Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Ein Großherzog auf Reisen und eine Überdosis Qualitätsjournalismus.
Einen ganzen Monat lang kam der großherzogliche Hof ohne Babysitter aus, ohne sich einen Patzer zu leisten. So lange schon ist Yuriko Backes nicht mehr Hofmarschallin und der Palast ohne Führung. Auch das ist eine Leistung, die fast schon eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen wert ist. Aber als langjähriges Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees geht das leider nicht.
Der Verein, dem Menschenrechte ähnlich schnuppe sind wie Steuerzahlungen, wollte dem Großherzog trotzdem entgegenkommen. Unser aller Henri konnte einen der exklusiven Plätze am großen Tisch mit Xi Jinping erhalten. Die Plätze waren hart umkämpft, aber Henri weiß eben aus langer Erfahrung, wie man sich durchsetzt bzw. wie man Einladungen ungeprüft annimmt.
Seine Könfliktlösende Hoheit
Dabei war er natürlich nur als Privatmensch in Beijing. Oder doch nicht?! Nach einem Anruf von Laurent Mosar – Abgeordneter, Alderman, bester Twitterer aller Großherzogtümer dieser Welt und nebenberuflich Verwaltungsratmitglied der Bank of China – ist Xi Jinping wohl aufgefallen, dass er bei der Gelegenheit auch mal mit dem Staatschef von Luxemburg reden könnte. Da seine einzige Anweisung aus Luxemburg vor der Reise war, im Zweifel immer „Ja“ zu sagen, sagte Henri dem Gespräch natürlich zu. #PartyOn
Was könnte denn da auch schon schiefgehen? Bei dem Gespräch ging es ja nur um den Ukraine-Konflikt. Alles halb so schlimm, findet auch unser Jang. Er habe dem Großherzog gesagt, er solle dem chinesischen Präsidenten sagen, Druck auf Putin aufzubauen. „An dat huet de Grand-Duc och kloer gemaach“. Das Gespräch kann man sich etwa so vorstellen:
S.A.R. Henri de Luxembourg: Hello, de Jang said I have make this clear, that you have to build up pressure against Putin because of Ukraine …
Xi Jinping: OK.
Konflikt gelöst! So einfach geht Diplomatie. Für weitere Themen, wie etwa Menschenrechte, war dann leider keine Zeit mehr. Aber dazu hatte der Jang ja auch nichts gesagt. Dabei hatte Xavier Bettel noch auf dem Pressebriefing vor einer Woche deutlich gemacht, dass der Großherzog bereit sei, „dieses Thema anzusprechen, wenn man ihn dazu fragt.“ Aus einem unerklärlichen Grund wollte der chinesische Staatspräsident aber nicht wissen, was unser Großherzog von der Behandlung der Uiguren hält. #TooBad
Let’s talk about Netflix, baby
Apropos Staatsvisite. Der kolumbianische Präsident war diese Woche zu Besuch bei Xavier Bettel. Das „Tageblatt“ nutzte die Gelegenheit für ein, naja, sagen wir mal innovatives Interview. Der erste Satz des Artikels: „Halb Luxemburg pfeift sich Kokain durch die Nase, will die Umwelt retten – doch kaum jemand weiß, wie viel Schaden das weiße Gold anrichtet.“ Das ist mal ein Teaser! Der mediale Drogenbeauftragte Dr.(!) Dhiraj Sabharwal weiß eben, wie man seine Leser berauscht.
„Herr Präsident, wie schwer ist der Kampf gegen Drogen, wenn Pablo Escobar im In- und Ausland von der Popkultur glorifiziert wird: Die Netflix-Serie „Narcos“ zeichnet z.B. ein leicht romantisiertes Bild der Kartelle und Drogenbosse.“ Was für ein recherchierter Einstieg. Stellen Sie sich vor, Sie hätten Joe Biden vor sich sitzen und fragen ihn: „Mr. President, wie schwer ist das Regieren in einem Land, in dem Idiotie glorifiziert wird: Die Netflix-Serie „Tiger King“ zeichnet z.B. ein leicht romantisiertes Bild eines verrückten Tiger-Zoo-Besitzers …“
Conspiracy theory, sponsored by RTL
Aber zurück nach Luxemburg: Diese Woche war „RTL“ äußerst investigativ unterwegs und deckte einen wahren Skandal auf. Mit den sogenannten „Chèques-repas“ kann man nämlich offenbar nicht nur Essen einkaufen, sondern in manchen Supermärkten auch andere Waren. Wie etwa eine Bluetoothbox. „Und das kann man nicht essen“, merkt der scharfsinnige Journalist für das „RTL“-Publikum an. Es handelt sich aber um ein ernstes Problem. Immerhin sind die kleinen Papierscheine steuervergünstigt und somit entgeht dem Staat viel Geld. Einnahmen, die etwa benötigt werden, um „RTL“ für die kommenden Jahre über Wasser zu halten.
Wie wichtig dieser siebenjährige 100-Millionen-Euro-Auftrag ist, bewies „RTL“ diese Woche nicht nur mit seinem Beitrag zu den „Chèques-repas“, sondern auch mit einer ausführlichen Doku über das harte Leben eines Sheriffs in den USA. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund war auch Georges Reuter mit dabei. Der Mann, der gerne mal Fahrzeuge aus Flugzeugen schmeißt (die Retrospect-Redaktion berichtete), zeigte der Kameracrew voller Stolz seine Waffensammlung im Wert von 150.000 Dollar. Wow, da wird man ja richtig neidisch.
Aber zurück zum Sheriff, um den es ja eigentlich gehen sollte. „RTL“ hat sich für seine Reportage den lupenreinsten Sheriff ausgewählt, den die USA zu bieten haben. Mark Lamb ist nämlich total unvoreingenommen und ist nie, aber auch wirklich nie durch irgendwelche verwerfliche Aussagen aufgefallen. Er hat zum Beispiel nie die Menschen, die das Kapitol vor einem Jahr stürmten, als „very loving, Christian people“ bezeichnet. Und auch nie behauptet, dass Hilary Clinton eigentlich an der Attacke vom 6. Januar schuld war.
Auch wir finden: Mit so einem Ehrenmann wäre es zum Beispiel nicht vertretbar, ernsthaft über illegale Immigration nach Amerika zu reden oder ihn zu fragen, ob es gerechtfertigt sei, auf einen Mann, der einen mit einem Messer bedroht, zu schießen. Nein, das wäre ja unverantwortlich und so einen Mann würde „RTL“ mit unseren Steuergeldern nie unkommentiert vor einer Kamera reden lassen.
Das wäre ja fast so lächerlich, wie wenn ein monarchischer Staatschef ohne jegliche demokratische Legitimität durch die Welt fliegt und munter Außenpolitik macht, und die gewählten Repräsentanten des Staates auf Nachfrage nur ein kicherndes „Jo, mee bon…“ parat haben. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein friedliches und weitgehend konfliktfreies Restwochenende!
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