Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Dieses Mal: Mitfühlender und nachschlagender Liberalismus.
Mittlerweile wissen sogar die Begabungslosesten unter uns: Noch anstrengender, als Minister zu sein, ist nur, einen Minister zu ersetzen. Manche Parteien entscheiden dabei frei nach Popularität und Kompetenz (#Sonndesfro), andere nach Bezirksproporz (#OrdnungMussSein) oder auch schon mal nach dem demokratisch zustande gekommenen Wahlergebnis (#boring). Ziemlich in Mode scheint aber die Berufung von Technokraten oder sonstigen Politiknovizen zu sein. Sehr wichtig dabei: Sich nicht anmerken lassen, dass man das eigene politisch gestandene Personal für unfähig hält. Der wahre Grund liegt in der absoluten geballten Kompetenz der Auserwählten.
Auch den Grünen ging es ja bekanntlich darum, schnell eine Person zu finden, die den Job übernehmen kann und die sich nicht erst einarbeiten muss. Wie schwierig sich das bisher bei den anderen Parteien gestaltete, blieb der Öffentlichkeit lange verborgen. Das dachte sich zumindest Corinne Cahen und erzählte „Paperjam“ eine „petite histoire“, wie das bei ihr damals ablief. Ihr Sandkastenfreund Xavier habe sie eines Abends im Oktober 2013 angerufen und gesagt, sie solle Ministerin werden. Das Problem: Die gut gemeinten Ressortvorschläge des kommenden Premiers gefielen Corinne Cahen nicht so richtig. „Et là, il m’en a cité quelques-uns… qui ne m’intéressaient vraiment pas.“
„Je le trouve sexy“
Wie die heutige Familienministerin im Rückblick zugibt, war das Problem letztlich aber weniger das Interesse als das politische Basiswissen. „Du coup, j’ai passé ma nuit à regarder l’annuaire, histoire de me faire une idée des différents ministères. Je ne connaissais pas bien le fonctionnement de l’État à l’époque et les attributions de chacun.“
Offenbar musste die gelernte Journalistin/Geschäftsfrau also erstmal schauen, was es denn überhaupt so für Ministerien gibt. Und siehe da: Familie, das wäre doch was, dachte sich Corinne Cahen. Was kann man da schon falsch machen? Und wer hätte auch nur ahnen können, dass es dafür sogar ein Ministerium gibt? Mit Menschen, die da arbeiten und Telefonnummern, die im Telefonbuch stehen? #WatSaachen
Seitdem haben sich die Auswahlkriterien der Regierungsparteien für die Besetzung der Ministerien allerdings gewandelt. Wie es aus ähnlich schlecht wie Corinne Cahen 2013 informierten Kreisen verlautet, wird jetzt vor jeder neuen Ernennung zuerst geprüft, ob die Kandidaten über Nacht das Annuaire bei Etat.lu lesen und verstehen können. Dann muss man im mündlichen Test alle Kabinettsmitglieder aufzählen können. Die Prüfung hat jedoch ihre Tücken: Manche Möchtegern-Regierungsmitglieder haben doch glatt einen gewissen Marc Hansen mitgezählt, dabei ist der ja gar nicht Minister, sondern sitzt für die Grünen im Parlament.
Wie Corinne schon damals wusste, lohnt sich ein nächtlicher Blick in das Telefonbuch des Staates. Beim nochmaligen Nachschlagen hat die wohl unumstrittenste Ministerin der Regierung noch einen anderen Namen entdeckt: Georges Engel. Der Sozialist hat es ihr sichtlich angetan. „Je le trouve sexy“, so Corinne Cahen bei „Paperjam“ über das Ministerium ihres Kabinettskollegen. Ganz oben auf der „Hotness“-Skala liegt aber wohl weiterhin der Posten der Bürgermeisterin in Luxemburg-Stadt. Ob Corinne im Internet schon das Telefonbuch der Hauptstadtverwaltungen gefunden und durchgescrollt hat, konnte bis Retrospect-Redaktionsschluss jedoch nicht unzweifelhaft bestätigt werden.
