Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt unsere Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Dieses Mal: Ein realistisches Wahlszenario für die Hauptstadt und ein letzter Rettungsversuch in Wiltz.

Sonntag, kurz nach 14 Uhr, die Wahllokale schließen und in der Hauptstadt zeichnet sich die Sensation ab. Die CSV legt gewaltig zu, auch die Grünen gehören zu den Wahlgewinnern. Gemeinsam erhalten beide Parteien eine solide Mehrheit. Serge Wilmes und François Benoy können vor Stolz kaum noch laufen. Das „Duell“ der perfekten Schwiegersöhne, die bis zum Schluss die betagten Damen im Pescatore so aufdringlich umgarnten, dass selbst Xavier Bettel vor Neid erblasste, hat sich ausgezahlt.

Die DP um ihre Spitzenkandidatin Lydie Polfer fährt dagegen ein regelrechtes Wahldebakel ein, das die Amtsinhaberin im historischen Kontext als überragenden Sieg interpretiert. Auch die Piraten und die ADR verpassen entgegen ihrer eigenen bescheidenen Vorhersagen die absolute Mehrheit. Dennoch stehen alle Weichen auf Machtwechsel.

„Serge, du wees jo: Heiansdo ass et wéi an engem Dram, et leeft a leeft een an et kënnt een einfach net weider …“

„Nicht so schnell“, sagt dagegen Serge Wilmes. Der christlich-soziale Spitzenkandidat, der ganz eventuell, also nur wenn es unbedingt sein muss und Lydie es erlaubt, Bürgermeister werden wollte, lädt auf seinem Lieblingsspielplatz in Merl zur Pressekonferenz und Wahlanalyse. Das Resultat zeige zwar, dass er Bürgermeister werden könnte, so Wilmes. Doch er habe bereits mit der „Madamm Polfer“ telefoniert und ihr eine weitere Zusammenarbeit unter gleichen Bedingungen versichert.

„Der Wählerwille ist unergründlich, aber jedenfalls stärker als mein eigener“, so der CSV-Spitzenkandidat weiter. Es gehe ihm ja nicht um die Macht, sondern um die Menschen. Er wolle sich „proaktiv, inklusiv und nachhaltig“ mit dem Wahlresultat auseinandersetzen. Er habe aber in den vergangenen Jahren gelernt, dass man als Bürgermeister anscheinend doch ganz schön viel zu tun hat. Und überhaupt habe Iron Lydie ihm nicht ausdrücklich die Genehmigung erteilt, Bürgermeister zu werden. Mehr noch: Sie habe ihm erklärt, ihm das Amt zu überlassen, wäre ein Fehler und wenn er das nicht selbst einsehe, begehe er bereits einen zweiten Fehler. Diese Glückskeksweisheit gelte es zu respektieren, sagt Wilmes. #OchDatAssD’Stad!“

Ardennenoffensive in Wiltz

Andere erfüllen sich dagegen ihren großen Traum. Denn auch im Süden kommt es zur großen Überraschung: Nicht der türkis-farbene Georges Mischo oder der rote Steve Faltz werden Bürgermeister, sondern der grüne Meris Sehovic. Ok, nicht von Esch, aber immerhin von Belval-Nord. Ok, auch nicht offiziell, aber dafür in den Herzen vereinzelter Bürger. Die nötige „Street cred“ fehlte dem netten Meris aber dann doch. Dann hilft es auch nicht, sich einfach selbst als „Escher“ zu bezeichnen. Dabei hat Meris nichts unversucht gelassen und sogar geglaubt, damit zu punkten, ein lokales Polizeikommissariat zu besuchen. Mehr Esch geht doch wohl wirklich nicht. Wobei, angeblich war er tatsächlich da, um mit Polizisten zu reden, statt die Nacht in der Ausnüchterungszelle zu verbringen. Vielleicht ist das also nur diese berühmte Gentrifizierung …

#Walk : Der „Escher“ Jong Meris Sehovic bei seinem authentischen Spaziergang durch seine schaurig-schöne Wahlheimat.

Gentrifizierung ist in Wiltz dagegen das kleinste Problem. Da ist die LSAP („Lëtzebuerger Sozialistesch Aarbechter a Promoteuren“) noch stärkste Kraft! Problematisch ist nur, dass Fränk Arndt das Lösen der Wohnungskrise etwas zu genau und zu sehr in die eigene Hand nahm. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft – diese Spielverderber.

Doch der Boss der Ardennenfestung kann sich der uneingeschränkten Solidarität seiner Partei sicher sein. Diese startete jedenfalls eine wahre „Saving Private Fränk“-Kampagne. Minister Firlefranz brachte eine Flasche Brunello und Luxemburgerli mit aufs „Geenzefest“. Auch der Diekircher Demokratieversteher Claude Haagen und Philosophie-Dozentin Paulette fuhren diese Woche bis nach Wiltz, um Wahlkampf zu machen. Uneingeschränkt heißt aber nicht uneigennützig: Denn wenn die Wiltzer Hochburg fällt, dann sind Paulette, Claude und Franz vermutlich nicht mehr lange Minister. Das wäre ja wirklich zu schade.

