Die ADR ist nicht die AfD. Eine mit dem Ausland vergleichbare rechtsextreme Bewegung ist nicht in Sicht. Und doch befindet sich die neu vereinte konservative Alternative für Luxemburg vor den Wahlen im Oktober politisch und programmatisch am Scheideweg. Eine Analyse.
Es wächst zusammen, was zusammen gehört. Der Satz liegt nahe, wenn man die Entwicklung von ADR und „Wee 2050“ verfolgt. Die etablierte Partei und die ihr offensichtlich sympathische Bewegung machen aus politischem Kalkül gemeinsame Sache. Luxemburgische Sprache, luxemburgische Identität, luxemburgische Wachstumskritik: Mehr Gemeinsamkeiten braucht es dafür offenbar nicht.
Seit der vergangenen Woche steht auch fest, wen die in der Referendumskampagne geborene Protestinitiative um den wohl bekanntesten Geographielehrer des Landes bei den Parlamentswahlen am 14. Oktober ins Rennen schickt. Außer Fred Keup befinden sich darauf seitens des „Wee 2050“ keine der Allgemeinheit allzu bekannten Gesichter.
Überhaupt ist über den „Wee 2050“ öffentlich nur wenig bekannt. Wer nicht dauernd auf Facebook unterwegs ist, könnte sogar noch nie von der Bewegung, ihren Protagonisten und ihren gelegentlichen verbalen Entgleisungen gehört haben. Außer vielleicht, wenn das Aushängeschild Fred Keup wieder einmal vor einer RTL-Kamera steht oder einen Leserbrief im „Luxemburger Wort“ veröffentlicht.
Von der Facebook-Seite auf die Wahllisten
Als „Nee 2015“ gründete sich die Bewegung in der Zeit vor dem Referendum vom 7. Juni 2015 – eben als Facebook-Seite, später auch formal als eingetragener Verein. Nach dem dreifachen Nein des Volkes nannte sie sich prompt in „Wee 2050“ um. Was sich hinter dem neuen Namen genau verbirgt, ist nicht ganz klar. Was passiert im Jahre 2050? Wohin führt der „Wee“? Auf einer mehrere Monate zurückliegenden Parteiveranstaltung der ADR scherzte ein anwesendes Mitglied der Bewegung im kleinen Kreis, dass man spätestens bis dahin im Land „die Macht ergreifen“ werde. Ein Scherz, der im besagten kleinen Kreis mit leisem, tiefem Thekengelächter honoriert wurde.
Allerdings war dies nicht die einzige historisch oder politisch fragwürdige Bemerkung, die von Protagonisten des „Wee“ überliefert ist. Da sich die meisten Mitglieder fast exklusiv auf Facebook politisch äußern, hat dies zudem den Vorteil, dass die Äußerungen für die Ewigkeit bestimmt sind. Selbst wenn anstößige Posts bei zu viel Gegenwind gelöscht werden, war meistens schon ein User da, der die Botschaften per Screenshot festhielt. Der Blogger Maxime Weber verschafft sich dazu regelmäßig einen recht kompletten Überblick.
Auffällig ist dabei, dass der „Wee 2050“ bisher immer noch eine ziemlich lose Bewegung und unorganisierte Vereinigung ist. Hier haben sich einige Gleichgesinnte zusammengefunden, die den politischen Betrieb etwas aufwirbeln wollen. Durch das Referendumsresultat fühlen sie sich bestätigt. Der Mythos, dass man als „politische Mitte“ die „Mehrheit des Volkes“ vertrete, wird in quasi jedem Beitrag beschworen und mit eher amateurhaften Fotomontagen oder Grafiken beschmückt.
Auf der Seite des „Wee 2050″ werden mittlerweile immer mehr die Hemmungen abgebaut. Politische Gegner werden persönlich verunglimpft, die Presse wird oft pauschal als feindlich eingestuft und ausländerfeindliche Äußerungen werden zumindest toleriert.“
Darüber hinaus gehen die „Debatten“ auf der Seite aber in alle Richtungen. Die Inhaber des Facebook-Accounts des „Wee 2050“ und ihre Anhänger sind sich für keine auch noch so banale Facebook-Diskussion zu schade. Kritiker werden entweder mit ellenlangen Antworten überschwemmt oder gleich als Vertreter der „20 Prozent“ diskreditiert. Über das dort praktizierte Debattenniveau darf, muss sich aber nicht jeder sein eigenes Bild machen.