Sexy Lexi Liberalismus
Apropos sexy: Lex Delles (vom Premier im Wahlkampf auch liebevoll „Sexy Lexi Delli“ genannt, kein Witz) will sich für den Posten des Parteivorsitzenden der DP bewerben. Wie sich das gehört, machte er seine Kandidatur per Facebook bekannt. Eine wichtige Voraussetzung erfüllte er bereits in jungem Alter. Sein Vater hat den Slogan #jointhefamily der DP wohl schon sehr früh geprägt: „Schonn als klengen Däbbes huet mäi Papp mech op Manifestatioune matgeholl, och wann ech deemools nach net esou richteg verstanen hunn, ëm wat et do goung.“ Macht nichts, hat dem Vernehmen nach Corinne dem Lexi mit auf den Weg gegeben: Was diese „DP“ ist, könne er auch noch in der Nacht vor der Wahl zum Parteichef schnell googeln.
Heute weiß Lex Delles natürlich genau, um was es geht. Wie die jetzige Parteivorsitzende erklärte, ist das gesuchte Profil für den Posten durchaus machbar: Man müsse sich für Politik interessieren und Menschen lieben, so Corinne Cahen. Das hat sie kurz nach ihrer Recherche im Annuaire im E-Book „Politikmachen für Dummies“ gelesen.
Beides erfüllt Lex Delles natürlich, er konnte beim Vorstellungsgespräch bei Xavier sogar alle anderen Kabinettsmitglieder aufzählen. Wer so gut beim Ministerexamen abschneidet, für den müsste der Parteivorsitz ein Leichtes sein. An der nötigen Zeit kann es jedenfalls nicht scheitern. Als Minister für Mittelstand und Tourismus hat Delles nach der Mittagspause gewöhnlich keine Termine mehr im Kalender stehen.
„Bësse poteren“
Die in der DP so hochgehaltene Liebe zu den Menschen unterstreicht aber eben niemand so glaubwürdig wie Corinne Cahen. Spätestens seit dem Interview mit „Paperjam“ weiß jeder, dass die Ministerin aus ihren Fehlern im Management der Coronakrise gelernt hat. Dass so viele Menschen in den Pflege- und Altenheimen starben, ist natürlich nicht ihre Schuld. Sie habe alles in ihrer Macht stehende getan und nur vergessen, das auch zu kommunizieren. Das soll sich nun ändern. Man kennt es ja, auch das stammt übrigens aus dem E-Book „Politikmachen für Dummies“: Niemals ist die Politik das Problem, schon gar nicht die politisch Verantwortlichen, sondern allein die Kommunikation.
Auf ihrer Facebookseite erzählte Cahen kürzlich noch, dass sie eigentlich nur mit einer Bekannten „bësse poteren“ wollte, doch dann sah sie eine Obdachlose, die gegenüber vom Bistro saß, also nee: „Et souz? Nee am Fong louch et bal do. Et houng do.“ Statt auf die Terrasse zum Poteren setzte sich die Ministerin zuerst neben die bettelnde Frau, die sie eigener Aussage nach schon von früher kannte. Das hielt Cahen aber nicht davon ab, die Szene noch etwas genauer und höchst einfühlsam zu beschreiben: „do mierkt een ëmmer, wéi desagreabel et ass, bei Pipigeroch ze sëtzen.“
Dennoch habe sie versucht, der Frau Ratschläge zu geben, so Cahen weiter. Ob sie wie Xavier Bettel damals einer Rentnerin dazu riet, einfach nur eine Wohnung zu kaufen, ist nicht überliefert. Dennoch wollte Corinne unterstreichen, dass sie mitfühlt. Und dafür ließ sie sogar ein paar Euros springen. Das sei etwas „wat ech am Fong ni maachen“. Wie großzügig! So geht Menschenliebe: Einmal einem Obdachlosen Geld geben, und schon ist nicht nur der desagreable „Pipigeroch“, sondern auch das liberale Gewissen reingewaschen.
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