In Zeiten, in denen Digitalisierung und künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch sind, bangen Arbeitnehmer zunehmend um ihren Job. Eine Studie der OECD zeigt, dass der Trend zur weiteren Automatisierung vor allem eine neue Bildungspolitik erfordert.
47 Prozent der Jobs in den USA drohen aufgrund der Automatisierung zu verschwinden. Zu diesem Ergebnis kam das Akademikerduo Carl Frey und Michael Osborne von der Universität Oxford in ihrer 2013 veröffentlichten Studie „The Future of Employment“. Frey und Osborne setzten damit den Ton für nachfolgende Studien, die das Automatisierungsrisiko auf hohe zweistellige Zahlen ansetzten.
Doch zu einem gänzlich anderen Ergebnis kam im März dieses Jahres die von der OECD veröffentlichte Studie „Automation, Skills Use and Training“. Nur 14 Prozent der Jobs in den OECD-Ländern gelten demnach als „highly automatable“. Das sind alle, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 oder mehr Prozent automatisiert werden, schreiben die Autoren Ljubica Nedelkoska und Glenda Quintini. In den 35 untersuchten Ländern, darunter Luxemburg, würde dieser Prozentsatz sich auf rund 66 Millionen Jobs summieren.
Neue Studien, neue Zahlen
Ein entscheidender Grund für diese Diskrepanz zwischen den beiden Studien seien laut der OECD neue Daten, die Unterschiede zwischen Arbeitern mit dem gleichen Jobtitel beachten. So nennt Stefano Scarpetta, Leiter für Arbeit und Sozialordnung bei der OECD, das Beispiel eines Automechanikers: Dessen Arbeit sei etwa in Großserienfertigung leichter zu automatisieren als in einer kleinen, unabhängigen Werkstatt. In ständig wechselnden Arbeitsumfeldern seien automatisierte Systeme zudem kaum einsetzbar.
Die OECD-Studie nimmt ebenfalls an, dass Aufgaben, die mit sozialer oder kognitiver Intelligenz, Wahrnehmung und Manipulation zu tun haben, eine Sonderstellung haben. So sind Arbeiten seltener automatisierbar, die komplexe soziale Beziehungen und eine gewisse kulturelle Sensibilität, Kreativität oder komplexe Gedankengänge erfordern. Die Forscher schließen aber schnelle technologische Fortschritte in diesen Sparten nicht aus. Nedelkoska und Quintini kommen zum Schluss, dass ein Unternehmen, das technisch fortgeschritten ist und seinen Mitarbeitern Aufgaben außerhalb des Alltäglichen gibt, über weniger automatisierbare Arbeitsbereiche verfügt.
Dieser Punkt wird von einem weiteren Teil der Studie hervorgehoben: 33 Prozent aller Jobs in der Slowakei seien „highly automatable“, aber nur etwa 6 Prozent in Norwegen. Neben den nordischen profitieren auch die angelsächsischen Länder und die Niederlande davon, früh auf neue Technologien gesetzt zu haben, dadurch sind nachhaltigere Jobstrukturen entstanden.
Verlierer und Gewinner
Wie groß der Unterschied zwischen den einzelnen Ländern eigentlich ist, haben die Forscher der „The Economist Intelligence Unit“ im „Automation Readiness Index“ untersucht. Sie nahmen 25 Länder unter die Lupe und versuchten die weitreichenden Folgen der stetigen Fortentwicklung von automatisierten Systemen aufzuzeichnen. Der Index wird aus den Resultaten von drei unterschiedlichen Kategorien – Innovationsumfeld, Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik – errechnet.
Spitzenreiter ist Südkorea, welches sich in allen Kategorien auf den vorderen beiden Plätzen tummelt. Grund dafür sei, dass Südkorea alleine „2017 etwa 150 Million Dollar für Forschung in der Künstlichen Intelligenz investierte.“ Darüber hinaus sei das Land Vorreiter für Umschulungen und nehme vermehrt Sozialkompetenzen, die sogenannten „soft skills“, in den Lehrplänen auf.