Auf der Seite des „Wee 2050“ werden mittlerweile jedoch immer mehr die Hemmungen abgebaut. Politische Gegner werden persönlich verunglimpft, die Presse wird oft pauschal als feindlich eingestuft und ausländerfeindliche Äußerungen werden zumindest toleriert.
Überhaupt treten hier im digitalen Wohnzimmer des „Wee 2050“ alle Merkmale einer populistischen Bewegung offen zutage: Der Alleinvertretungsanspruch, wonach nur sie das wahre Volk vertreten. Die Idee, dass eine Elite von Parteien, Medien, Kulturschaffenden und sonstigen Meinungsmachern der von ihnen vertretenen reinen Willensbildung dieses Volkes im Weg steht. Das Verständnis von nationaler Identität als exklusives Abgrenzungsmerkmal zu allem und jedem, der nicht die gleiche Auffassung dieser Identität hat. Und schließlich auch die vorläufige Skepsis vor der Gründung einer eigenen Partei, weil man dann eventuell selbst zum Establishment gehören könnte.
Überschaubares politisches Programm
Programmatisch ist die vereinigte Liste von ADR und „Wee 2050“ bisher nicht allzu breit aufgestellt. Generell haben sich die jetzt auf den ADR-Listen immigrierten Kandidaten des „Wee“ öffentlich zum umfassenderen Programm der ADR bekannt. Zudem verpflichten sie sich allesamt, im Fall eines Einzugs in die Abgeordnetenkammer, in die Partei einzutreten.
Sowohl der „Wee 2050″ als auch die mit ihm nun verbündete ADR sind noch weit entfernt von der Ideologie eines Front National oder einer AfD. Dazu fehlt ihr nicht nur der Hang zur offenen, hemmungslosen Ausländerfeindlichkeit und zum schamlosen Tabubruch, sondern auch ein gewisser Grad an Professionalisierung und politischem Gespür.“
Unabhängig davon steht die Stärkung der luxemburgischen Sprache im Zentrum jeglicher Forderungen. Das geht für den „Wee“ so weit, dass alle Ortschaftsschilder auf Luxemburgisch (deutsch und französisch „in kleiner Schrift darunter“) umgeschrieben werden sollen und jeder, der in das Land einreist, sei es auf der Straße, am Bahnhof oder am Flughafen „mit einem Schild auf Luxemburgisch begrüßt“ werden soll. Alle Briefe, Formulare und Broschüren von staatlichen Verwaltungen und Gemeinden sollen „zuerst“ auf Luxemburgisch verfasst werden und auch am Telefon sollen Behörden die Bürger auf Luxemburgisch begrüßen und dann erst bei Bedarf in einer anderen Sprache fortfahren. All diese ernsthaften Forderungen stammen aus den „10 konkret Aktiounspunkten fir d’Lëtzebuerger Sprooch“ des „Wee 2050“.
Ebenso will der „Wee“ ein „nachhaltiges, kontrolliertes Wachstum“ und zwar „bis 2050“. Das heißt vor allem: Das Wachstum, das auf dem „starken Zuwachs der Immigration und der Grenzgänger“ basiert, soll ebenso „thematisiert“ werden wie die dadurch entstehenden sozialen und ökologischen Folgen. Bei letzteren Aspekten ist der Diskurs bisher aber sehr schwammig. Wie es Fred Keup schon im Gespräch mit REPORTER formulierte, versteht der „Wee“ die Wachstumskritik vor allem demografisch als Kritik des Bevölkerungswachstums. Und genau an dieser Stelle wird die Gemeinsamkeit mit dem rechtspopulistischen Diskurs der „Überfremdung“, oder um im Jargon der luxemburgischen Rechten zu bleiben, des „Aussterbens“ der luxemburgischen Identität am deutlichsten.
Alternative ist nicht gleich Alternative
Allerdings: Der Weg von der populistischen zur extremistischen Bewegung wurde in Luxemburg noch nicht eingeschlagen. Sowohl der „Wee 2050“ als auch die mit ihm nun verbündete ADR sind noch weit entfernt von der Ideologie eines Front National oder einer AfD. Dazu fehlt ihr nicht nur der Hang zur offenen, hemmungslosen Ausländerfeindlichkeit und zum schamlosen Tabubruch, sondern auch ein gewisser Grad an Professionalisierung und politischem Gespür. Während Luxemburgs „Alternative“ noch auf die Verteidigung von Sprache und nationalen Symbolen pocht und manche Akteure latent fremdenfeindliche „Wachstumskritik“ betreiben, sind die wirklichen Rechtsparteien im Ausland schon um einiges weiter.
