Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Ein „Coup d’Etat“ und andere demokratische Missverständnisse.
Also spannend war es schon. Die ganze Welt fieberte mit und verfolgte viele Tage lang die US-Wahlen. Am Ende, wenn die letzten Wahlzettel gegen Weihnachten ausgezählt sind, dürfte sich Joe Biden denkbar knapp durchsetzen. Ob die 77-jährige Hoffnung der Demokraten jedoch wirklich ins Weiße Haus einzieht, muss sich erst noch zeigen. Denn der aktuelle Bewohner von 1600 Pennsylvania Avenue hat seinen Kampf um die Wieder-„Wahl“ noch nicht aufgegeben. Ob Gerichtsprozesse, politische Grabenkämpfe oder ein bisschen Bürgerkrieg: Alles noch möglich. Also spannend bleibt es schon.
Dabei lernen wir als durch und durch gute Europäer und Vorzeigedemokraten wieder einmal: Egal, wie schlecht es einem geht, es gibt immer noch jemanden auf der Welt, der schlimmer dran ist. Das gilt natürlich auch für ganze Staaten, und ganz besonders für die Vereinigten. Sowohl was die grassierende Covid-19-Pandemie betrifft als auch bananenrepublikanisch anmutende Präsidenten, sind die USA wahrlich nicht zu beneiden.
So sehen das übrigens auch unsere Wahlbeobachter in Washington D.C. – Gusty Graas, Josée Lorsché und Claude Haagen weilten ein paar Tage im „Land of the Free“, um demokratisch nach dem Rechten zu sehen. Dass die zertifizierten Demokratie-Kommissare dabei selbst einen klaren Favoriten hatten und das auch noch stolz nach Hause twitterten, ändert natürlich nichts an ihrer Integrität und der Wichtigkeit ihrer Mission.

Doch nicht nur der Député-Scherzkeks von Diekirch verwandelte sich urplötzlich zum Washington-Korrespondenten und US-Wahl-Experten. Gestern noch Hobby-Virologen im Pandemiemodus, heute schon Wahlforscher und elektorale Wahrsager: Auch andere Politiker gaben ihr tiefgründiges, offenbar soeben angeeignetes Expertenwissen in den sozialen Medien zum Besten. #Schued

Lockdowns sind was für Loser
Was für die Auszählung von Wahlzetteln gilt, trifft laut der Regierung natürlich auch für neue Maßnahmen gegen die Pandemie zu: Nur nichts überstürzen. Es bringe ja nichts, „blind das Ausland zu kopieren“, sagte etwa Paulette Lenert Anfang der Woche bei „RTL“. Luxemburg habe ja einen „gewissen Vorsprung“ in der pandemischen Entwicklung. Und einen solchen Vorsprung sollte man bekanntlich nicht für sich nutzen, sondern einfach verstreichen lassen. Kein Grund, gleich in Lockdown-Panik zu verfallen.

Paulette Lenert gab sich denn auch gewohnt pädagogisch: Wer sich Sorgen um die Intensivbetten mache, könne ja selber ausrechnen wie viele Covid-Kranke in den vergangenen Monaten dort landeten, sagte sie bei „Radio 100,7“. Ein bisschen Excel-Denksport hat nun wirklich noch niemandem geschadet. Nur blöd, dass die Zahl der positiv getesteten Grenzgänger noch immer als „Top Secret“ bzw. „Ultra peinlich“ eingestuft wird. Selbst der nette Mann mit der Fliege – seines Zeichens Direktor des Statistikamts – sagte im Interview mit „Wort.lu/fr“, dass er nicht an alle Daten komme. Klingt komisch, ist aber so.
„Congé pour raisons libérales“
Auch wenn man als Regierung nichts weiß, nichts sagt und keine neuen Maßnahmen trifft, ist das noch lange kein Grund, nicht das Parlament ein wenig einzuschüchtern. Falls die Abgeordneten nicht gehorchen und die Regierungsmeinung zügig umsetzen, dann drohe ein neuer „Etat de Crise“, sagte der Premier am vergangenen Wochenende. Was nicht passt, wird eben passend gemacht. Und wer nicht so abstimmt, wie ich will, wird einfach in den „Congé pour raisons libérales“ geschickt.
Ja, wäre es denn nur so einfach. Leider gibt es in einer Demokratie dann doch gewisse Regeln. So kann ein Präsident nicht einfach die Auszählung von Wahlzetteln stoppen, solange er noch führt. Und auch ein liberaler Premier kann nicht einfach im Alleingang das nervige Parlament ausschalten. Wobei letztere Aussage anscheinend ein blödes Missverständnis war, wie Paulette Lenert die starken Worte des Premiers am Donnerstag bei „Radio 100,7“ zurechtzurücken versuchte.
Ein „Etat de Crise“ werde erst wieder ein Thema, wenn die Corona-Pandemie im Land völlig außer Kontrolle gerät, so die äußerst beruhigende Einschätzung der Gesundheitsministerin. Und wie wir diese Woche erfuhren, arbeitet die Regierung noch auf Hochtouren daran, dass ein solches Szenario zumindest möglich wird. #LetsMakeItHappen
CSV wittert den Staatsstreich
Wie man einen Elfmeter ohne Torwart geschickt in ein Eigentor verwandelt, demonstrierte dagegen diese Woche wieder einmal die CSV. In einem Kommuniqué stellte die größte Oppositionspartei die Frage, ob die Regierung einen „Coup d’Etat“ plant (rhetorisches Fragezeichen).

