Wegen der drohenden Insolvenz des Zustelldienstes sind in Frankreich zwei Wochen lang kaum Zeitungen und Zeitschriften ausgeliefert worden. Laut Experten könnte diese Episode viele Printmedien und mit ihnen die Leser dazu ermutigen, endgültig aufs Digitale umzusteigen.
Nicht nur im Elsass scheint das Informationsbedürfnis aktuell so groß wie schon lange nicht mehr zu sein. Das zeigen etwa steigende Klickzahlen der Lokalmedien im Internet. Wer jedoch in einer nationalen Tageszeitung oder in der ausländischen Presse blättern will, hat damit so seine Schwierigkeiten. Der einzige große Zeitungskiosk Straßburgs ist ebenso geschlossen wie der auf Auslandspresse spezialisierte Bahnhofsladen.
Das liegt allerdings nicht nur am Coronavirus. Denn rund zwei Wochen lang hat Frankreichs größtes Vertriebsunternehmen Presstalis keine Verkaufsstellen im Land mehr beliefert. Presstalis steckt schon lange in Zahlungsschwierigkeiten und seit Mitte Mai auch im Insolvenzverfahren. Das Unternehmen dürfte nach jüngsten Informationen zwar von mehreren großen Print-Verlagen übernommen werden. Mehreren Medienberichten zufolge könnten jedoch landesweit Hunderte Stellen abgebaut werden, mit bisher unklaren Folgen für den Vertrieb.
Zeitungsläden vor Existenznöten
Seit Ende voriger Woche wird die nationale Presse nun zwar in einigen Regionen wieder an die Verkaufsstellen ausgeliefert, viele ausländische Titel jedoch noch immer nicht. Aus gut unterrichteten Kreisen heißt es, dass unter anderem fast alle deutschen Verlage wegen ausgebliebener Zahlungen die Zusammenarbeit auf Eis gelegt haben. Eine schriftliche Anfrage um Stellungnahme ließ die verantwortliche Regionaldirektion von Presstalis unbeantwortet.
Im elsässischen Departement Bas-Rhin waren bis Mitte voriger Woche nahezu alle der rund 400 Verkaufspunkte vom Lieferstopp betroffen, erklärt Monika Gerhardy, Sprecherin der Presse-Gewerkschaft, im Gespräch mit REPORTER. Gerhardy, die in einem Straßburger Vorort selbst ein Zeitungsgeschäft betreibt, glaubt, dass diese zweiwöchige Print-Zwangsdiät nicht ohne Folgen bleiben wird – vor allem in einem Land wie Frankreich, das im Vergleich mit anderen Märkten noch sehr vom Einzelverkauf von Zeitungen geprägt ist. „Ich fürchte, dass nach dem Ärger mit den Gelbwesten, den Streiks und Corona einige kleine Läden bald dichtmachen müssen“, meint Monika Gerhardy.
Auch im elsässischen Illkirch zeigten sich die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens durch leere Regale. Im Tabak- und Zeitschriftenladen „Maryland“, in dem es auch eine Bar gibt, erzählte Verkäuferin Cinar Beyza, dass regelmäßig nur „10 bis 15 Kunden“ kämen, allein um deutsche Printprodukte zu kaufen. „Die gehen bei uns weg wie warme Semmeln.“ Beyza hofft nun, dass sich das Vertriebsunternehmen wieder aufrappelt. „Ich kann mir den Laden ohne Zeitungen und Zeitschriften überhaupt nicht vorstellen…“
Ein stark subventionierter Markt
Doch viele Experten sehen die Zukunft der Printmedien in Frankreich generell düster. Vom „Presstalis-Skandal“ sprach der ehemalige „Le Monde“-Journalist Éric Fottorino in seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Zukunft der Presse wird auf der Straße entschieden“. Das Unternehmen, das drei Viertel des französischen Pressegroßhandels beherrsche, habe mit seiner „inzestuösen und verschwenderischen Geschäftspraxis“ insgesamt 350 Millionen Euro Schulden angehäuft. Fottorino prognostizierte, dass Presstalis viele kleine Presseverlage in den Abgrund stürzen könnte.
„Der französische Pressevertrieb wird vom Staat seit über 70 Jahren stark reglementiert und stark subventioniert, betriebswirtschaftliche Regeln gelten also traditionell nur bedingt“, sagt Andreas Wrobel-Leipold im Interview mit REPORTER. Der Medienwissenschaftler ist Experte für die Geschichte der französischen Presselandschaft und unter anderem Autor von „Warum gibt es die Bild-Zeitung nicht auf Französisch?: Zu Gegenwart und Geschichte der tagesaktuellen Medien in Frankreich“.
„Die staatliche Vertriebsförderung richtet sich nach der Anzahl der verteilten Exemplare, bei geradezu dramatisch sinkenden Auflagen der Presse Nationale bedeutet das entsprechende Verluste bei gleichbleibenden Fixkosten“, erklärt Andreas Wrobel-Leipold. Der Experte teilt die Ansicht, dass die Straßenblockaden der Gelbwesten eine weitere Rolle in der aktuellen Kiosk-Krise gespielt haben könnten. Zeitungslesen sei nun einmal „stark gewohnheitsabhängiges Verhalten“. Gäbe es keine Printmedien, würden die Leser auf andere Medien wie das Internet ausweichen und blieben womöglich dabei, so der Forscher.
Der Trend hin zum Digitalen
In diesem Sinn hat die Corona-Pandemie die ohnehin grassierende Pressekrise im Land nur noch weiter vertieft. Anka Wessang, Leiterin des Straßburger Presseclubs, sagte ihrerseits, dass sie davon ausgehe, dass nun auch viele Redaktionen auf das Internet umsteigen. Die Tendenz scheint denn auch eindeutig. Laut dem Branchenportal „Acrimed“ bieten die aktuellen Probleme beim Anzeigen- und Kiosk-Geschäft den Redaktionen „einen gelungenen Anlass, ihr wirtschaftliches Modell zu überdenken“.
Zwar habe es keine größeren Schwierigkeiten mit der Zustellung von Zeitungen gegeben, auch sei die Zahl der Print-Abonnenten in etwa gleich geblieben. Wegen der Corona-Beschränkungen würde sich aber „ein Teil der Leserschaft von Zeitungen Online-Angeboten und Digital-Abos zuwenden“. Zu den größten Gewinnern bei den landesweit 22.000 allein im Monat März dazugewonnenen Digitalabos gehörten demnach „Le Monde“ und „Le Figaro“ mit jeweils 8.000 neuen Abonnenten. Obwohl einige der Digital-Kunden über „Ramsch-Preise“ und Kostenlos-Angebote angelockt worden sei, zeige sich hier ein „allgemeiner Trend“.