Ähnlich wie die Autoren der OECD schlussfolgern sie, dass Länder mit mittlerem Einkommen mehr Schwierigkeiten haben, sich der bevorstehenden Automatisierung anzupassen. Da Automatisierung derzeitig vorwiegend in Bereichen wie der Fertigungswirtschaft und Landwirtschaft stattfindet, läuft die Entwicklung auf eine Polarisierung des Arbeitsmarktes zu. Die Folge: eine erhöhte Arbeitslosigkeit von gering qualifizierten Menschen, so die OECD weiter.
Alternativen für Jugendliche
Besonders gefährdet seien Jugendliche und Berufseinsteiger. Obwohl die Generation der „digital natives“ sich schneller an neue Technologien gewöhnt, fällt die niedrige Eintrittsschwelle in die Arbeitswelt weg. Die OECD kritisiert, dass bis jetzt wenige Länder sich mit den Folgen der Automatisierung auseinandergesetzt haben und in der Bildungspolitik versuchen, gegenzusteuern.
Im Fall vom Luxemburg wurde 2015 die Strategie „Digital 4 Education“ vorgestellt. Die Webseite der Initiative hält die Schlagwörter des 21. Jahrhunderts parat: Programmieren, Fintech, Gaming und nicht zuletzt Big Data. Aushängeschild des Projektes ist das Label „FutureHub“, bei dem innovative Sekundarschulen – momentan sind es drei – im ICT-Bereich anerkannt werden. Das reicht vom Zugang zu WiFi und Tablets an der Schule bis zur Schaffung der sogenannten „Sektion I“ im Lycée Classique – eine unmittelbare Antwort auf den akuten Informatikermangel in Luxemburg.
Das Ziel sei aber nicht nur, eine weitere Fachrichtung zu schaffen, betont Sid Mysore von der Abteilung für pädagogische und technologische Innovation im Bildungsministerium im Gespräch mit REPORTER. Laut dem Koordinator der Werbung für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) gehe es darum, neue Lehrmethoden anzuwenden und die Schüler zu motivieren, eigene Projekte und Forschung zu unternehmen.
„So oder so arbeitslos“
Darüber hinaus beschränkt man sich beim FutureHub nicht nur auf die Aktivitäten der „Sektion I“, sondern will auch aktiv die soziale Kohäsion fördern. Verschiedene Schulstunden werden so gemeinsam für Schüler des Classique und des Technique angeboten, damit sie sowohl an die Theorie als auch an die Praxis herangeführt werden. Mysore betont auch, dass man sich im Vergleich zu den Nachbarländern nicht verstecken müsse. Man erhoffe sich, dass alle Schüler einer „FutureHub“-Sekundarschule durch diese Initiativen die IT-Landschaft besser kennen lernen und die nötigen Kompetenzen erwerben.
Wie genau sich das Arbeitsbild aufgrund der Automatisierung verändern wird, ist wegen der unaufhaltsam scheinenden Digitalisierung schwer vorherzusagen. Laut der OECD gibt es bei 32 Prozent aller Jobs momentan eine Chance von mehr als 50 Prozent, dass sich das Arbeitsbild grundlegend ändern wird. Die Organisation ruft demnach die Politik dazu auf, diese Erkenntnisse der Studie nicht außen vorzulassen und ihre Bevölkerung bestmöglich auf den Wandel des Arbeitsmarktes vorzubereiten.
„Zwischen Jobs, die verschwinden oder radikal umdefiniert werden, besteht aus der Perspektive des Arbeiters kaum ein Unterschied.“, sagte Carl Frey, Co-Autor der ersten Studie jüngst dem „Guardian“. Fehlen die Kompetenzen für die neue Rolle, seien die Arbeitnehmer „so oder so arbeitslos“.