Ein „Coup d’Etat“ also, aha! Die Regierung will also die Regierung stürzen! Mit fortschreitendem Text fragt sich der interessierte Leser dann aber doch, wer, und wenn ja wie viele christlich-soziale Schreiberlinge hier am Werk waren. Und wer den offenbar für eine lausige Schülerzeitung bestimmten Text letztlich allen Ernstes an alle Medien des Landes verschickte. #Sad
Was mit politisch-semantischem Schwachsinn im Titel beginnt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung dann aber doch als lyrisches Meisterwerk. „Das sympathische Gesicht täuscht. Hinter dem gewinnenden Lächeln verbirgt der Premier destruktive Gedanken, wie man Schritt für Schritt die demokratischen Institutionen entmachtet“, übt sich die CSV-Fraktion im szenischen Einstieg ihres „Statement“.
Erst der Staatschef, dann die Kirche, dann …
Ganz schön destruktive Gedanken soll Xavier Bettel also haben. Der gleiche Premier natürlich, der laut dem CSV-Kommuniqué schon zuvor den liebenswürdigen Staatschef entmachtet und die noch wehrlosere Kirche „entmündigt“ hatte. Dagegen lege die Regierung in der Corona-Krise einfach ihre staatsstreichenden Hände in den Schoß. „Was tat sie?“ „Nichts“, „Null. Nada.“ Ja, was denn jetzt?
Am Schluss zitiert das Kommuniqué dann auch noch einen Artikel eines gewissen Online-Mediums („Reporter.lu“). Ach Mist, das sind ja wir …
An dieser Stelle dann zur Sicherheit unser „Statement“ zur formellen Distanzierung:
Plant die CSV, sich selbst abzuschaffen?
Die schönen, wenn auch etwas ungehobelten Worte täuschen. Hinter der vorgeblichen Tatkraft und Sorge um die demokratischen Institutionen verbirgt die CSV ihre schiere Verzweiflung, wie sie ihre offensichtliche Ohnmacht regelmäßig in solche Worte fassen kann, die die ehemals stolze Regierungspartei vollends der Lächerlichkeit preisgeben.
In guter Erinnerung ist noch die unbeholfene Art und Weise, wie die CSV die wichtigen Debatten um die Polizei- und Justiz-Datenbanken oder die Traversini-Affäre zwecks populistischer Profilierung versemmelte.
In einer „Bananenrepublik“ würde man dies noch verkraften können. In Luxemburg hat die Selbstauflösung der größten Oppositionspartei aber schon „demokratiepraktische Folgen“.
Schon fast vergessen, wie sich die heute Demokratie-bejahende Partei leidenschaftlich gegen den Eindruck gewehrt hatte, sie habe die Wahlen verloren, als sie 2013 die Wahlen verlor. Dies war der erste Schritt. Der zweite betraf die zweite Wahlniederlage trotz „Plang“. Und der dritte folgt sogleich.
Seit dem Ausbruch der Covid-Krise wird die Oppositionspartei mehr denn je als parlamentarisch-demokratisches Korrektiv der Regierungsmacht gebraucht. Was tat sie? Nichts! Weder bei der Ausrufung des „Etat de crise“, noch bei den ersten handwerklichen Fehlern der Regierung, noch bei den ausufernden Kosten der Krisenbewältigung, noch bei der zweiten Welle im Sommer, noch bei der offensichtlichen Überforderung seitdem. Nichts. Nada.
Und dann kam die Steilvorlage des Premiers höchst persönlich. Laut ihm müsse man über einen neuen „Etat de crise“ diskutieren, wenn das Parlament nicht nach seiner Pfeife tanzt. Der Oppositionspartei platzte der Kragen. Sie setzte ihre allerbesten Leute an das Verfassen eines Pressekommuniqués. Unklar und undeutlich. So umständlich formuliert, dass die seriöse Presse beim besten Willen nicht ernsthaft daraus zitieren konnte.
„Auch die Opposition verliert sich oft genug in Schaukämpfen anstatt sich auf die harte Kontrolle der Exekutive auf der Sachebene zu konzentrieren.“ (reporter.lu)
Als ob wir uns das leisten könnten: Bei der Äußerung eines wirklich bedenklichen Demokratieverständnisses durch den Premier lenkt die größte Oppositionspartei einfach die Aufmerksamkeit auf sich und ihre politisch-taktische Unbeholfenheit. Macht sie in den kommenden Monaten so weiter, dann braucht der Premier mit dem sympathischen Gesicht und dem gewinnenden Lächeln gar nicht erst zu putschen, denn dann bleibt er ganz demokratisch auf Lebenszeit im Amt. Der CSV sei Dank!
Mitgeteilt von der Retrospect-Redaktion
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