Nur einer fühlt sich im falschen Film. Bürgermeister einer abgerockten Industriestadt? Check! Immobiliendeals als Lieblingsbeschäftigung? Check! Kleine Gefälligkeiten einer Beschäftigungsinitiative? Check! In der LSAP? Nix da! Und so kam es, dass Roberto Traversini nicht mehr „Député-maire“ ist – ein klarer Fall von schlechter Wahl der Partei.

Akute Wahlkampfmüdigkeit

Bei den Wählern spürt man auf halber Strecke des Superwahljahres bereits einen gewissen Überdruss – zumindest im überaus repräsentativen Querschnitt der Retrospect-Redaktion. Die Parteien scheinen davon auszugehen, dass wir alle in dieser Woche nichts anderes zu tun hatten, als zig Flyer zu studieren und täglich drei Wahlveranstaltungen zu besuchen.

Das Schlimme ist natürlich, dass es nach dem 11. Juni erst so richtig losgeht, denn im Oktober müssen die Luxemburger nochmals in die Wahlkabine. Aber: Seien Sie beruhigt, es sind nicht nur die Bürger, denen es eigentlich schon reicht. Es gilt offenbar auch für manche „Vollprofis“ …

„An iwwregens sinn ech frou ze héieren, datt a ville Gemengen den Thema vum Logement am … am … also … an der … blupps blublublup“, sagte Henri Kox am Mikro von „RTL“. Er meinte natürlich „im Wahlkampf“. Es war quasi ein freudscher Lapsus, denn der auskunftsfreudigste Wohnungsbauminister, seit es Krisen gibt, hat offenbar keine Lust mehr auf das ganze Spektakel. „Wollen Sie überhaupt Minister bleiben“, nutzte der Journalist die Werbepause in Hengs Kopf. „Nee.“ Also: „Nee, ech muss schaffen“, lautete die Antwort des Mannes, dessen Parteikollegen ihm sein Amt ungefähr so sehr zutrauten, wie Serge Wilmes nach der Macht strebt.

Ganz ehrlich: So viel Einsicht hatten wir dem Vertreter der Kox-Dynastie nicht zugetraut. Wir wünschen dem baldigen Ex-Minister auf jeden Fall alles Gute in seiner … also in … blupps blublublup!

Leerstandsteuer à la Corinne

Apropos baldige Ex-Minister: Sich engagieren, selbstlos für die Menschen da sein – und das alles, ohne es an die große Glocke zu hängen: Das ist bekanntlich das erklärte Ziel von Corinne Cahen, dem „einfachen Meedchen aus engem Stater Butték“ – wie sie einst die Parteikollegin, äh Journalistin, äh, also irgendetwas dazwischen, Colette Mart im „Lëtzebuerger Journal“ nannte. Corinne, eine gestandene Ministerin, wollte sich und ihre Regierungsprivilegien opfern, um als einfache Stadträtin die Welt besser zu machen. Manche sahen in ihr denn auch die künftige Bürgermeisterin – eine zweite Iron Lydie.

Iron Corinne hatte sogar eigene kreative Lösungen für die Wohnungskrise parat, wie sie bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit Gab, dem einfachen „Stater“ Geschäftsmann aus Reihen der LSAP, bei „RTL“ verriet. Als resolute, entscheidungsfreudige Realpolitikerin weiß sie, dass man bei den wahren Problemen schon mal zu unbeliebten Mitteln greifen muss: „Loosst dach wannechgelift Är Wunnengen net eidel stoen“, so ihre knallharte Ansage an alle Immobilienspekulanten. Absolut richtig, findet auch die Retrospect-Redaktion. Statt die Wohnungen leer stehen zu lassen, könnte man sie etwa via „Airbnb“ an den Mann oder die Frau bringen.

Ob damit nun die Wohnungskrise gelöst wird oder der (Fahrrad-)Tourismus in der Hauptstadt angekurbelt wird – Corinne zeigte wenigstens Initiative. Doch leider ohne Erfolg. Denn wie wir anhand der Retrospect-Glaskugel wissen, hat es am Ende nicht ganz gereicht für den Bürgermeisterstuhl bzw. den Thron von Iron Lydie. Corinne hatte wohl einfach nicht genug Selfies gemacht und sich viel zu sehr auf ihren eigentlichen Job als Familienministerin konzentriert. Das Leben ist eben ungerecht. Oder wie Serge Wilmes sagen würde: „Och dat ass d’Stad …“


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