All das ist in Luxemburg in dieser Form nicht denkbar. Zur Sicherheit sollte man aber wachsam bleiben. Denn auch die Geschichte der AfD zeigt, dass sich Parteien vergleichsweise schnell radikalisieren können.“
Um den objektiven Unterschied deutlich zu machen, genügt die Erinnerung an die graduelle mediale Eskalation durch die AfD, deren gewählte Mandatsträger wahlweise an der Grenze auf Flüchtlinge schießen lassen wollen, deutsche Politiker mit türkischen Wurzeln „entsorgen“ wollen, afrikanischen Zuwanderern eine genetisch bedingte „Fortpflanzungsstrategie“ unterstellen, politische Gegner als „Staatsfeinde“, „Gesinnungsterroristen“ oder „Wucherungen am deutschen Volkskörper“ bezeichnen, stolz auf die „Leistungen“ der deutschen Wehrmacht sind oder wie jüngst die Nazi-Herrschaft und den Holocaust als „Vogelschiss“ in über 1.000 Jahren „erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnen.
All das ist in Luxemburg in dieser Form nicht denkbar. Bei der ADR sind jene noch deutlich in der Mehrheit, die eher eine bürgerlich-konservative als eine radikal-nationalistische Politik betreiben wollen. Zur Sicherheit sollte man aber wachsam bleiben. Denn die Geschichte der AfD zeigt, dass sich Parteien vergleichsweise schnell radikalisieren können. Gestartet war die „Alternative für Deutschland“ nämlich im Jahre 2013 noch als wirtschaftsliberale Anti-Euro-Partei. Keine fünf Jahre später bekennen sich die Erben der einstigen Protestpartei aus der Zeit der Eurokrise ganz offen zu nationalistischem und völkischem Gedankengut.
Die Rolle von Politik und Medien
Der Wandel der AfD in Deutschland zeigt auch, dass die etablierten Parteien und die Medien an dem Aufstieg von rechtsextremem Gedankengut nicht ganz unschuldig sind. Vor allem in den Anfängen eines Radikalisierungsprozesses fehlt es manchen Beobachtern noch an der Sensibilität für sogenannte rhetorische Grenzüberschreitungen. Und wenn es dann zu spät ist, tappen sie in die rechte Falle, indem sie über jede neue Stufe der bewussten Eskalation in ebenso ansteigender Hysterie berichten.
Man könnte eigentlich froh sein, dass Luxemburg die rechte Radikalisierung im internationalen Vergleich nur aus den ausländischen Nachrichten kennt und sich darüber aus relativ sicherer Entfernung empören kann. Man sollte sich aber auch nicht zu früh oder dauerhaft freuen.“
Auch in Luxemburg ist dieses Muster von manchen Medien und manchen Politikern im Ansatz schon zu beobachten. Den bisher einer breiten Öffentlichkeit noch unbekannten Protagonisten der Luxemburger Facebook-Rechten und ihren bisher noch sehr unbedarften Provokationsversuchen könnte man keinen größeren Gefallen tun als sie überhaupt zu beachten.
Doch es gibt noch ein spezifisch luxemburgisches Phänomen, nämlich die Absurdität eines schlechten Gewissens wegen des Fehlens einer wirklich radikalen Kraft im eigenen Land. Immer wieder, wenn im Ausland eine neue Stufe rechtsradikaler Propaganda gezündet wird, beginnt die Suche nach den luxemburgischen Pendants der Gaulands, Straches und Le Pens. So als ob man neidisch auf den Trend zum zügellos anmutenden Extremismus im Ausland wäre, wird hierzulande ein vergleichbares Phänomen fast schon herbeigeredet. Als handele es sich um eine zu beseitigende politisch-soziale Rückständigkeit, dass Luxemburg keine regelrechte rechtsextreme Partei im Angebot hat.
Doch auch das ist nur der aktuelle Stand und der Umgang mit solchen Phänomenen ist stets ein schmaler Grat. Man könnte eigentlich froh sein, dass Luxemburg die rechte Radikalisierung im internationalen Vergleich nur aus den ausländischen Nachrichten kennt und sich darüber aus relativ sicherer Entfernung empören kann. Man sollte sich aber auch nicht zu früh oder dauerhaft freuen. Denn wenn es heißt „Wehret den Anfängen“, dann gilt das eben genau für die Anfänge – und nicht wie im Ausland, wenn es im Grunde schon zu spät ist. So weit hin ist es bis zum Jahr „2050“ dann vielleicht doch nicht.