Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Jedes Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Ungehorsame Bürger und erstaunliche Physik-Kenntnisse.

Alles ist relativ. Im Leben überhaupt, und in einer Pandemie ganz besonders. Das heißt in diesem Fall: Wer viel testet, hat auch viele Infektionen. Und umgekehrt. Ganz einfach, oder? Dass ein Virus-Test anscheinend auch positiv ausgehen kann und in der Summe damit die Fälle ansteigen, weiß nicht nur Donald Trump. Das mit dem Testen sei eben ein „zweischneidiges Schwert“, so der US-Präsident schon vor Wochen.

Seit kurzem macht sich auch die Luxemburger Regierung die Trump’sche Logik zu eigen. Oder wie es die Wissenschaftsredakteurin von „Spiegel Online“ ausdrückt: „Luxemburg borgt sich Trumps Corona-Argumentation (…). Die luxemburgische Regierung fühlt sich allerdings ungerecht behandelt und begründet das ausgerechnet mit demselben Argument, mit dem auch US-Präsident Donald Trump die Zehntausenden Neuinfektionen in seinem Land kleinredet.“

Das Asselborn’sche Gesetz

Luxemburg, ein Risikoland? Das darf und kann doch nicht sein! Das liegt doch nur daran, dass Luxemburg Test-Weltmeister, und auch sonst absolut awesome, ist. Dass das „large“, also quasi „huuuge scale testing“ des Landes nur für einen kleinen Teil der seit Wochen wieder steigenden Covid-19-Fälle verantwortlich ist, ist natürlich nur ein argumentatives Detail, das von Ausländern, vaterlandslosen Gesellen oder sonstigen Nestbeschmutzern vorgebracht wird.

Auch Jean Asselborn schaltete sich natürlich in die große Test-Debatte ein. Der Außenminister scheiterte bisher zwar mit seiner angekündigten Corona-Diplomatie bei den Nachbarstaaten, belehrte dafür aber ausländische Journalisten mit dem zweischneidigen Luxemburger Test-„Argument“.

Viele Tests = viele entdeckte Infektionen. Also kein Grund zur Sorge. Vor allem die Deutschen müssten das doch eigentlich verstehen, denn schon Albert Einstein habe die Relativitätstheorie aufgestellt, so unser Außenminister in einem Interview mit dem „Saarländischen Rundfunk“ .

Wir finden auch: Alles ist relativ, wie schon Albert Einstein wusste. Und eine Faktenlage, die nicht passt, wird einfach passend gemacht. So einfach und wahrhaftig wie unser „Jang“ hat übrigens noch niemand die berühmte Theorie des Physikers erklärt.

„Bléif doheem“… außer mir

Der wahre Skandal ist aber: Wegen der zweiten Corona-Welle (und wegen der Relativitätstheorie) könnte der lang ersehnte Sommerurlaub für viele Luxemburger ins Wasser fallen. So verwandelt sich das Credo der ersten Welle #BléifDoheem langsam, aber sicher in ein nicht weniger leidenschaftliches #Covidioten. Will heißen: „Nur wegen ein paar Idioten, die es nicht verstanden haben, muss ich jetzt zu Hause bleiben?!“

Die Regierung sieht das ähnlich, denn auch Minister haben Recht auf Urlaub. Allerdings drückt sie sich dann doch etwas politisch korrekter aus. Die Regierungspolitik ist tipptopp, ja absolute Weltklasse, nur manche Bürger haben sie eben falsch verstanden. „Es hat nicht lange gedauert, bis manche auf der Bananenschale der Freiheit ausgerutscht sind“, kommentierte Grünen-Chefin und Metapherngöttin Josée Lorsché im Parlament.

„Ihr seid alle Teil des Problems“, wusste der Premier schon zu Beginn der Pandemie seine Landsleute liebevoll zu belehren. Und es stimmt: Die Regierung ist bekanntlich nur verantwortlich, wenn alles gut läuft. Wenn etwas schief geht, sind die Bürger schuld. Oder wie Jean Asselborn es ausdrücken würde: Es ist so wie beim Satz des Pythagoras.

Absolute Weltklasse

Und wie man nicht erst seit Corona weiß: Wenn es im unschuldigen, besten und schönsten Risikoland unter dieser Sonne eine problematische Entwicklung gibt, haben im Zweifel auch die Grenzgänger irgendetwas damit zu tun. Zur Sicherheit rechnet die Regierung die infizierten Nicht-Gebietsansässigen also künftig aus der Gesamtzahl der Virus-Fälle heraus. Klingt komisch bis dreist, ist aber so.

Aber die Krisenbewältigung ist ja bekanntlich keine exakte Wissenschaft. Das mit den herausgerechneten Grenzgängern ändert zwar nichts an der Gefahrenlage der Pandemie im Land, könnte den gehorsamen Luxemburgern aber vielleicht doch noch ihre ewige „Vakanz doheem“ ersparen.

Man merke aber: Seien es böse Virustests, Steuerschlupflöcher oder Investitionen in die Schienen: Luxemburg ist immer unter den Besten. Denn genau wie bei den Tests werden auch bei den Investitionen in den Schienen pro Einwohner die Pendler aus der Rechnung ausgenommen. Und siehe da: „Lëtzebuerg ass e Virbild fir eis däitsch Noperen“, schreibt das Informationsamt der Regierung („RTL“). Wir finden auch: Da kann man ruhig mal „houfreg“ sein.

Laut dem Bettel’schen Dreisatz sind statistische Methoden also nur dann fraglich, wenn die Nachricht schlecht ist. Klingt durchaus patriologisch. Sonst gilt: WIR SIND WELTMEISTER (und besser als die Preisen sowieso, ätsch bätsch).

Widerstand leisten

Relativ gut und eines Parlaments würdig war im Übrigen auch die Debatte über das neue Covid-Gesetz. Mars di Bartolomeo richtete sich gleich in fünf Sprachen an die Gesamtbevölkerung. Sein Portugiesisch war aber, naja, relativ gut. Oder wie Portugal-Kenner Claude Wiseler es ausdrückte: Es war immerhin „ein guter Versuch“.

Danach folgte ein weiterer Appell vom DP-Politiker Gilles Baum. Die Leute sollten sich an das „HOM“ halten: „Hänn wäschen, Oofstand haalen, Mask droen“. Dabei gilt es doch vor allem, Widerstand zu leisten! Gegen das Virus und gegen die bösen Nachbarstaaten, die die Außerordentlichkeit der Luxemburger ständig missverstehen.

Jean Asselborn, der sich mit (innerparteilichem) Widerstand auskennt, weiß genau was Luxemburg braucht: Aus HOM wird OHM. Jeder Hobby-Politphysiker weiß, dass dann auch die Spannung zwischen Regierung und Opposition wieder abnimmt.

Bleibt zu hoffen, dass die Regierung dem Strom von Luxemburgern, die ihren Urlaub im Ausland verbringen wollen, nicht nach der außerordentlichen Kabinettssitzung am Sonntag Widerstand leisten wird. Wir drücken jedenfalls die frisch desinfizierten Daumen! In diesem Sinne: ein schönes Wochenende. Und nicht vergessen: Relativ gesehen ist es zuhause immer am schönsten.