bereits mehr als doppelt so viele mit 905 und 2013 lag die Zahl bei 1.232 Restaurants.
„Vielen blieb nichts anderes übrig, als zu schließen“
Es sind vor allem die ländlichen Gegenden, denen die Cafés ausgehen. „Dort macht ein Betrieb nach dem anderen zu“, sagt Koepp. Auch das zeigen die Daten des Statec. Zum Vergleich: Im Kanton Vianden gibt es nur neun Cafés, in den Kantonen Redingen, Grevenmacher, Capellen und Echternach schwankt die Zahl beispielsweise zwischen 27 und 35 Kneipen. Weitaus höher ist die Zahl im Kanton Luxemburg (275 Cafés) und im Kanton Esch (341).

Das Dorfleben habe sich stark verändert, die Menschen würden sich weniger im Ort aufhalten und viele Vereine, die früher in die Kneipen gegangen wären, hätten sich mittlerweile aufgelöst, erklärt Koepp. Es fehle auf dem Land an Gästen. „Vielen blieb nichts anderes übrig, als das Café zu schließen.“
In den letzten Jahren kamen aber auch strengere Regelungen und mehr Verbote für den Gastronomiebereich hinzu. Einerseits wurde die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Alkohol von drei auf 17 Prozent im Jahr 2017 eingeführt. Andererseits gilt seit 2014 in Restaurants und Cafés ein Rauchverbot. Und das könnte bald noch verschärft werden.
Die neue Petition „Keen Damp op main Teller, merci“ fordert, dass Rauchen auch auf Terrassen von Restaurants verboten werden soll. 4.500 Menschen haben bereits unterschrieben, jetzt soll die Petition im Parlament besprochen werden. Die Frage bleibt bestehen, ob sich diese Regelung auch auf Bars und Cafés ausweiten könnte. Für Koepp wäre ein solches Gesetz eine klare Fehlentscheidung: „Dieser Vorschlag geht definitiv zu weit. Dann darf auch kein Bus mehr an einer Terrasse vorbeifahren und kein Flugzeug mehr über ein Haus fliegen.“
Wer rauchen will, muss raus
Um dem Trend der schwindenden Kneipen entgegenzuwirken, hat die Horesca im Frühling 2016 das Label und die Onlineplattform „Wëllkomm“ ins Leben gerufen. Beides soll vor allem kleineren Kneipen mehr Sichtbarkeit geben. Ein Blick auf die Onlineseite zeigt aber etwas anderes. Auf wellkomm.lu sind aktuell 78 Gaststätten registriert.
Allerdings sind dort weniger die traditionellen Kneipen wie die von Marguerite Leyen aufgelistet. Der Besucher findet vor allem schicke Bars, die meist rund um oder in der Hauptstadt angesiedelt sind. Das Ziel der Kampagne wurde demnach verfehlt.
Marguerite Leyens Café ist nicht auf der Plattform zu finden. Und auch Maßnahmen wie das Rauchverbot stören sie wenig. „Die Gäste kommen trotzdem“, sagt sie.
Vielleicht auch, weil sie eine etwas eigensinnige Lösung gefunden hat. In den Toiletten steht auf dem schmalen Fensterbrett ein kleiner Aschenbecher bereit. Problem gelöst: „Die paar Leute, die bei mir rauchen wollen, gehen entweder vor die Tür oder sie rauchen eben am Fenster“, so die Wirtin.
„So lange ich noch da bin“
Marguerite Leyen sorgt an diesem Donnerstagnachmittag für die Unterhaltung ihrer Gäste, serviert praktisch nebenbei. Immer wieder setzt sie sich zu ihren Stammkunden. Mittlerweile sitzen vier Gäste zusammen – alles Männer. Sie unterhält sie, spricht über das Dorfgeschehen, über ihre täglichen Spaziergänge, über andere Kneipen.
Eines Tages stand ein Bauträger im Café und wollte wissen, wann ich hier aufhöre und ob ich das Haus dann verkaufe.“
Eine Frage drängt sich aber auf: Wie lange kann es für das „An Demessen“ noch weitergehen?
„So lange, bis ich nicht mehr da bin“, sagt sie kurz und knapp. Denn ans Aufhören denkt sie erst gar nicht. Wenn sie aber „nicht mehr da“ ist, bedeutet das auch das Ende ihres Cafés. Denn es ist auch sonst niemand da, der es übernehmen würde, ihre drei Kinder haben eigene Berufe. Die Wirtin ist sich bewusst, dass nach ihr Schluss sein wird. Also macht sie einfach weiter, Tag für Tag.

Sie weiß aber auch, dass nicht nur die Familie und Kunden interessiert sind, wie es weitergeht. „Eines Tages stand ein Bauträger im Café und wollte wissen, wann ich hier aufhöre und ob ich das Haus dann verkaufe“, erzählt sie. „Ich habe ihm gesagt, er soll sich eine Zeitung abonnieren. Und wenn er dann eines Tages meine Todesanzeige sieht, kann er ja wieder hier vorbeischauen“, sagt sie. Und muss über ihre eigene Schlagfertigkeit lachen.
Und wohin gehen ihre Gäste dann? Ratlose Gesichter im Café. Alle sind sich aber einig: Es gibt zu wenig solcher Traditionscafés in Luxemburg. Und so eines wie das „An Demessen“ sei sowieso nicht zu ersetzen.
Marguerite Leyen lächelt, steht auf und bringt noch eine Runde.